Wie zu erwarten war, erlebt Spiegel Daily als eigenständiges Produkt nicht einmal den ersten Geburtstag.
Warum es wichtig ist: Sowohl im lesenswerten Dev-Blog-Eintrag, als auch aus dem dort beschriebenen Verhalten des Spiegel-Verlags kann man einiges über den heutigen Stand der Medien und die Dynamiken der heutigen Medienwelt lernen.
Aber der Reihe nach. Das "Team von SPIEGEL+" im neuen Dev-Blog des Spiegels über die Paid-Content-Zukunft und -Vergangenheit des Verlags1 und was man daraus gelernt hat:
SPIEGEL Plus ist das vielleicht experimentellste Bezahlsystem im deutschsprachigen Markt. Leser bekommen exklusive 39-Cent-Artikel auf der Nachrichtenseite angeboten und außerdem fünf Euro auf einem virtuellen Bierdeckel gutgeschrieben — erst wenn dieses Guthaben aufgebraucht ist, bezahlen sie wirklich. Die Erfahrungen mit diesem Modell des Dienstleisters LaterPay sind wertvoll. Wir verdienen inzwischen je nach Performance der Einzeltexte rund 50.000 Euro pro Monat. Das reicht zwar bei weitem nicht, um unsere Redaktionen zu finanzieren, weshalb wir das Modell ablösen werden, aber wir haben mit seiner Hilfe drei Dinge gelernt. Erstens hat es der Reichweite unserer Webseite nicht geschadet. Paid Content muss Leser nicht verprellen, auch wenn das mancher noch immer glaubt. Zweitens haben wir gelernt, dass selbst in diesem System, das auf Einzelartikel-Verkauf setzt, die ebenfalls angebotenen 3,90-Euro-Wochenpässe mit am stärksten gewachsen sind. Flatrate-Modelle kommen bei Nutzern also durchaus an (woran wir angesichts Netflix, Spotify etc. allerdings eh keinen Zweifel mehr hatten). Drittens wissen wir nun aus den Performance-Statistiken der Einzelverkäufe, für welche Texte aus welchen Themenbereichen unsere Leser gerne bezahlen: nämlich Gesellschaft und Geld, Familie und Partnerschaft, Gesundheit und Wissen, Wohlbefinden und Crime, Leben und Job etc. Also eher Magazin- als Nachrichtenstoff.
Es brauchte einen Mikropaymentdienst, der auch Wochenpässe, also wöchentliche Flatrates, anbietet, damit man beim Spiegel merkt, dass Flatrates besser funktionieren als Mikropayments. Positiv aus dem LaterPay-Experiment: Man hat mehr über die inhaltlichen Vorlieben der Leser gelernt.
Spiegel Daily hatte lächerliche 5000 Abos, wird aber trotzdem als Erfolg verbucht, der jetzt eingestellt wird, weil man das mit Erfolgen eben macht:
Bei SPIEGEL DAILY hat sich dasselbe Schema bewährt. Die digitale Abendzeitung, die werktäglich auf unserer Nachrichtenseite angeboten wird, bekommt immer dann reichlich neue Abos, wenn sie mit solchen Geschichten angeteasert wurde — oder mit prominenten Kolumnisten wie Harald Schmidt und Sophie Passmann. Etwas mehr als 5000 Abos im Monatsschnitt haben wir für dieses 6,99-Euro-Angebot gewonnen, obwohl es sich eigentlich um eine Nachrichtenseite innerhalb einer Nachrichtenseite handelt. Eine Konstruktion, die nach dem gesammelten Leserfeedback des ersten Jahres so unlogisch ist wie der Umstand, dass wir zu ein- und demselben Thema öfters künstlich zwei Geschichten schreiben: einen elaborierten Text für unsere Haupt-Nachrichtenseite und einen mindestens so elaborierten für DAILY.
Wir erinnern uns: Spiegel Daily sollte das Produkt sein, das die Zukunft des Spiegel-Verlags darstellt.
Ich hatte vor einem Jahr zum Start von Spiegel Daily über die schizophrene Positionierung geschrieben:
Dass man künftig in diesem neuen Angebot nicht mehr Inhalte von Spiegel, Spon und Spaily (? Let’s roll with it) unterscheiden kann und man etwa, zum Beispiel, nicht weiß, welche Inhalte von wo wohin hausintern syndiziert werden, ist vielleicht nicht unbedingt so gedacht gewesen1, aber das ändert nichts am Ergebnis. Statt einer thematischen Klammer setzt man auf eine zeitliche Klammer (der Tag). Und statt es dem Leser einfach zu machen (Was bekomme ich), macht man es der Redaktion einfach. (Eigene Inhalte + übernommene Inhalte; ohne zum Beispiel ein Fokus auf bestimmte Ressorts/Themenfelder)
Das ist ein immer wieder gemachter Fehler im Mediensektor: Produkte werden mit Blick auf das eigene Unternehmen, nicht auf die Leser, also die Kunden, entwickelt.
