Benjamin Birkenhake über den Videorekorder:
"Nein, das heißt nicht, dass ich es richtig finde, wenn im digitalen Raum vergütungsfrei geistige Schöpfungen konsumiert werden."
Betrachtet ich diese Aussage im Lichte des Videorekorders, so komme ich kaum umhin zu finden, dass das ganz schön erstaunliche Zeiten gewesen sein müssen für geistige Schöpfer, als es noch Videorekorder gab. Ich hab mir Star Wars einfach aus dem Fernsehen runtergeladen aufgenommen und konnte es sooft angucken, wie ich wollte, ohne die geringste Vergütung für die geistigen Schöpfer. Die ganze Republik hat das gemacht. Die Ambitionierteren haben sogar mit ein bisken Aufwand die Werbung rausgeschnitten. Und keiner hatte ein Problem damit. Weil es vom Rechteverwerter des Schöpfers öffentlich zugänglich gemacht – ausgestrahlt – wurde, war es moralisch und rechtlich in Ordnung, davon eigene Kopien zu haben, diese beliebig oft vergütungsfrei zu konsumieren und sogar an Freunde weiter zugeben.
Anschliessend weißt er auf die Unterschiede zum rein digitalen Kopieren hin:
Ich weiß natürlich, dass es die qualitätsverlustfreie, kosten-neutrale, nicht-alternde, digitale Kopie etwas ganz anderes ist, als eine VHS-Kasette. Ich weiß auch, dass Filesharing etwas anderes ist, als dem Kumpel mal ein Video aus der eigenen Sammlung zu leihen. Aber was doch in einem bemerkenswerten Maße verblüffend ist, ist die Tatsache, dass hier nicht nur ein Medienwandel sondern auch ein Wertewandel statt gefunden hat.
Der Grund für diesen Wertewandel ist recht einfach: die reine digitale Kopie bedroht mit ihrer eigenen Kostenstruktur die althergebrachten Geschäftsmodelle. Entgegen den früheren Aussagen haben Musikkassette und VHS nie die Geschäftsmodelle von Platten- und Filmindustrie bedroht.
Angesichts der Hysterie der öffentlichen Debatten zu diesem Themen kann man davon ausgehen, dass heute etwa die Einführung des Bibliotheks-Prinzips aussichtslos wäre. Zum Glück gibt es Bibliotheken schon recht lang. Befürworter von Bibliotheken hätten aktuell keine Chance gegen die von den Mainstreammedien einseitig informierte Öffentlichkeit und die von Medien und Lobbyisten bearbeitete Politik. Bibliotheken killen Kultur, würde es heißen. Ausleihen bedeutet entgangene Verkäufe, würde man argumentieren.
Das ist eine radikal auf spezielle Unternehmen ausgerichtete Sichtweise. Das Teilen von Inhalten welcher Art auch immer wird immer weiter dämonisiert, weil es in seiner Gesamtheit natürlich eine bestimmte Art von Geschäftsmodellen bedroht. (Und dabei sind aber nur die Geschäftsmodelle bedroht, nicht die Kultur oder das Schaffen von Kultur; nur eine bestimmte Art von Refinanzierung des Schaffens von Kultur.)
Und das ist natürlich ein massives, gesellschaftliches Problem, weil öffentliche Wahrnehmung und tatsächliches Handeln weiter Teile der Gesellschaft so diametral auseinander gehen. (siehe dazu auch etwa die Gesamtwerke von Lawrence Lessig und Cory Doctorow)
Auch eine digitale Bibliothek ohne künstliche, die analoge Realität emulierende Verknappungen wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Digitale Angebote in Bibliotheken werden behandelt wie analoge Objekte.
(Große Filesharing-Börsen sind bereits eine Art Bibliothek, wie DJ Rupture seinerzeit über die private BitTorrent-Site OiNK anmerkte:
My library metaphor for Oink makes more sense than economic analogies: for digital music & data, there’s lots of demand but no scarcity at all, which either requires that we rebuild an economic model not based on supply & demand, or start embracing commons analogies. I like living from my music but I also like libraries, the ideas behind of libraries…
)