16. Sep. 2010 Lesezeit: 5 Min.

Kann man Entwicklung der Internetregulierung mit StVO-Entwicklung vergleichen?

Auf dem all2gethernow letzte Woche war ich auch auf einem Panel mit dem Titel Analyse zur Strukturkrise der Musikwirtschaft - Wohin bewegt sich das Netz?. Im Wesentlichen stellten Lukas Schneider und Stefan Herwig vor der Diskussion eine Analogie vor, die im Anschluss von den Panel-Mitarbeitern diskutiert wurde. Die Analogie fasse ich im Folgenden kurz zusammen:

Wir hatten bereits einmal einen gesellschaftlichen Raum, der unreguliert war und durch technologische Veränderungen zu Veränderungen geführt hat: Die Straßen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Automobilen kam es vermehrt zu Verkehrsunfällen. Der mehr oder weniger unregulierte Raum wurde durch die Straßenverkehrsordnung mit Regeln versehen, die allgemein verständlich beziehungsweise erlernbar waren. Die negativen Effekte des Technologiefortschritts wurden so durch die Regulierung minimiert. Ähnliches lasse sich heute beim Internet beobachten.

So weit die Ausführungen von Schneider und Herwig. Ihre aus ihrer Analogie gefolgerten Forderungen waren etwas schwammig, aber grundsätzlich ging es um eine Art von Plattformproviderhaftung, die sicherstellen sollte, das Angebote wie Rapidshare unmöglich werden und Urheber grundsätzlich die Kontrolle über den Distributionskanal ihrer digitalen Inhalte zurückerhalten.

Ich habe auf dem Panel mit einigen Argumenten dem gezeichneten Bild entgegengehalten und fasse diese im weiteren kurz zusammen, da die Diskussion beziehungsweise der Vergleich mit der StVO auch bereits an anderen Stellen gefallen ist. Es ist eine nette, medienkompatible Narration, die sich durchaus durchsetzen könnte. Deshalb gilt es, einiges davon in's rechte Licht zu rücken:

Marktversagen: Schneider und Herwig warfen das Wort Marktversagen in die Runde, ohne abzugrenzen, um welchen Markt es geht. Tatsächlich wurde ein Marktversagen von ihnen festgestellt, weil Musikaufnahmen in ihrer digitalen Form zu öffentlichen Gütern werden. Was mich gleich zu meinem ersten Einwurf bringt: Wenn wir den Kreativsektor oder hier den Musiksektor als Ganzes betrachten und uns nicht auf den Markt für den Verkauf von Musikaufnahmen beschränken (was angesichts der verschiedenen Erlösströme innerhalb des Musiksektors dringend gegeben ist), stellen wir zunächst fest, dass der Umsatz der gesamten Musikbranche in Ländern wie UK (die PRS-Studie erwähnte ich auch während der Diskussion) und Norwegen steigt. Steigender Gesamtumsatz in einem Markt ist schwerlich mit einem Marktversagen vereinbar, wie ihn Schneider und Herwig sehen: Die Anbieter-Seite kann keine Einnahmen mehr erzielen, weil ihre Güter zu öffentlichen Gütern wurden. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr findet eine Reallokation und Umstrukturierung der Erlösströme statt.  Deswegen hatte ich auch während der Diskussion angeführt, dass wir hier ein wenn schon dann bei einigen Parteien auftretendes Geschäftsmodellversagen statt Marktversagen vorfinden.

Urheberrecht und der StVO-Vergleich: Herwig und Schneider suggerierten mit ihrem Vergleich, dass wir heute ein Recht haben, das sich in einer Situation befindet wie ein Recht, das sich an Kutschen orientiert, aber mit Automobilen mithalten muss. Das Bild ist nicht schlecht. Die Implikation aber, dass mehr Regulation und/oder stärkere Bestrafung wie im Fall der StVO, der richtige Weg sind, ist irreführend. Um das Bild rund zu machen, müssen wir den Vergleich ausbauen, wie ich es auch während der Diskussion getan habe:

Das heutige Urheberrecht und das Internet wären mit dem Straßensystem und dem Entstehen der StVO nur vergleichbar, wenn wir von einer StVO ausgehen, die nur eine Obergrenze von 10 km/h auf den Straßen erlaubt, weil Pferdekutschen in der Regel auf sichere Art gar nicht schneller fahren können. (Willkürlich gewählte Geschwindigkeit) Jetzt passieren vermehrt Verkehrsunfälle, weil wir mit schnelleren Automobilen fahren, die auch wesentlich schneller als 10 km/h fahren können. Das Äquivalent zum Ruf nach umfassender Internetregulierung wäre folgendes: Wir setzen die umfassende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 5 km/h herunter. Das eliminiert das Potential für Verkehrsunfälle nahezu komplett, aber jedem sind die gesellschaftlichen Kosten einer solchen drastischen Regulierung ebenfalls klar.

