1. Feb. 2024 Lesezeit: 5 Min.

Wenn Steady in die Werbung geht

Wenn Steady in die Werbung geht
Steady sagt, sie haben alles

Ich war letztes Jahr auf einem Event für Kreativschaffende, auf dem sich auch Steady den potenziellen Steady-Kund:innen vorstellte.

Es war sehr erhellend, wie sich Steady da präsentierte. Steady, aus dem Krautreporter-Umfeld entstanden, ist ursprünglich als eine Art deutsches Patreon gestartet und hat sich in den letzten Jahren mehr in Richtung deutsches Substack entwickelt. Das liegt zum einen am wirklich beachtlichen Erfolg von Substack im Journalismus-Bereich1 und natürlich daran, dass Steadys Gründungshintergrund nicht YouTube-Band sondern Journalismus ist.

Steady hat sich über die Jahre damit als eine Art deutsches Patreon/Substack etabliert, das eben mittlerweile von Newslettern und Podcasts dominiert wird.

Ich wurde über die Jahre immer das Gefühl nicht los, dass Steady weit hinter den Potenzialen dieses riesigen Feldes zurückbleibt. Steady ist ein langsamer Follower, der manche, aber nicht alle Features des großen US-Vorbildes umsetzt. Und oft macht Steady, bei aller Freude, die man haben sollte, dass es das Unternehmen in Deutschland gibt, den Eindruck, als wäre es manchmal ein bisschen, wie soll ich sagen, unterambitioniert.

Wenn man sich fragt, wie man ein deutsches Tech-/Online-Unternehmen einordnet, dann lohnt sich als erster schneller Pi-mal-Daumen-Blick folgende Frage: Würden wir über dieses Unternehmen hierzulande reden, wenn es genau dieses Unternehmen exakt so in den USA2 geben würde?

Wenn wir diese Frage auf die zwei KI-Unternehmen in der EU anwenden, welche die meisten Schlagzeilen gerade produzieren, dann kommen diese Ergebnisse heraus:

  • Mistral AI: Ja.
  • Aleph Alpha: Nein.

Wenden wir die Frage auf Steady an, dann ist das auch ein sehr eindeutiges Nein. Steady sticht an keiner Stelle heraus oder macht etwas besser als die internationalen Konkurrenten. Vieles gleich, manches anders, aber nichts wirklich herausstechend besser.

Steady hat einen großen Vorteil. Als deutsches Unternehmen haben sie viele deutsche Creators und Medienunternehmen gewonnen und damit auf der anderen Seite auch deren Unterstützer:innen bekommen. (Dazu zählen Uebermedien, Perlentaucher, Social Media Watchblog etc.)

Das ist nicht zu unterschätzen. Steady vereint auf der Plattform viele Menschen, die bereits für ein oder mehrere deutsche Projekte bereit sind zu bezahlen. Die notwendigen Informationen für Bezahlung sind bereits hinterlegt. Ein weiteres Projekt ebenfalls zu unterstützen, ist dann ein kleiner Schritt. Die bestehende Abonnent:innenmasse auf Steady ist der wichtigste, aber vielleicht auch der einzigste Grund, der aktuell aus Publisher/Creator-Sicht für Steady spricht.

Warum startet Steady nicht durch in Deutschland, warum macht es nicht (positive!) Schlagzeilen wie Substack als wirtschaftliche Basis für Online-Journalismus abseits der großen Presseverlage und mehr?

Ich glaube, es liegt in der Eigenwahrnehmung des Unternehmens und der internen Stoßrichtung, die zumindest bis vor einem Jahr so auch nach außen kommuniziert wurde:

Der Steady-Vertreter auf besagtem Event bestand im Gespräch mit den interessierten Kreativschaffenden darauf, dass sie Steady als freiwillige, spendenartige Zahlungen vom bestehenden Publikum verstehen sollten, statt Dinge zusätzlich nur für Mitglieder zu machen. Macht weiter, was ihr bisher macht und nehmt Steady hinzu.

Das ist eine Aussage von einem Unternehmen, dass sich als Unterstützer kleiner Liebhaberprojekte sieht, als Enabler von Hobbyprojekten, die vielleicht, vielleicht auch nicht, größer werden könnten.

Das deckt sich nicht nur mit meiner Wahrnehmung, dass Steady mehr sein könnte als es ist, sondern auch mit den Gesprächen, die ich über die Zeit mit potenziellen oder ehemaligen Steady-Nutzer:innen geführt habe.

  • Eine:r meinte, Steady käme für das eigene Projekt nicht in Frage, weil die Ansprache/Kommunikation des Unternehmens mit den Abonnent:innen der Publisher nicht professionell genug wäre. (Klar, es geht für Steady schließlich um die Kommunikation von Fans und Macher:innen von Hobbyprojekten.)
  • Ein:e Ander:e meinte, dass Steady zu wenig für Reichweitenwachstum ermögliche und sich eher als Abwicklung für bestehende Projekte statt für den Aufbau neuer Projekte sehe. Steady eigne sich nicht wirklich als Destination/Hauptsite des Projekts. (Klar, es geht für Steady schließlich um die Erweiterung von Hobbyprojekten um freiwillige Fan-Zahlungen.)

