Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes soll einmal gesagt haben: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“
Sascha Lobo schreibt zu Siegfried Kauder und dessen Urheberrechtsverletzungen:
Es gibt Kräfte, die das Urheberrecht abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben wollen. Dieses Vorhaben ist politisch auch ihr gutes Recht, die Begründungen dafür sind nicht mehr so hanebüchen wie vor ein paar Jahren, sondern kommen zunehmend intelligent und durchdacht daher. Wie beschrieben, halte ich diese Überzeugung für unrichtig, selbst wenn ich sie ernst nehme.
Er konkretisiert die von ihm identifizierten Kräfte in einem Kommentar:
[..]da verweise ich auf Dirk von Gehlen, der jüngst das Buch “MashUp – Lob der Kopie” geschrieben hat bei Suhrkamp sowie das Blog http://neunetz.wpengine.com von Marcel Weiß. Mit beiden bin ich schon mehrfach, sagen wir, aneinandergeraten zu dem Thema, weil ich eben anderer Meinung bin – aber musste jedesmal zugestehen, dass ihre Gedanken genau das waren: nicht unintelligent und durchdacht. Selbst, wenn ich vor allem Marcels Einstellung als Katastrophe empfinden würde, würde sie in Gesetztesform gegossen.
Ich weiß nicht, was Sascha Lobo als meine Einstellung glaubt, identifiziert zu haben.
Ich bin der Meinung, dass wir ein neues, angepasstes Urheberrecht brauchen. Das ist grundsätzlich erst einmal nicht so verschieden zu Sascha Lobos Position.
Die meisten Artikel hier zum Thema Filesharing und Urheberrecht sind allerdings beschreibend und nicht fordernd. Der Grund dafür ist relativ offensichtlich, wenn man sich etwas länger mit dem Thema beschäftigt: Es ist unglaublich, wie viele falsche Annahmen zu dieser Thematik kursieren. Die meisten Debatten basieren schlicht auf irreführenden Prämissen, die erst einmal widerlegt werden müssen, bevor man zielführend über eine Lösung sprechen kann.
Was ist meine Position, die Sascha Lobo als Katastrophe bezeichnet?
Ich bin der Meinung, dass das aktuelle Urheberrecht mit vollkommen überzogen langen Fristen versehen ist, die in keinster Weise gerechtfertigt sind. Das ist eine Erkenntnis, zu der man unabhängig von der Digitalsierung kommen kann. (Die Forscher, die sich mit dem Thema beschäftigen, kommen auf eine optimale Frist von ungefähr 15 Jahren.) Aber die Digitalisierung verstärkt durch die neu entstehenden Möglichkeiten die Nachteile zu langer Fristen noch zusätzlich:
Die Tatsache, dass wir durch das Internet eine Explosion nichtkommerzieller Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke erleben (von musikalischer Untermalung des Urlaub-Videos auf Youtube über Filesharing bis hin zu Mashups und Coverversionen), die gleichzeitig entgegen den öffentlichen Äußerungen von Lobbyisten sehr viel leichter verfolgbar sind als ihre Offline-Äquivalente, macht die bereits vorher existierende extreme Schieflage im Urheberrecht zu einer kulturellen Katastrophe.
‚Lediglich‘ die schiere Masse der Verletzungen und Hürden wie der Rechtsstaat macht das Verfolgen kommerziell unattraktiv für einige Unternehmen, deren Geschäftsmodell mit der Trennung von Produktion und Distribution nicht kompatibel ist. Wie ich bereits schrieb: Eine Explosion.
Bin ich für die Abschaffung des Urheberrechts? Nein. Aber es gibt bessere Argumente für die komplette Abschaffung als für die Ausweitung des Schutzes in unserem aktuell bereits sehr rigiden Urheberrecht. Erstaunlicher- und zermürbenderweise wird in der Öffentlichkeit praktisch nur letzteres diskutiert.
Wenn ich es nicht abschaffen will, was schwebt mir dann stattdessen vor?
