(Foto von trp0)
Blase oder nicht Blase, das ist hier die Frage
MySpace ging -in der Internetzeitrechnung vor Äonen- an Fox für 550 Millionen Dollar, vor einiger Zeit kaufte Myspace/Fox wiederrum Photobucket und Flektor, YouTube geht für 1,6 Milliarden an Google, ebenso FeedBurner für 100 Millionen. ebay kauft stumbleupon. Grouper for $65m to Sony, and recently Last.fm for $280m to CBS. Und so weiter und so fort. Erst gestern kaufte Disney für 700 Millionen Dollar übrigens ein zumindest mir und auch dem großen Rest der Techblogger unbekanntes Social Network/Virtual Word für Kinder. Und mit Pinguinen, irgendwie.
Immer wieder liest man dieser Tage aufgrund dieser Aquisitionswelle und den anderen Auswüchsen durch den aktuellen Internetboom von einer Blase2.0. Besonders in Deutschland wird aus der einen oder anderen Ecke besonders laut gekreischt.
So letztlich zum Beispiel erst Thomas Knüwer, Blogger und Journalist beim Handelsblatt:
Euphorisierte Tanja-Anjas belästigen einen im Tagestakt mit dem Angebot von Redaktionsbesuchen mit Startup-Chefs, von denen Du noch nie gehört hast. Weder von den Startups noch von ihren Chefs.
Startups untereinander prügeln sich per Pressemitteilung. [..]
Interview-Angebote mit Startup-Gründern werden mit dummdreisten Bestechungsversuchen versehen[..]
Eine hirnlose PR-Agentur versendet drei Pressemitteilung innerhalb einer halben Stunde und findet es lustig, dies von der E-Mail-Adresse informationen@fuer-die-presse.de zu tun.
Das sollen sie also sein. Die ersten Zeichen einer möglichen Blase. Jesus Christ on a bike. Geht's noch mehr daneben? Äußerst unschön, wenn man daneben liegende Kommunikation als Anzeichen für eine Blase sieht. Das ist unnötiges (und man möchte fast sagen sehr deutsches) Rumunken.
Besonders ärgerlich aber auch, dass ausgerechnet ein, von mir hochgeschätzter, Journalist einer Wirtschaftszeitung hier Birnen und Äpfel zusammenwirft und das einen Eintopf nennt. Eine Wirtschaftsblase ist zumindest in meinen Augen immer noch etwas, das entsteht, wenn übermäßig in Unternehmen investiert wird, die diese Summern weder mittel-, noch langfristig inflationsbereinigt mit einem Gewinn wieder ausspucken können. Wenn die Investition also nicht zurückfließen kann. Und somit also investierte Summe und akquiriertes Objekt nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
Oder Wikipedia beschreibt es so:
Eine Spekulationsblase bezeichnet einen überkauften Markt, der sich in der Regel im Börsen-, Rohstoff- oder Immobilienbereich völlig von der realen Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt hat.
Anyway, ich werde hier jetzt mal ein paar Dinge klarstellen, die mir schon länger auf dem Herzen liegen, wenn ich undifferenzierte Bubble!-Schreie höre. Denn ich sehe hier keine Blase, wie es sie damals 1999/2000ff gab. Nicht einmal ansatzweise.
Party like 1999? Nein
Kurz die Unterschiede zwischen der Zeit der dotcom-Blase und heute:
- Marktumfeld: Über 60 Prozent der deutschen Bevölkerung nutzt heute das Internet, im Vergleich zu reichlich 10 Prozent 1999. Zusätzlich nutzte damals praktisch jede Privatperson Dialup-Verbindungen, während heute eher Breitband mit Flatrate weitverbreitet sind. Das ist eine völlig veränderte Nachfragesituation. Die logischerweise auch mehr Umsatz nach sich zieht. Im Grunde kann man sagen, dass man sich '99 und die folgenden Jahre einredete, die Internetnutzung wäre schon auf dem Niveau, das sie heute erreicht hat.
- Finanzierung: Die Kosten für Startups sind heute fast schon lächerlich gering. Man kann heute praktisch ausschließlich mit OpenSource einen Webdienst aufziehen. Beispiel: Blogs wie dieses hier, basieren auf Contentmanagementsystemen, die vergleichbar vor der Jahrtausendwende noch mit über 10.000 DM zu Buche geschlagen hätten. Traffic und Speicherplatz sind zwar auch so schon recht günstig, können aber mit Amazon S3 in großen Teilen sogar ausgelagert werden und sind dadurch nicht nur nochmal günstiger sondern auch in skalierend mit einer Schleife oben drauf verpackt. Da ist kein aufwendiger Serverpark mehr nötig, da vieles gar nicht mehr über die eigenen Maschinen laufen muss.
