Thierry Chervel in einem sehr guten Artikel im Blog des Perlentauchers über die Motivation der Unterzeichner von „Wir sind die Urheber“, bei denen es sich immerhin mehrheitlich um Buchautoren handelt, die vom Internet bislang unbehelligt geblieben sind:
Es hat mit einem tief sitzenden Widerwillen zu tun. Die wenigsten Autoren, die den Aufruf unterzeichnet haben, sind bisher dadurch aufgefallen, dass sie sich mit dem Internet auseinandergesetzt haben. In dem Aufruf dominieren die Autoren, die Jahr für Jahr oder alle zwei Jahre ihr neues Buch bringen, die vom Betrieb in bewährter Weise getragen, von den Zeitungen rezensiert und von den Literaturhäusern eingeladen werden. Sie funktionieren nach einem jahrzehntealten verbürgten Modell.
Das Problem dieser Autoren mit dem Netz ist weniger, dass es ihre Einnahmen als dass es ihr Selbstbild als Autor in Frage stellt. Als Autor auf dem bewährten Modell bestehen, heißt tatsächlich, sich nicht mit neuen Formen des Schreibens zu beschäftigen. Lewitscharoff spricht in ihrem FAZ-Beitrag von „haltlosem Internetgequassel“ und von der Verhöhnung von Autorenleistungen durch von ihr nicht benannte Quellen im Netz (auch dies übrigens eine alte, im Netz nicht mögliche Technik des Schreibens: einen Gegner nicht benennen, ein Machtgestus, der dem Gegner erst gar keinen Status zubilligt – im Internet wird der direkte Bezug erwartet, Insiderspielchen werden in den Kommentaren durch Hyperlinks ausgebremst). Sie fühlt sich alles in allem vom Netz als Autorin einfach herabgewürdigt.
Das Problem in der deutschen Kultur liegt auch darin, dass, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer, die Kulturschaffenden des Landes kollektiv die technischen Entwicklungen der letzten Jahrjzehnte ausblenden. Manchmal mehr, manchmal weniger.
Wenn Tatorte und andere öffentlich-rechtlich finanzierte Spielfilme oft eine Handlung aufweisen, die nur Sinn in einer von Mobiltelefonen freien Welt ergeben und das Internet maximal als der Ort vorkommt, in dem sich Täter und Opfer gefunden haben, dann ist es nicht verwunderlich, dass von den dahinter stehenden Köpfen die bekannten offenen Briefe und Erklärungen kommen, die dann ein erschreckendes Unwissen über die moderne Welt da draußen offenbaren.
Es wird dadurch aber nicht weniger tragisch.
Thierry Chervel:
Aber die Autoren ahnen natürlich, dass der Begriff des „Autors“ vom Netz – wie so vieles – radikal neu formuliert wird. Und daran ist etwas Wahres: Das Netz hat längst eine andere Praxis und einen anderen Begriff der Autorschaft entwickelt, mit dem sich so gut wie keiner der bekannteren Schriftsteller in Deutschland (Rainald Goetz ausgenommen) überhaupt nur gedanklich auseinandergesetzt hat, geschweige denn, dass deutsche Autoren damit experimentieren würden.
Ich meine damit nicht unbedingt irgendwelche Hypertextspielchen. Ich frage mich eher und viel konkreter, warum deutsche Autoren zum Beispiel nicht bloggen, warum sie so selten auf Facebook sind oder gar twittern. Man muss gar nicht groß mit Schreibweisen experimentieren um zu kapieren, dass Bloggen tatsächlich eine neue Form des Schreibens ist, die die alte Ästhetik der Geschlossenheit, die mit Buch und Zeitungsartikel verknüpft war, aufbricht.
Und da liegt ein ganz wesentliches Problem. Wie ich hier bereits mehrfach angeführt habe, und in einem Kommentar in der kommenden Ausgabe des Freitag noch einmal anmerke, werden Diskurse eher schlecht über offene Briefe und Unterschriftensammlungen geführt. Blogs sind das mit Abstand effizienteste Werkzeug zur Teilnahme an einem Diskurs. Nur werden sie in Deutschland dafür kaum genutzt.
Allerdings, das muss man auch anmerken, kann man das den internetfernen Autoren nur schwer zum Vorwurf machen, wenn selbst der „bekannte Blogger“ Sascha Lobo nicht diskursiv bloggt und stattdessen die Form der wöchentlichen Kolumne unter dem Dach einer großen Publikation vorzieht.
Genau so sieht es bei anderen Personen aus, die man in Deutschland mit Internet und Expertise darüber in Verbindung bringen würde. Kathrin Passig? Mit etwas Glück Texte auf Google+, sonst Merkur-Kolumne als das höchste der Gefühle. Kein Blog. Mario Sixtus? Tweets und der gelegentliche Tagesspiegel-Text. Kein Blog. Und so weiter.