Ein genaues Modell habe ich noch nicht ausgearbeitet, aber die Grundzüge umfassen (sehr viel) kürzere Fristen und eine Schutzlockerung für nichtkommerzielle Nutzungsarten, die massenhaft von der Bevölkerung durchgeführt werden und deren effektive Verfolgung nur mit der Verletzung von Menschenrechten möglich ist.
Würde das Urheberrecht damit ‚abgeschafft oder unwirksam‘, wie Sascha Lobo unterstellt, dass ich es will?
Hier kommen wir wieder zurück zu den Prämissen unter denen über das Urheberrecht diskutiert wird.
Was definiert ein unwirksames Urheberrecht?
Unabhängig von seiner leider starken personenrechtlichen Anlegung ist das gesamtgesellschaftliche Ziel des Urheberrechts das Gleiche wie beim etwas besser angelegten angelsächsischen Copyright: Einen Schutz schaffen, der ökonomische Anreize bildet, so dass Kunst, Kultur und Wissen erzeugt werden.
Ein unwirksames Urheberrecht wäre also eines, dass keine Anreizbildung mehr schafft.
Wenn sich die Fakten ändern.
Ich habe vor einigen Jahren, gegen 2006, angefangen, mich mit dieser Thematik näher auseinanderzusetzen. Als ich damit anfing, war meine Position geprägt von dem, was der normale Bürger vom massiv erfoglreichen Lobbyismus der Tonträgerindustrie eingeimpft bekommt: Ich fand, das unautorisiertes Filesharing der Musik insgesamt schadet, ich hielt es fälschlicherweise für Diebstahl, und fand, dass es aufhören muss, damit die Musikbranche weiter existieren kann. Wenn es unautorisiert ist, dann kann es nur Nachteile für die Urheber haben, habe ich gedacht. (Es fing alles mit der Musik an.)
Diese Position erscheint auf der Oberfläche, wenn man sich nicht näher damit beschäftigt, unglaublich offensichtlich. Wie könnte jemals jemand anderer Meinung sein?
Man kann zu einer anderen Position gelangen, wenn man sich mit dem Thema näher beschäftigt und feststellt, dass es um ein ökonomisches Problem geht, dass Märkte keine Nullsummenspiele sind und dass manchmal Dinge in der Wirklichkeit ganz anders aussehen, als man sie, nur mit Bauchgefühl ausgerüstet, vermuten würde.
Glücklicherweise gibt es mittlerweile Studien und wissenschaftliche Abhandlungen, welche die bereits länger bekannten Theorien zur Auswirkung von unautorisiertem Filesharing und von Urheberrechtsverletzungen untermauern:
- Studien: Künstler verdienen im Filesharing-Zeitalter mehr als zuvor
- Gesamtumsatz der Musikbranche wächst in Norwegen, Schweden, UK und USA
- Unveröffentlichte GfK-Studie: Nutzer von kino.to sollen überdurchschnittlich oft ins Kino gehen
- LimeWire-Nutzer waren auch die besten iTunes-Kunden
Die verlinkten Studien repräsentieren nur einen Bruchteil der Forschung zum Thema. Sie dürften aber klar machen, dass es hier um etwas komplexeres geht als ein einfaches „Mehr Kontrolle ist besser“. (Tatsächlich zeigen die Studien zur Musikbranche auch, dass eine de facto Schwächung des Urheberrechts (nichts anderes ist Filesharing) auch zu einer ökonomischen Stärkung der betroffenen Branchen führen kann. Urheberrechtsfundamentalisten behaupten immer das Gegenteil: Weniger Urheberrechtsschutz bedeutet weniger Kultur. Das Problem ist nur, dass es für diese Behauptung keine Beweise gibt, da es in der westlichen Geschichte des Urheberrechts/Copyrights nie eine Lockerung des selbigen gab. (Auch etwas, über das man einmal nachdenken sollte.) Mit Filesharing gibt es nun genau das de facto, wenn schon nicht de jure, und die Auswirkungen sehen für gesamte Branchen nicht so aus, wie oft behauptet.)
Das Urheberrecht ist ein Kompromiss, ein Interessensausgleich. Das war es immer und das wird es immer sein. Deswegen ist die personenrechtliche Ausrichtung des Rechts so problematisch: Sie ist eigentlich mit der zeitlichen Begrenzung des Rechts nicht vereinbar.
