In Deutschland ist es leider immer noch üblich für weite Teile der Bevölkerung, auch für Branchen, für die das wichtig wäre, sich nicht am konstanten Dialog mit dem Rest der Gesellschaft zu beteiligen. Das Web bietet hierfür etwa mit Blogs einen hervorragenden Weg. Weil Deutschland Blog-Entwicklungsland ist, ist es deshalb in den letzten Jahren üblich geworden, mit Pamphleten in stattfindende Diskurse reinzupreschen, wenn man das Gefühl hat, man müsste sich eigentlich beteiligen, weil es einen auch angeht - aber: beteiligt hat man sich bis jetzt eben nicht. Das jüngste Beispiel kommt von Tatort-Autoren. Diese Pamphlete werden 'offene Briefe' genannt. Sie sind in der Regel keine Anstösse für Debatten, sie sollen stattdessen, entgegen der in ihnen geäußerten Lippenbekenntnisse, oft eher unerwünschte Debatten beenden. Etwas, das man nicht nur an der Form, sondern auch immer wieder am Inhalt sehen kann.
Schauen wir uns an, was die Tatort-Autoren in ihrem offenen Brief schreiben.
Offener Brief von 51 Tatort-Autoren | Verband Deutscher Drehbuchautoren e.V. (VDD):
Fakt ist, dass die Urheberrechte in der Bundesrepublik nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch zahllose, völkerrechtlich verbindliche Verträge auch innerhalb der EU ultimativ verbrieft sind. Dass dieses Grundrecht aktuell zur politischen Disposition stünde, gehört zu den liebevoll gehegten Lebenslügen der Netzgemeinde.
a.) Es ist richtig, dass Deutschland durch internationale Verträge in seinem Handlungsspielraum eingeschränkt wurde. TRIPS hat dafür gesorgt, dass Schutzfristen etwa nicht gesenkt werden können. Ist das gut? Es handelt sich um Verträge, die in Hinterzimmern, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ausgehandelt wurden. Diese Verträge schränken den Handlungsspielraum demokratisch gewählter Regierungen ein, weil ihre Vorgänger sie unterzeichnet haben. ACTA soll auch genau das sicherstellen: Vorbei an der demokratischen Willensbildung den Status Quo weiter zementieren.
b.) Die radikale Änderung der Rahmenbedingungen durch die Digitalisierung verändert die Realität, in der das Urheberrecht angewendet wird. Natürlich steht das Urheberrecht zur Disposition. Wir führen diese Debatte doch nicht seit über 10 Jahren, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Das Urheberrecht war bereits vor Internet und Filesharing und Remixkultur hoffnungslos industrialisiert und auf Konzernwünsche getrimmt worden. Noch einmal zum Vergleich: Patente = 20 Jahre Schutzfrist, Urheberrecht = 70 Jahre nach dem Tod. Warum hat ein Beatles-Album mehr Schutz verdient als ein Medikament gegen HIV? Sind die Investitionskosten für Songs, für Kurzgeschichten, für Schnappschüsse so hoch, dass diese nur erzeugt werden können, wenn die Schutzfrist so hoch ist?
Nein, natürlich nicht. Die Schutzfristen sind so hoch, damit die beteiligten Konzerne ihre Monopolrenten maximieren können. (Man könnte argumentieren, dass Urheber auf diesem Weg als Nebeneffekt ebenfalls besser gestellt werden. Das ist aber nicht richtig. Beziehungsweise es trifft auf die Beatles, aber nicht auf den heute 25-Jährigen zu, der sich auf die Beatles-Werke beziehen will, ohne aus Investitionsgründen sich gleich einem Konzern anschließen zu müssen.)
Das Urheberrecht muss modernisiert werden. Wenn die einzigen Alternativen die Kriminalisierung ganzer Generationen zugunsten von Konzzernen, nicht zugunsten von Kultur!, oder das Einhalten von internationalen Verträgen sind, dann müssen wir aus diesen Verträgen austreten. Hätte das wirtschaftliche Implikationen? Natürlich. Denn die treibenden Kräfte hinter diesen Verträgen, die rechteverwertenden Konzerne, haben dafür gesorgt, dass es für die Nationen nicht attraktiv erscheint, auszutreten.
Aber wenn ein Land einen Ausweg finden kann, dann wohl sicher Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, und damit auch einer der wichtigsten Märkte. Die deutsche Regierung hätte die Verhandlungsmacht, wenn sie diesbezüglich aktiv werden wöllte.
Die Argumentation der Autoren meinte ich am Anfang, als ich davon schrieb, dass der geäußerte Wille zum Dialog oft nur ein Lippenbekenntnis ist: Es wird mit einem "Basta! Ist halt so." in die Debatte eingestiegen.
1. Die demagogische Suggestion, es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr – eine Behauptung, die durch nichts bewiesen wird. Was auch schwer fallen dürfte: die Bundesrepublik, die westliche Welt hat in über 100 Jahren ein definiertes, klares System verschiedener Nutzungsarten und Zugänge herausgebildet.