- Spekulation: Die dotcom-Blase brach wegen irrwitzigen Spekulationen an der Börse zusammen. Börsengänge gibt es heute eher selten. Das deutsche Businessnetwork Xing fällt einem da ein. Facebook in ein, zwei Jahren dann sicher auch. Aber sonst? Finanzierung von Startups findet heute nahezu ausschließlich über Venture Kapital statt. Die Blase damals war ein Börsencrash. Wo soll der Crash heute stattfinden?
Das sind grob und kurz die wesentlichen Unterschiede zwischen heute und damals. Wir haben einen florierenden Markt im Internet, ja selbst hier im deutschen Teil, der von Vielen beackert werden will. Das zieht auch Dummköpfe, Schaumschläger und lebende Kommunikationsdesaster an. Die allein machen aber noch keine Blase.
Wer keine Zeit oder Lust auf mehr hat, kann hier aufhören zu lesen. Für alle Anderen folgen ein paar weitere Gedanken zum aktuellen Stand des Internets, des Booms und der Wirtschaft drumherum.
Das Internet ist heute ein Markt wie jeder andere
Naja, fast. Denn es ist mehr. Hier erweckt etwas zum leben, was in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen gar nicht abzuschätzen ist. In ein paar Jahren wird beispielsweise jegliche Spielart der Medien über das Internet distributiert werden (E-Reader will kill the printstar).
Das sollte man sich wirklich mal vor Augen führen. Das Internet ist nicht mehr das Spielzeug, dass es Ende der Neunziger noch in großen Teilen war. Es durchdringt mittlerweile in weiten Teilen die Gesellschaft der industrialisierten Länder. Die gesellschaftliche Bedeutung des Internets wird in wenigen Jahren in der selben Größenordung wie die der Industrialisierung stehen.
Oder wie es Marshall Kirkpatrick ausdrückt:
Ubiquitous broadband and the clear utility of the internet is changing the world and all our lives. Millions of people are using MySpace and YouTube and they are never going back. Small companies are seeing their technology get acquired or licenced and leveraged by large brands left and right. There are countless parts of everyday life that are or could be benefiting from asynchronous, distance-free communication online. In the mean time there's an entire economy being built and it's ok to be excited about it.
Das ist übrigens dort auch die Antwort auf den wöchentlichen 'Bubble!'-Artikel. Denn auch in den USA wird in regelmäßigen Abständen die Blase ausgerufen. Dieses anhaltende Orakeln hat zwar auch seine Vorteile:
The more naysayers, the better. The market climbs a wall of worry and we rarely top out when there is a lot of negativity.
Macht es aber deswegen nicht richtiger. Warum das trotzdem permanent wieder hervorgekramt wird, liegt zum einen sicherlich am wirklich desaströsen Dotcom-Crash, der Viele von damals immer noch frösteln lässt. Zum anderen aber sicher auch, und wer wüßte das besser als deutsche Blogger, an etwas, das Marc Andreesen knackig so zusammenfasste:
The human psyche seems to have a powerful underlying need to predict doom and gloom.
Niedrige Markteintrittsbarrieren verlegen die Selektion auf später und auf Blogger
Aber genug von den Bläsern. Auch der Internetmarkt hat Probleme, die man als Blase missdeuten könnte, die aber zum Teil eher struktureller Natur sind.
So führen die niedrigen notwendigen Kosten für die Startups zum Beispiel für eine unfassbar hohe Schwemme an neuen Gründungen im Netz. Allerdings nicht weil hier hinterhergeworfenes Geld verbrannt wird, sondern weil eben nicht mehr viel Geld dafür notwendig ist. Machen wir einfach mal, kost ja nüscht, oder nicht viel. Overwhelming? Ja.
Deswegen werden bzw. bleiben Blogs als Filter für die Endnutzer wichtig. Denn hier wird kommuniziert und diskutiert, was die begrenzte Zeit der Nutzer wert ist anzuknabbern. Deswegen stelle ich hier nicht jeden Tag 3 neugegründete Gamer-Socialnetworks vor. Stattdessen schaue ich mir die ganzen Angebote an und schreibe dann über die, von denen ich für mich und meine Leser einen möglichen Mehrwert sehe.