Warum haben wir überhaupt eine zeitliche Begrenzung des Rechts?
Weil Ideen, weil Wissen und Kultur, der Gesellschaft mehr nützen, wenn die Gesellschaft auch über sie verfügen kann. Und je weniger restriktiv dieser Zugang ist, desto besser.
Ein „unwirksames Urheberrecht“ ist demnach auch ein Recht, das diese Nutzung unnötig erschwert. Weil es dann entgegen seines Bestimmungsgrundes wirkt. Ein Recht also, das einigen wenigen Interessenten ein Monopol gibt, für das diese keine entsprechende gesellschaftliche Gegenleistung erbringen müssen.
Was meine ich mit fehlender gesellschaftlicher Gegenleistung? Zum Beispiel eine rückwirkende(!) Verlängerung des Leistungsschutzes für Tonaufnahmen von 50 auf 70 Jahre: Es kann nicht rückwirkend Anreiz geschaffen werden. Es kann nicht rückwirkend mehr Kultur entstehen. Stattdessen wird auf diesem Weg Kultur behindert, weil die Kontrolle, und damit die Einschränkung bei der Nutzung, verstärkt wurde. Was vielleicht entstehen könnte, kann nicht entstehen.
Wenn wir das Urheberrecht als den Ausgleich begreifen, der es ist, dann ist eine Forderung nach weniger Schutz nicht gleichbedeutend mit einer Forderung nach einem unwirksamen Urheberrecht. Von der heutigen Situation ausgehend, ist sogar das Gegenteil der Fall. Eine Schutzfristverkürzung würde das Urheberrecht wirksamer machen, weil insgesamt mehr Kultur entstehen würde.
Meine Position lautet: Wir brauchen ein Urheberrecht, dass einen angemessenen Interessensausgleich darstellt. Dieser Ausgleich muss die Anreizbildung stützen, den gesellschaftlichen Nutzen als auch die Tatsache, dass das Internet einige Ausgangslagen grundsätzlich geändert hat.
Wo steckt darin die Katastrophe?
In meinen Diskussionen zum Urheberrecht mit Personen in verschiedensten Positionen bin ich immer wieder darüber gestolpert, dass sich viele hier ein moralisches Problem sehen statt ein ökonomisches Problem. (Wie sollen Urheber bezahlt werden? Wie soll Kultur refinanziert werden?)
An diesem Punkt endet die Diskussion, weil moralische Standpunkte eher schlecht diskutabel sind. Das Problem ist natürlich, dass man auf diese Weise nicht zu einer konstruktiven Lösung kommt. Wenn Menschen wie Sascha Lobo fordern, dass die Leute sich einfach mal moralisch richtig verhalten sollen, eine Übersetzung für „also so, wie ich mir das vorstelle“, und dann glauben, dass das Problem gelöst ist, dann ist das das intellektuelle Äquivalent zum Fußaufstampfen eines kleinen Kindes.
Stattdessen halte ich es für sinnvoll, Verhaltensweisen, die seit über zehn Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung stattfinden, zu analysieren und, wenn notwendig, zu erkennnen, ob es sich vielleicht um etwas handelt, das gekommen ist, um zu bleiben, weil es nur ein Symptom für etwas Umfassenderes ist:
- Zeichen der Zeit: SideReel erfolgreich mit Links zu legalem & illegalem Streaming von TV-Serien
- 3D-Printing: Druck mir eine Stradivari
- Das Ende von kino.to wird genau so viel bringen wie das Ende von Napster
Davon ausgehend, kann man sich überlegen, welche Geschäftsmodelle neben Filesharing erfolgreich existieren können. Das ist schlicht konstruktiv und sinnvoll, und allemal besser, als mit dem Fuß aufzustampfen:
- Geschäftsmodelle: Unterschied zwischen knappen und nichtknappen Gütern ist entscheidend
- Beispiele für knappe Güter bei Geschäftsmodellen von Musikern und Bloggern
- Tim O’Reilly über Filesharing und mehr
- Erfolgversprechende Geschäftsmodelle im Filesharing-Zeitalter
- Nicht jedes Geschäftsmodell funktioniert bei jedem Kreativen
- 3 Beispiele für Bestseller dank Filesharing
Diese Diskussionen und Ansätze gehen an Menschen wie Siegfried Kauder (CDU) wohl eher vorbei, weil sie auf ihrem moralischen Standpunkt sitzen, der nichts anderes zulässt, als das Urheberrecht in seiner aktuellen Fassung mit noch immer stärkeren Strafen und längeren Fristen zu versehen.