Es gibt schlicht keine schillernden Vorbilder in Deutschland, denen es Internetneueinsteiger gleich tun könnten.
drikkes says
Was noch dazukommt:
Anläßlich der 2010 so beliebten Schirrmacher/Meckel-Schelte auf den Empfehlungsalgoritmus habe ich damals Folgendes geschrieben: „Und als Angehörige/r der geistigen Elite, zumal als Buchautor, ist man
beim Anblick von Amazon wohl angepisster, als sich irgendein Leser
vorstellen kann; mit was für Leuten man sich da ein Stück Netzpräsenz
teilt. Eine Taschenbuchausgabe des eigenen Werkes auf einem
sonderpostierten Grabbeltisch für 1.99 € wiederzufinden, ist wohl nichts
gegen dieses Gefühl, welches einem das Internet vermittelt – das
Gefühl, nicht so einzigartig zu sein.“
http://drikkes.com/?p=680
Frank Krings says
Genau das dachte ich auch bei diesem „offenen Brief“ der „Urheber“: Hermetischer kann man gar nicht kommunizieren. Keine Kommentarfunktion, nirgends. Siehe auch Sven Regener: Der hat einmal seinen Rant monologisch rausgehauen – danach waren die Schotten wieder dicht. Sowas mag früher in alten Gatekeeper- und Kulturelite-Zeiten normal gewesen sein. Heute ist sowas einfach arrogant und ein Zeichen von Diskurs-Legasthenie.
Steffen & Lars says
Also dass die sogenannten Urheber mit der Unterzeichung unter dieses bestimmte Papier sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben – klar. Man muss aber auch einfach mal sehen, dass wir alle derzeit von Entwicklungen überrannt werden, bei denen so manche Biographie es schwer hat, mitzukommen. Wir leben in der historisch einmaligen Situation, dass beine jede Generation in ihrer komplett eigenen Welt lebt und die Berührungspunkte immer weniger werden; so rasch haben sich die Dinge gewandelt und sind noch immer dabei. Schnell kann man das als „Pionier“ übersehen, was alles doch noch nicht im „Mainstream“ angekommen ist. Es stimmt z.B. absolut, dass in der Belletristik das Internet als Thema irgendwie noch nicht so richtig angekommen ist, da werden lieber altbewährte Suppen aus neuetikettierten Tüten gekocht; ich selbst habe mit meinen internetaffinen Texten Probleme, sie unterzukriegen. Etwas ähnliches gilt aber umgekehrt auch für die Netzgemeinde: Mal ehrlich, wer interessiert sich neben all der U-Kultur noch für ein bisschen „E“ oder zumindest was zwischendrin? Wer von euch ließt sie: die Kraussers, Kleins, Herbsts, Krachts und fiebert deren nächsten Ergüssen ähnlich entgegen wie den Avengers? (Und jetzt bitte nicht über die Sinnlosigkeit von E- und U-Klasse diskutieren, mir geht es eher nur um „Kunst“ vs. „Pop“; dass die Übergänge fließend sind, ist klar.)
So sollte die Selbstwahrnehmung der Bloggerszene auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bloggen eben hierzulande (noch?) kein Massenphänomen ist. Das kann man unverständlich finden. Dabei ist bei vielen vielleicht schlicht das Problem: Es kostet Zeit. Ich bin selber Autor und Theatermacher, halbwegs netzaffin, denn mit dem ganzen Scheiß aufgewachsen. Und ich blogge. Aber mein Output kann lange nicht mit denen in der ersten Wahrnehmungsreihe mithalten; zumal meine Themen halt, nun ja, „Kunst“ sind, also Nische. Ich versuche genau teilzunehmen am Diskurs, aber weil ich halt aus der Künstlerecke komme und deshalb auch nicht jeden Kreativwirtschaftsscheiß richtig finde, bin ich für die Netizens wohl ein genauso schräger Vogel wie die für Ansgar Heveling. Was tun? Zeitlich mehr ins Netz investieren geht nicht; denn die anderen Sachen, die bringen das Geld. Und so ein Roman, soll er gut sein, kostet halt auch richtig richtig viel Zeit. Und Hirn. Und so eine Theaterinszenierung, soll sie gut sein, kostet richtig richtg viel Zeit. Und Hirn. Und damit sind rechte und linke Gehirnhälfte schon gut beschäftigt. Und wenn man dann z.B. auch noch Papa ist, hat man dann nur noch sehr wenig Zeit und Hirn übrig. Aber stimmt schon, bloß weil man nicht so zum mitmachen kommt, muss man noch kein Pamphlet unterschreiben, ohne von der wahren Komplexität des Problems eine Ahnung zu haben. Aber liebe Netzgemeinde, es muss auch weiterhin diejenigen geben dürfen, die sich an der großen Form abarbeiten, auch wenn die vielleicht wirklich ihr langes Sterben begonnen hat. Nicht jeder muss jetzt bloggen, bloß weil man’s kann.
Summa summarum: Alle sollten wir mehr über unseren Tellerrand schauen und uns darüber klar werden, wir sehr unsere Perspektiven von den Brillen geprägt sind, die wir täglich aufhaben. Eigentlich ist nämlich alles ganz anders: „Künstler“ und „Technologen“ brauchen sich nicht nur, sie waren, um mit Douglas Rushkoff zu sprechen, schon immer zwei Seiten derselben Medaille. Also lasst euch nicht auseinanderdividieren! Der wahre Feind sitzt anderswo: In der postdemokratischen Politik, den postmarktwirtschaftlichen Konzernen. Den Gegner knacken wir nur gemeinsam.