Ich finde das als Ansatz persönlich durchaus sympathisch, aber es dürfte deutlich geworden sein, wie schnell daraus enorme Opportunitätskosten nicht nur für Steady sondern auch für die Creators und Publisher erwachsen, die Steady für ihre Projekte nutzen.

Vor diesem Hintergrund muss man, finde ich, lesen, was Gabriel Yoran auf LinkedIn letzte Woche verkündete:

Bei Steady wird es demnächst die Möglichkeit geben, Newsletter zu sponsern, darunter die von Nils Minkmar und Bestseller-Autor Daniel Schreiber und den Newsletter des Jahres „Das Leben des Brain“ von Bent Freiwald. Entweder gezielt oder als Paket. So lässt sich ein vielseitig interessiertes und sehr aufmerksames Publikum erreichen, und zwar im persönlichen Kontext des bewusst abonnierten und gelesenen Newsletters.

Über diese Möglichkeit möchte ich gerne mit Werbetreibenden und Mediafacheleuten sprechen. Über eine Direktnachricht würde ich mich freuen!

Steady macht jetzt also auch Werbung.

Das ist erstmals eine signifikante Abweichung von der zeitverzögerten Umsetzung der Substack-Roadmap.

Auf der einen Seite ergibt das Sinn. Denn Steady hat sich darauf fokussiert, freiwillige finanzielle Unterstützung ohne Gegenleistung zu ermöglichen. Bezahlschranken und gated Content gehen auch mit Steady, waren aber nicht der Fokus des Unternehmens. Werbung als zweiteren Erlösstrom für öffentliche Inhalte ist naheliegend.

Es ist auch naheliegend, dass Steady das als Mittelsmann angeht. Es kann die Newsletter bündeln und ein hochwertiges Umfeld anbieten, das nicht nur Reichweite hat sondern auch einzigartig ist.

Aber man kann es auch negativer lesen.

Wer einmal wie etwa Nils Minkmar (oder beispielsweise Uebermedien, die größte Bezahlschranke bei Steady) sein eigenes Publishingprojekt auf Steady aufsetzt, begibt sich in eine ausgesprochen extreme Abhängigkeit.

Denn Steady übernimmt die komplette Abwicklung des Payments. Das heißt, alle, die einmal einen Teil ihres Publikums für kostenpflichtige Abos/Mitgliedschaften/Spendenartige Zahlungen gewinnen konnten, können Steady nicht mehr verlassen, ohne Gefahr zu laufen einen signifikanten Teil des zahlenden Publikums zu verlieren. (Weil solcher Zusatzaufwand immer zu mehr Churn führt.)

Im Gegensatz dazu setzen Substack, Ghost, Beehiiv, Convertkit, ButtonDown, Memberful (was wir hier für das Mitgliederangebot nutzen) und nahezu alle anderen Creator-Dienste für Zahlungen auf den Dienstleister Stripe. Die genannten Dienste sind im Grunde nur das Frontend, während das wichtige (Payment-)Backend beim Stripe-Account der Publisher liegt.

Das ist der Grund, warum Substack-Newsletter wie Casey Newtons Platformer nahezu problemlos von Substack an andere Orte wechseln konnten. Sowohl die Abonnent:innen des kostenlosen Newsletters als auch die zahlenden Abonnent:innen des kostenpflichtigen Newsletters mussten nichts machen.

Das gilt für Steady-Publisher nicht.

Nehmen wir hinzu, dass Steady ebenfalls wie Substack vergleichsweise hohe 10 Prozent der Einnahmen als Gebühr einbehält, aber im Gegensatz zu Substack hohen Lockin und geringe netzwerkbedingte Wachstumseffekte ermöglicht, dann ergibt das kein gutes Gesamtbild.

Wir brauchen nicht viel Fantasie, um uns in dieser Situation unzufriedene Publisher vorzustellen, die von Steady mehr erwarten, eben weil sie nicht unproblematisch den Dienstleister wechseln können.3

Also: Werbung.

Es ist auch auf gewisse Art eine Kapitulation. Steady scheint nicht ausreichend Wachstum auf der Abo-Seite zu sehen oder zu erwarten.

Dabei ergibt sich aus der starken Position von Steady in Deutschland und des Aspekts als Paymentmittelsmann direkt ein sehr viel vielversprechender Schritt sowohl für Steady als auch für die Publisher: Bündel-Features. Aber auch dafür müssen die deutschen Steady-Publisher wohl wieder zuerst darauf warten, was Substack vormacht. Und selbst dann: Für die Projekte ohne kostenpflichtige Mitgliederinhalte ist auch das keine Hilfe.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Steady, das aus dem Krautreporter-Umfeld erwachsen ist, stattdessen jetzt zur Werbeagentur wird.


  1. Der erstmals massgeblich Rückschläge durch die jüngsten Nazi-Geschichten einstecken musste.
  2. Oder Kanada, Israel, China, Indonesien, etc.
  3. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass das reinste Vermutungen meinerseits sind. Ich habe keine Insider-News. Vielleicht sind sie auch alle glücklich. (Unlikely.)
Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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