Weil es das einzig moralisch Richtige ist, sind längere Fristen das einzig Richtige.
Weil es das einzig moralisch Richtige ist, sind härtere Strafen zur Durchsetzung das einzig Richtige.
Herr Kauder ist nicht in der Lage, die Tragödie zu sehen, dass
- er selbst als Jurist und Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages das Urheberrecht nicht versteht,
- gegen das Urheberrecht zwei Mal verstösst, ohne es zu wissen,
- und fordert, dass zwei Verstösse zum temporären Ausschluss vom Internet führen soll.
Er fordert also eine unverhältnismäßig hohe Strafe, verbunden mit Umkehr der Beweislast, für etwas, das selbst ihm, dem Experten, dem Kämpfer für die richtige Sache, unwissentlich passiert ist.
Warum ist er nicht in der Lage, das zu erkennen? Weil er doch auf der moralisch richtigen Seite steht! Wie könnte sich das jemals ändern? Es ist doch alles so offensichtlich!
Es ist bedauerlich, aber ich glaube mittlerweile, dass einige Akteure im politischen Bereich und auch und besonders in den betroffenen Industrien schlicht nicht in der Lage sind, ihre Sichtweise zu ändern, weil sie glauben, dass ihr Gegenüber nicht moralisch richtig handelt und/oder argumentiert.
Das ist ok. Wer in der Wirtschaft glaubt, dass es eine gute Idee ist, seine eigenen Kunden zu verklagen und zu beschimpfen, wird langfristig verdrängt werden. Wer ähnlich in der Politik handelt, dem wird es ähnlich ergehen. (Allerdings erst, nachdem erhebliche Kollateralschäden angerichtet worden.)
Was mir allerdings Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass auch intelligente aufgeschlossene Menschen wie Sascha Lobo auch 2011 nicht sehen wollen, was ihnen die gesellschaftliche Realität seit über 10 Jahren sagt.
Stattdessen erkennen sie zwar an, dass abweichende Positionen „intelligent und durchdacht“ argumentiert werden. Aber sie bleiben trotzdem eine Katastrophe in ihren Augen. Warum?
Karsten Wenzlaff says
Die fehlende Einsicht in die Änderung beim Konsums von Medien ist die eine Seite. Die andere Seite ist, welche Interessen verfolgt werden. Weder Lobo noch Kauder sind frei von diesen Interessen, die ihre Sicht auf eine Reform des Urheberrechts verengen. Leider. Danke aber für diese gute Zusammenstellung der Entwicklung und Differenzierung Deiner Position.
schrotie says
Lobo sagt selbst, dass er auch vom Verkauf von Büchern lebt. Ich habe das Thema mit einigen Menschen diskutiert, die (auch) vom Urheberrecht leben. Die Reaktionen sind teils krass. Ist ja auch verständlich, wir sind halt alle nur Menschen.
Bjoern Braune says
Danke für diese differenzierten Ausführungen! Eines der Probleme liegt jedoch – wie schon oben von Karsten erwähnt – darin, dass die andere Seite diese Ausführungen nicht verstehen WILL, da es ja um deren Einnahmen und deren Geschäftsmodell geht. Irgendwie scheint sich das festgesetzt zu haben in der Industrie, dass man erstmal versucht ALLES zu unterbinden und nur kurz vor dem eigenen Exodus bereit ist dann doch die Veränderungen anzunehmen… vielleicht… Erst einmal hören alle nur: „Da will mir jemand was wegnehmen? Das bedeutet KRIEG!“. Diese kindliche Haltung ist, gelinde gesagt, ermüdend.
adrianoesch says
eine wirklich schöne zusammenfassung. dankeschön.
Kunst im Kaeseblatt says
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