Als ich über das Versagen der offenen Webstandards schrieb, antwortete ich in den Kommentaren auf Carsten Pötter mit folgender Aussage:
"Eines ist natürlich auch klar: Webstandards ohne die Beteiligung und ausdrückliche Unterstützung (=Implementierung in den eigenen, wichtigen Produkten) der großen Player wird es vorerst nicht mehr geben."Es gibt aktuell einfach keine dezentrale Anlaufstelle, von der irgendetwas ausgehen könnte. Wobei es natürlich zum Beispiel immer noch Wordpress gibt, das wohl die am weitesten verbreitete Open-Source-Software (im Sinne von auf Servern installiert und im aktiven Betrieb) sein dürfte. Dass von Wordpress und Automattic nichts, überhaupt nichts, abseits von Backend-Feinjustierungen kommt, ist allerdings auch richtig frustrierend. Vielleicht wäre es Zeit für ein Wordpress-Fork.
Wordpress hat meines Wissens nach die größte Installationsbasis von Open Source im Sinne von aktiven Instanzen auf unabhängigen Servern.
Die Wordpress-Macher Automattic haben in den letzten Jahren vor allem eins bewiesen: Dass ihnen zur Weiterentwicklung von Wordpress nicht mehr einfällt, als kosmetische Anpassungen des Backends und das Stopfen von Sicherheitslöchern.
In der Zwischenzeit sind Konkurrenten wie Tumblr an Wordpress trotz späterem Start herangekommen. Warum? Weil sie sehr viel effektiver die Informationsströme auf der Plattform schleusen.
Das ist besonders deswegen so bedauerlich, weil Wordpress im Gegensatz zu allen anderen Unternehmen eben neben dem erfolgreichen eigenen Hosting auch eine sehr starke dezentrale Basis hat.
Automattic könnte diese Basis für vieles nutzen. Für nichts, das über das klassische Blog-Konzept hinausgeht, haben sie sie bis jetzt genutzt.
Anlässlich der Bekanntgabe, dass Wordpress.com jetzt 60 Millionen Blogs verzeichnen kann, gab man bei Automattic nun auch bekannt, etwas mehr Richtung social zu machen, denn, Überraschung, das sorgt für mehr Bewegung auf der Plattform:
“The things that are ultra compelling are more social features,” Mullenweg said in an on-stage interview with Mathew Ingram at the GigaOM RoadMap conference in San Francisco Thursday. The company is especially jazzed about the engagement it gets from adding social features to the platform. “We were typically doing ten page view per unique user. With some of this new [social] stuff, we see that go up an order of magnitude.”
Automattic zeigte allerdings bei der Weiterentwicklung von Wordpress in den letzten Jahren noch weniger Vision als Google bei Google+: Zuletzt hat man für Wordpress.com die Notifications von Google+ nachgeahmt. Wordpress.org-Nutzer gingen wieder leer aus.
Deswegen wäre es Zeit für einen Fork von Wordpress.
Ein Startup, das diese Herangehensweise wagt, hat sofort einige Vorteile:
- Eine große dezentrale Basis, an die man andocken kann. Das umschließt neben vielen Amateurblogs auch viel professionelle Onlinepublikationen, die für jeden Weg der Trafficsteigerung dankbar sind.
- Ein Plugin-Ökosystem, auf dem aufsetzen kann. Die aktuellen Schnittstellen kann man erweitern. Solang Rückwärtskompatibilität gegeben ist, hat man auch Entwickler schnell auf seiner Seite.
- Ein Plattformprovider, der wiederholt gezeigt hat, dass er nicht weiß, wie er die vorhandene Basis besser vernetzen und damit stärker machen kann. Das bedeutet einen erheblichen Vorteil, wenn man ganz bewusst in diese Richtung geht.
Dass Forks von Open-Source-Plattformen, die von lahmen Plattformprovidern gestellt werden, erfolgreich sein können, wird Amazon in den nächsten Tagen und Wochen mit seinem Kindle Fire zeigen.
Diaspora etwa hätten gut daran getan, ein solches Vorgehen zu überdenken, bevor sie der Wahnvorstellung erlagen, sie könnten erfolgreich etwas von Null aufbauen.
Was ein solches Startup mit einem Wordpress-Fork machen könnte:
- Eine eigene Plattform aufbauen, die Tumblr und co. stärker ähnelt und Blogging und Social Network miteinander verbindet.
- Gleichzeitig mit dem eigenen Wordpress-Fork und einem Plugin für reguläre Wordpress-Instanzen die Vernetzungsmöglichkeiten der zentralen Plattform für die selbst gehosteten Instanzen herstellen.
- An speziellen Versionen für professionelle Publisher, Ein-Mann-Projekte und simple Hobby-Blogger arbeiten.
- Gerade im Verbund mit Wordpress.org liese sich mit offenen Standards zusätzlich sehr viel Good Will bei Entwicklern und Techbloggern ernten. Im Gegensatz zu Diaspora wäre er sogar gerechtfertigt.
Alles in allem ginge es immer um eine Gratwanderung zwischen Dezentralität (Ich hoste mein Wordpress selbst.) und Zentralität (über unsere Plattform und andere Netzwerkknoten vernetzt ihr euch). Darum, aus beiden Welten das beste zu verbinden. (Automattic selbst hat ein Beispiel für die perfekte Verbindung mit dem Spamfilter Akismet aufgezeigt.)
Die Chance ist da.
Denn eins ist klar: Von Automattic sollte man mittlerweile nicht mehr erwarten, als Tumblr- und G+-Kopiefeatures für Wordpress.com und neue hübschere Dropdown-Menüs für den Admin-Bereich von Wordpress.org.