Nur weil die Startups gegründet werden können, müssen sie nicht zwangsläufig irgendwo hinführen. Oder irgendeine Implikation für den Markt als Ganzes bedeuten. Sie machen einfach, weil sie es können. So toll finde ich das nicht, wenn Manche nicht mal ansatzweise die eigenen Marktchancen einschätzen kann, aber so what.
Besser so, als ein Markt mit Eintrittsbarrieren, die nur von Konzernen erklommen werden können. Es herrscht bzw. entsteht ein schlichtes Überangebot, das in jedem Markt entstehen kann und es wird sich von allein erledigen. Die niedrigen Kosten sorgen für geringe Kollateralschäden.
Und den Rest überlasst mal uns Bloggern.
Zuviel des Guten?
Ein anderes Problem das teilweise in dieselbe Sparte fällt, ist die Tatsache, dass es mittlerweile fast mehr gute Dienste gibt, die man gern nutzen würde, als man Zeit dafür hat.
We’re in a bubble of attention diffusers.Huh? I’m getting so many things pulling me in so many directions that it’s hard to spend 60 minutes just thinking about one thing and getting deep.
Das wirklich absurde Problem ist nicht, dass unnütze Dienste aus dem Boden gestampft werden. Sondern dass es zu viele durchaus nützliche Dienste gibt. Und man nicht die Zeit hat, alle zu nutzen oder wenigstens zu testen. Über dieses Problem hatte ich bereits einmal ausführlich geschrieben. Auch hier werden, wie das nun mal in einem funktionierenden Markt ist, Lösungen für dieses Problem entstehen. Wie ich bereits schrieb, sehe ich durchaus Facebook hier eine Lücke besetzen zu können.
Fazit
Mit dem weiteren Zuwachs an Breitbandanschlüssen und Flatrate steigt die Internetnutzung noch weiter, und damit steigt auch der Onlinewerbemarkt (Während er bei TV, Rundfunk und Print weiter zurückgehen wird). Ebenso steigt die Möglichkeit mittels Premiumangeboten Einnahmen zu generieren. Wenn man die Nutzung der anderen Massenmedien sieht und dabei bedenkt, dass das Internet dieser Tage auf dem Weg ist selbst eins zu werden, dann wird klar, dass hier noch sehr viel Luft nach oben ist.
Aber auch so existiert im Netz bereits ein Markt, der mit dem Phantommarkt um die Jahrtausendwende nichts mehr gemein hat. Wir haben hier kein Kunstgebilde mehr vor uns, dass einfach so in sich zusammenbrechen kann.
Natürlich kann es auch hier wieder zu einer Blase kommen. So wie in jedem Markt. Ob Immobilien, oder Internet oder weißderfuchs. Überhitzung ist überall möglich. Deswegen ist aber nicht jeder Boom automatisch eine Blase.
Der nächste große Boommarkt wird übrigens das mobile web. Da kann man dann in Deutschland fröhlich über die mobile Blase unken. Freude.
weitere Artikel zum Thema
Deutschland aktuell:
Thomas Knüwer fuchtelt wild mit den Armen, weil er mit PR beworfen wird.
Das Themenblog antwortet auf Knüwer, und vertritt im Großen und Ganzen die selbe Meinung wie ich.
älter:
Gründerszene: Gründerstimmung 2.0 - Teil I - Gründe für den neuen Boom, sehr guter Artikel, der verschiedenste Aspekte beleuchtet. Einige dabei, die ich hier nicht angesprochen habe, wie etwa APIs.
US aktuell:
John Dvorak faselt leicht unverständlich(<- weil eine Schildkröte sein Gebiss geklaut hat) von einer Bubble2.0, und Marshall Kirkpatrick antwortet und zerlegt ihn.
Robert Scoble sagt auch noch was dazu
wer mehr braucht, findet es auf Techmeme
älter:
NewTeeVee: Is YouTube the Bubble Blower?: Es wird die These diskutiert, ob bei einem immer noch fehlenden Businessmodell für Youtube in x Monaten, alle im Valley wie kopflose Hühner gackernd im Kreis laufen werden.
alarm:clock: 11 Signs That The Boom Is Closing In On The End Of Days hehe