Niemand spricht davon, dass es keinen Zugang zu Kultur gibt. Gibt es einen freien Zugang? Bedingt. Wie viele Werke der letzten 50 Jahre sind in die Gemeinfreiheit übergegangen? Mit wie vielen Tatort-Ausgaben dürfen die deutschen Bürger, die diese Werke mit ihren Gebührenzahlungen bereits bezahlt haben, machen, was sie wollen? Warum dürfen die Bürger diese Werke nur konsumieren, und das noch dazu nicht einmal wann immer sie es wollen, sondern nur wenn sie im linearen TV ausgestrahlt werden?
Welche Rechtfertigung haben die Tatort-Autoren dafür, dass das Volk sie für die Produktion ihrer Werke bezahlt und sie das Volk beschimpfen, wenn es über ein System nachdenkt, in dem dieses auch automatisch mehr Rechte an den bereits bezahlten Werken hätte?
Bei aller Sympathie für jene, die mit den Öffentlich-Rechtlichen über Honorare verrhandeln müssen: Es gibt keine Rechtfertigung, warum der GEZ zahlende Bürger nicht auf die mit seinem Geld finanzierten Werke in jeder Hinsicht (also auch remixenderweise) zugreifen können sollte. Das System, so wie es jetzt aufgesetzt ist, erlaubt das aus veschiedenen Gründen nicht. Das heißt aber nicht, dass der Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf hätte.
Es ist des weiteren demagogisch, zu behaupten, es gebe freien Zugang zu Kunst und Kultur in einem System, in dem die Verwertungsmonopole immer weiter verlängert werden, so dass es praktisch keine Gemeinfreiheit für neue Werke mehr gibt. Allerdings könnte hier ein Missverständnis vorliegen: Zugang heißt nicht nur Konsum, sondern auch die Möglichkeit, mit Werken zu interagieren, diese zu verändern. Das in den letzten 100 Jahren industrieller Prägung entstandene System von Nutzungsarten und Zugängen ist nicht mehr zeitgemäß, eben weil wir uns von dieser industriellen Zeit und ihren Zwängen entfernen. Wer das trotz der Teilnahme an der Debatte zu genau diesem Thema nicht sieht, muss sehr blind auf dem Auge sein, auf dem er die heutige Lebenswirklichkeit sieht. (Aber, und so viel Seitenhieb muss erlaubt sein, ein blindes Auge für aktuelle Entwicklungen scheint schließlich Voraussetzung zu sein, um Tatort-Autor zu werden.)
Über die Forderung für kürzere Schutzfristen:
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass nirgendwo eine Argumentation versucht wird, warum gerade diese Eigentumsform überhaupt eine Einschränkung erfahren darf, ist dieser Vorschlag zur Lösung des o.g. Dilemmas völlig ungeeignet.
Es ist spätestens ab diesem Punkt relativ offensichtlich, dass die Autoren keine Sekunde darauf verschwendet haben, sich tatsächlich mit der Debatte auseinanderzusetzen. Das Urheberrecht war immer, immer, von Anbeginn, ein gesellschaftlicher Kompromiss zwischen Investitionsschutz des Urhebers und dem Interesse des Rests der Gesellschaft. Dieser Kompromiss wurde zugunsten von industriell organisierten Verwertern de facto aufgegeben und weg von der Gesellschaft und Richtung Maximierung der Monopolrechte verschoben. Erschwerend kommt heute hinzu, dass normale Bürger auf einmal mehr mit Werken machen können als sie nur zu konsumieren, sehr viel mehr. Und sie haben tatsächlich auch ein Interesse daran.
Man muss sehr in seiner eigenen Welt gefangen sein, um nicht sehen zu können, dass geringere Beschränkungen auf bestehendes Wissen, Kultur und Kunst enorme Vorteile für die gesamte Gesellschaft haben kann. (Übrigens auch für die Urheber, die durch einfacher möglich werdende Derivate ihrer Werke sehr viel bekannter werden können.)
Ich bin nicht für die Abschaffung des Urheberrechts (was aber eine durchaus vertretbare Position wäre). Aber, und jetzt schnallen Sie sich bitte an, liebe Tatort-Autoren, ich bin dafür, dass die Gebührenzahler möglichst viel für ihr Geld bekommen. Und das schließt ein, dass von den ÖR selbst produzierte Werke unter einer CC-Lizenz stehen sollten, die mehr als Konsum erlaubt. Wenn möglich, sollten öffentlich-rechtlich finanzierte Werke direkt gemeinfrei veröffentlicht werden.
Das Volk bezahlt, also entscheidet das Volk. Und das Volk ist sicher eher an mehr Rechten interessiert, an mehr Möglichkeiten, an mehr Zugang, als an weniger von all dem.
Das Volk übrigens? Das sind die Jugendlichen, die heute gegen ACTA auf die Straße gehen und morgen die Gesellschaft ausmachen werden. Willkommen im Heute, liebe Tatort-Autoren.