Stefan Niggemeier erklärt recht schön anhand der „Media Analyse“ und der Wahrnehmung ihrer Ergebnisse wie Verleger im Print-Bereich kein Problem mit der kostenlosen Nutzung ihrer Produkte haben und so die Doppelmoral beim Anprangern einer „Internet-Gratiskultur“ offensichtlich wird.
Die „Media Analyse“ gibt an, wie viele Leser eine Printausgabe lesen. Diese Zahl ist nicht mit der der Käufer identisch: So lesen etwa mehrere Mitglieder eines Haushalts eine abonnierte Tageszeitung. Da das Ganze nicht direkt messbar ist und über Befragungen ermittelt wird, sind die Zahlen entsprechend weich und können auf wundersame Weise schonmal Auflagenschwund abfedern.
Niggemeier:
Jeden Tag lesen neun Millionen Menschen die „Bild”-Zeitung, ohne dafür zu bezahlen, Tendenz seit Jahren steigend. Ihre Zahl ist dreimal so hoch wie die derjenigen, die brav für das Blatt zahlen.
Man muss diese Leute nicht gleich Raubkopierer nennen, um festzustellen: In der Printwelt hat sich eine gewaltige Kostenloskultur entwickelt. Massen von Menschen glauben, für Zeitungen nicht zahlen zu müssen, und nutzen sie skrupellos Tag für Tag umsonst[..]Und die Verlage stören sich nicht daran, sondern sind auch noch stolz darauf. Je häufiger die „Bild”-Zeitung weitergereicht wird, desto mehr Geld können sie von den Anzeigekunden verlangen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass diese weitergereichten Zeitungen tatsächlich nur gegen Geld zu bekommen sind, während im Internet ein (zugegeben in Deutschland eher kleiner) Teil der Presseangebote kostenfrei verfügbar ist. Die (simple) Nutzung dieser kostenfreien Angebote ist die „Gratiskultur“ und nicht gern gesehen. Die Weitergabe der kostenpflichtigen Zeitungen wird dagegen gern gesehen.
Ein Verleger der sich über die „Gratiskultur“ im Internet beschwert, müsste mindestens auch über die Tatsache stöhnen, dass seine Printprodukte von mehr als einer Person pro verkaufter Zeitung gelesen werden.
Mir ist kein Beispiel bekannt, bei dem sich ein Verleger darüber beschwert hätte, dass die „Media Analyse“ eine Zunahme an Lesern pro verkaufter Zeitung ermittelt hat.
Natürlich nicht: Im Netz liegt das Problem nicht bei der Bereitstellung unter Kosten und der kostenlosen Nutzung der Angebote durch die Konsumenten, so wie es immer schon war, sondern neben strukturellen Veränderungen vor allem im Werbemarkt, der sehr viel stärker umkämpft ist. Im Klartext: Das Problem war nie, dass Leser zu wenig bezahlten. Weder im Print noch im Netz.
Stefan Niggemeier:
Die Mathias Döpfners dieses Landes haben nur im Internet ein Problem mit nicht-zahlenden Lesern, weil die Werbeerlöse dort so niedrig sind, dass sich höhere Leserzahlen nicht entsprechend lohnen. Deshalb sollen an vielen Stellen die Bezahlschranken heruntergelassen werden: Die Leser sollen mit Vertriebserlösen das ausgleichen, was an Werbeerlösen fehlt.
Man kann also bei den Verlegerbeschwerden über die „Gratiskultur“ im Internet im besten Falle von intellektueller Faulheit und im schlechtesten Fall von simplen Lügen reden.
Über die tatsächlichen Dynamiken, denen sich Presseverlage aktuell gegenüber sehen, hatte ich vor einigen Wochen (zum wiederholten Male) ausführlich geschrieben:
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