„Wenn man sich Tageszeitungen und andere Websites anguckt, stellt man fest, dass sie mit Agenturen arbeiten, das ist trivial“, sagt er und ergänzt: „In der Online-Welt gibt es überall Newsticker.“ Obwohl das Interview damit erst beginnt und noch mehrere Fragen und Antworten folgen, offenbart allein dieses Statement von Thomsen zusammen mit Niggemeiers Analyse das große Dilemma des Online-Journalismus: Die Austauschbarkeit der Portale. Was Stern.de-Chef Thomsen für eine geeignete Rechtfertigung hält, ist in Wahrheit das große Problem. [..]
Wo man im Print seine traditionsreichen Marken klar positioniert und deutlich gegeneinander abgrenzt, zeigt sich online nicht mal ansatzweise eine solch klare Differenzierung.
Die deutschen Portale der Presseverlage sind bisweilen komplett austauschbar, weil sie sich zu einem Großteil aus Agenturinhalten speisen und die eigenen Inhalte lediglich auf Papier veröffentlichen (oder zu horrenden Artikelpreisen). Stern.de ist ein besonders krasses Beispiel, wie Stefan Niggemeier aufzeigte.
Austauschbarkeit in den Inhalten, keine eigenständige Positionierung (von Bildergalerien, die Klicks aber keinen Mehrwert schaffen sollen, abgesehen), und eine Vermarktung, die in ihrer Papiersimulierung genau so schlecht ist wie der Rest des Angebots:
Kein Wunder, dass deutsche Presseangebote im Web nur ‚digitale Pennies‘ verdienen, wie Verleger Hubert Burda einst beklagte.
Thierry Chervel vom Perlentaucher hatte bereits im Dezember letzten Jahres noch einmal aufgezeigt, das deutscher Verlagsjournalismus, von Verlagsvertretern als „Qualitätsjournalismus“ bezeichnet, im Web praktisch nicht stattfindet:
Die aktuellen Ausgaben der Zeitungen stehen häufig nur zu einem sehr geringen Teil online.
Bei einer der besten deutschen Qualitätszeitungen, der Süddeutschen, dürfte Tag für Tag allenfalls ein Anteil von 5 Prozent der Artikel aus der Printzeitung ins Netz gestellt werden.
Was man als Online-Ableger der SZ im Netz sieht ist ein dürftiger Abglanz des Printinstituts. Meist handelt es sich um aktuelle Tickerverschnitte, ein paar Bilderstrecken und allenfalls hier und da ein Kommentar oder Leitartikel aus der gedruckten Ausgabe.
Bei der FAZ ist es genauso: Höchstens 5 Prozent der Printausgabe werden unserer Erfahrung nach online gestellt.
[usw.]
Es existiert praktisch kein von Presseverlagen betriebener Onlinejournalismus, zumindest nicht in den Ausmaßen, wie man es in den USA kennt. (Die taz ist komplett online frei abrufbar.)
Ist das gut so? Immerhin kann so die viel gefürchtete Kannibalisierung nicht stattfinden.
Die Verlage fordern trotzdem ein Leistungsschutzrecht. Fragt sich nur wofür.
Für die Demokratie an sich in unserem Lande und die Bedeutung in ihr, die sich die Presseverlage zum Teil zu recht zuschreiben, ist das auch interessant: Während in den USA die New York Times an der Spitze der reichweitenstärksten Online-Medienangebote steht, ist das bei uns Bild.de.
Deutschland, das Land der Dichter und Denker? Nicht online. Weil die deutschen Presseverlage ihre Inhalte und ihre Diskurse ausschließlich auf Papier verbreiten. (Ebenso interessant in Bezug auf den deutschen Unternehmergeist ist natürlich, dass es keinen reinen Online-Herausforderer in Deutschland gibt, der die Marktchance entsprechend nutzt. So wie sich etwa in den USA z.B. HuffPo und Politico in ihren Bereichen etablieren konnten.)
Was hat es für Auswirkungen auf das Land und seine Diskurse, wenn die heranwachsenden Generationen Inhalte zu aktuellen Debatten in ihrem bevorzugten Medium nur von Boulevard-Angeboten (Bild.de) und boulevardisierten Angeboten (Spiegel Online) vorfinden, während davon abgeschottet die Intellektuellen des Landes ihre Diskurse vor einem alternden Publikum in einem sterbenden Medium abhalten?
Insgesamt ist es bemerkenswert, wie weit die Realität von dem von Presseverlagsvertetern gezeichneten Online-Bild abweicht. Wenn man einen Schritt zurück tritt und die aktuelle deutsche Situation betrachtet, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Steffen Greschner says
Außer im Lokalen tut sich auf der journalistischen Ebene im Netz leider garnichts. Dort entstehen zur Zeit einige Alternativen zu den Verlagsangeboten. Allerdings sind das, bis auf wenige Ausnahmen, privat finanzierte Projekte, denen schlichtweg das Geld fehlt.
National versinkt Deutschland leider wirklich im Nachrichten-Einheitsbrei. In Deutschland bestimmt in den meisten Verlagshäusern nach wie vor die Angst, dass „Online alles kaputt macht“, was auf Papier nach wie vor fette Gewinne bringt. Man traut sich an neue Konzepte einfach nicht ran. Weder aus journalistischen, noch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Ich kenne einen Regionalverlag in Sueddeutschland, der intern beschlossen hat, seinen Onlineauftritt in der gedruckten Ausgabe so gut es geht zu „verheimlichen“. Aus Angst, dass Abonnenten abwandern.
Was Spiegel Online – vor allem im letzten Jahr – für eine Entwicklung genommen hat, ist wirklich beängstigend. Da trifft der Vorwurf der Boulevardisierung von Journalismus im Internet leider voll und ganz zu. Das einzige, was mich daran fasziniert, ist die Konsequenz mit der man das dort durchzieht.
Wohin das auf Dauer führt?
Ich hoffe ganz stark zu Alternativen ;-)
Marcel Weiss says
„Wohin das auf Dauer führt?
Ich hoffe ganz stark zu Alternativen ;-)“
Ich auch. :)
Sooker says
Es gibt löbliche Ausnahmen: Zeit:Online hat meines Erachtens ein wirklich hochwertiges Online-Angebot. Auch SpOn kann man – von der Boulevardisierung mal abgesehen – als durchaus hochwertig bezeichnen, die qualitiativen Artikel verstecken sich dort meist etwas, was auch der extrem hohen Wechselfrequenz der Startseite geschuldet zu sein schein. Stern, Focus, Welt sind wirklich furchtbar, SZ und Faz liegen irgendwo dazwischen, die FAZ hat allerdings einen wirklich schönen Blog-Bereich…
Tim Pritlove says
Die taz ist komplett online abrufbar? Halte ich für ein Gerücht. Zwar werden die Printartikel dem Google zur Indizierung feilgeboten, doch findet man die Artikel der Printausgabe nicht im Portal oder irgendwelchen Feeds. Defakto wird auch bei der taz zwischen Online und Print deutlich unterschieden.
Dummdideldumm says
Es ist niemand verpflichtet, sich im Netz journalistisch zu betätigen. Natürlich auch die Printverlage nicht. Insofern bestehen hier m.M. überzogene Anspruchshaltungen.
Die alten Printverlage befinden sich natürlich noch in der Phase des Übergangs. Wieso sollten sie diese Dinge auch groß überstürzen – wenn sich außer beim SPIEGEL Online (+ DIE WELT vielleicht noch) in der Hinsicht bisher wenig regt. Das ist wohl eine allgemeine Wart-ab-Haltung.