Der Grund dafür liegt in der Geschichte der Medienbranche. Wie Warren Buffett vor langer Zeit konzis feststellte, entsprachen Medienunternehmen Ende des letzten Jahrtausends Franchises. Sie brachten Verwalter, keine Gestalter hervor, weil sie nur ersteres brauchten. Die Folge ist eine starke strukturelle Ich-Bezogenheit der Unternehmen.
Weiter im Dev-Blog des Spiegels:
In vielen Gesprächen mit Lesern haben wir erfahren, dass unsere bisherige Produkt- und Angebotskonstruktion eher verwirrt, als dass sie durch Vielfalt die verschiedensten Zielgruppen individuell anspricht. Dazu kommt, dass die vielen Preise von Einzelartikeln, mehreren Wochenpässen und Monatsabos verwirren. Die bisherigen Angebote wurden preislich nicht zwingend als logisch empfinden, alle zusammen aber als unlogische Struktur.
Ich vor einem Jahr:
So wenige Produkte, so komplizierte Preise.
Im Sommer letztes Jahr schrieb ich nach den ersten Monaten Spiegel Daily:
Spiegel Daily ergibt hinten und vorn keinen Sinn. Die Existenz von Spiegel Daily und die zum Teil positiven Stimmen aus der Branche zeigen ein desolates Bild der deutschen Medienlandschaft auf. Gerade die Spiegel-Gruppe, die im Netz mit Spiegel Online so erfolgreich ist, sollte es besser wissen. Wie konnte diese Publikation, so wie sie gelauncht ist, intern nicht gestoppt werden?
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Dass es den deutschen Medien, im internationalen Vergleich, immer noch relativ gut geht, deutet auf mehr Glück als Verstand.
Jetzt kommt eine Flatrate, also eine Paywall mit einem Preis für alles zu zahlende, bei Spiegel. Spiegel-Dev-Blog:
Eine Flatrate für alles Digitale vom SPIEGEL: Als wir im Februar unsere Vorarbeiten abgeschlossen hatten, war klar, dass wir mit einem All-inclusive-Preis von 19,99 Euro pro Monat starten werden. Dafür bekommen Nutzer wirklich alles: exklusive Texte auf der Nachrichtenseite, ein tägliches Daily-Update (an sich gratis, aber mit einzelnen Paid-Texten), das ganze wöchentliche Magazin als Wochenendlektüre — und das zu einem Preis, der im Markt am unteren Rand liegt. Außerdem hatten wir eine besondere Idee für eine besondere Zielgruppe: Für alle unter 30, die bekanntlich noch nicht so viel verdienen, wird SPIEGEL+ nur 11,99 Euro pro Monat kosten.
Daily wird künftig eine Unterkomponente statt ein separates Produkt ohne Daseinsberechtigung.
Der Titel “Daily” etwa wird erhalten bleiben, mit Kolumnisten wie Harald Schmidt; aber eben nicht als eigenständiges Produkt DAILY, sondern als Push-Angebot unserer Nachrichtenseite für Apps, Messenger und Newsletter. Wir haben gelernt, dass sich diese Darreichungsformen für den Use Case “Einmal täglich die Welt anhalten” besser eignen dürften als ein eigenständiges Produkt.
Das ist alles richtig und wichtig, hätte aber auch bereits vor einem Jahr ohne Müh erkannt werden können. (Manchmal braucht es aber eben erst Personalwechsel.)
Grundsätzlich steht der Spiegel mit der neuen Strategie sehr viel besser dar als mit dem, was man vor einem Jahr gemacht hat. Aber das ist nun wahrlich keine Messlatte, an der sich irgendjemand messen sollte.
Man möchte beim Spiegel, auch gern gemacht im Mediensektor, allerdings die Torte essen und aufheben:
Die alte Branchendiskussion, ob das klassische Reichweitenmodell im Netz und Paid-Content-Ansätze überhaupt zu vereinbaren sind, ist endgültig obsolet geworden. Beides gehört zusammen; mit Bezahlmodellen monetarisiert man eine möglichst große Reichweite einfach noch mal anders.
Würde man wirklich daran glauben, wäre eine andere Strategie angesichts der hohen Reichweite von Spiegel Online konsequenter: Eine monatliche Gebühr auf Netflix-Höhe (so wie sie für Leser unter 30 angeboten wird). Und dann alles tun, um so auf Masse zu kommen. Als Inspiration würde sich auch (in Teilen) Medium anbieten.
Über Spiegel hinaus: So oder so steckt hinter dieser Denkweise das Hauptdilemma der traditionellen Medien:
* Werbung funktioniert online für sie nicht im für sie notwendigen Ausmaß.2
* Alle Inhalte und Strukturen der Publikumsmedien sind aber auf Masse ausgelegt.
* Also muss notwendig ein Erlösmodell abseits von Werbung gefunden werden.
* Und also muss dieses neue Erlösmodell genau so gut und besser als Werbung für den Massenansatz funktionieren.
Was uns zum oben angesprochenen, regelmäßig im Mediensektor wiederholten Fehler zurückbringt:
Produkte werden mit zu starkem Blick auf das eigene Unternehmen, nicht auf die Leser, also die Kunden, entwickelt.