Das Vergleichbare ist, was aktuell im Urheberrecht passiert: Durch das Internet wurden viele Aktivitäten möglich, die vorher in dem Ausmaß nicht möglich waren. Statt dass sich dieses in der Weiterentwicklung des Rechts widerspiegelt, also dass eine Verschiebung an Rechten in beide Richtungen stattfindet, wird das Urheberrecht restriktiver. Mehr Möglichkeiten treffen auf ein zunehmend restriktiveres Recht. Das keine gesellschaftlich wünschenswerte Lösung sein. (Nebenbei: In keinem westlichen Land wurde Urheberrecht oder Copyright seit seiner jeweiligen Einführung jemals gelockert und immer über die Zeit stückweise weiter verschärft.)

Filesharing und der Verkehrsunfall-Vergleich: Das ist einfach: Filesharing, ob autorisiert oder unautorisiert, hat für die 'Betroffenen' auch positive Effekte, Verkehrsunfälle nicht. Auf Filesharing (beziehungsweise das kostenlose Bereitstellen von Inhalten wie Musik) lassen sich Geschäftsmodelle aufbauen. Das mag für den einen besser funktionieren als für den anderen. Aber es beweist auch, dass Filesharing kein Diebstahl, keine Verschmutzung oder ähnliches sein kann oder damit verglichen werden kann. Denn auf Diebstahl, Verschmutzung und Verkehrsunfällen lassen sich keine Geschäftsmodelle von den Betroffenen aufbauen.

Verständliche Regeln: Hier stimme ich Herwig und Schneider zu. Das Urheberrecht war ein Recht, das vor allem auf dem Markt agierende Parteien tangierte, also in erster Linie Unternehmen. Jetzt kommt jeder, der einen Internetzugang hat, automatisch in Kontakt mit dem Urheberrecht, und zwar auf eine Art, die das Verletzen des aktuellen Rechts eine Frage der Zeit macht. Das Recht muss nicht nur inhaltlich angepasst werden, sondern auch in seiner Ausformulierung, so dass es für normale Bürger leicht verständlich wird.

Plattformproviderhaftung: Wir wollen, dass Rapidshare aufhört, mit unautorisierten Downloads Geld zu verdienen. Wir wollen von YouTube verlangen können, dass sie erst gar keine unautorisiert hochgeladenen Videos auf ihrer Plattform freischalten. usw.

Das sind nachvollziehbare Forderungen, die man durchaus diskutieren kann. Die Frage, die sich stellt, lautet: Wie sehen Nutzen und Kosten für die Gesellschaft aus? Um diese Frage klären zu können, muss man zunächst definieren, wer umfänglich wofür haftbar gemacht wird. Die Betreiber von Rapidshare und YouTube für Inhalte auf ihren Plattformen? Die Betreiber von Suchmaschinen wie Google für Links zu illegalen Angeboten? Betreiber von BitTorrent-Trackern für Torrents (die selbst nur Links sind)? Betreiber von Webhosting für Inhalte auf bei ihnen gehosteten Blogs?

Eine weitere zu klärende Frage: Wie sollen an der Inhalteproduktion unbeteiligte Plattformprovider wie YouTube wissen, wann ein Video autorisiert oder unautorisiert auf ihre Plattform hochgeladen wurde? Der Fall Sixtus vs. GVU hat gezeigt, dass selbst Urheberrechtsexperten nicht exakt bestimmen können, ob ein publizierter Inhalt mit den entsprechenden Rechten hochgeladen wurde oder nicht. Die Urheberrecht-Situation und mehr noch die Copyright-Situation im angelsächsischen Raum ist weitaus komplexer als oft suggeriert wird. Ein umfängliche Plattformproviderhaftung würde (nicht nur) UGC-Angebote komplett lahmlegen, weil die (juristischen und administrativen) Kosten in den meisten Fällen nicht mehr tragbar wären. So problematisch die dadurch möglich gewordenen Takedown-Notices auch sind, so muss man festhalten, dass der DMCA in den USA bis dato den besten Kompromiss in diesem Feld bedeutet, weil er gleichzeitig einen gewissen Schutz für UGC-basierte Angebot bietet.

Ich habe diese Fragen während der Diskussion gebracht, diskutiert wurden sie allerdings nicht ausführlich.

Plattformproviderhaftung ist ein weites Feld und ein Unterfeld der Thematik der Plattformregulation, die hier zum Thema Plattformneutralität schon mal kurz angeschnitten wurde, und mit der ich mich demnächst auf neunetz.com näher beschäftigen will. Zu fordern, dass auf User Generated Content setzende Plattformen stärker in die Haftung genommen werden müssen, greift zu kurz, weil oft die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Kosten ausgeblendet werden. (Wenig verwunderlich, wenn man die Quellen solcher Forderungen betrachtet.)

Fazit: Wilde Vergleiche mit irreführenden Vereinfachungen machen die Debatte nicht unbedingt einfacher.

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netzpolitik.org hat auch eine Zusammenfassung der Diskussion veröffentlicht.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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