"Warum man das Silicon Valley hassen darf“. So ist der jüngste Artikel von Evgeny Morozov in der FAZ betitelt. Man kann dem FAZ-Feuilleton und seinem Hitman Morozov dankbar sein. Mit dem neuesten Text haben FAZ-Feuilleton und Morozov deutlich gemacht, dass es ihnen nicht um eine Debatte geht sondern offen um einen Krieg der Eigeninteressen, ein „Wir gegen Euch“.
Morozov, über den Maximilian Probst in einem Anfall von sagenhaftem Realitätsverlust in der ZEIT noch vor kurzem schrieb, er würde nichts verdammen, versucht das Silicon Valley zum Sinnbild für alles, was in seinen Augen falsch läuft, zu machen. Ein ganzer Haufen Sündenböcke, die bösen Kalifornier.
Dass das natürlich großer Quatsch ist, ficht ihn nicht an. Unternehmen wie Apple, Facebook, Dropbox oder Google sitzen zwar alle in Kalifornien und können dem Valley zugeordnet werden, sind aber grundverschieden. Sie eint nur eins:
Sie sind mit und dank des Internets erfolgreich.
Und das unterscheidet sie von der FAZ und den anderen Textabkäufern Morozovs.
Es eint die erfolgreichen Unternehmen aber auch mit Unternehmen wie dem südkoreanischen Riesen Samsung oder Rakuten, das den E-Commerce in Japan dominiert und international expandiert, Spotify aus Schweden oder Alibaba, Weibo und all den anderen chinesischen Unternehmen.
Aber das Valley ist der Feind. Weil der Feind geografisch eingrenzbar irgendwo sitzen und man ihm eine einheitliche Ideologie unterstellen können muss.
Auf dieser Ebene lohnt sich im Grunde keine weitere Auseinandersetzung mit der mittlerweile nicht einmal mehr als Debatte verkleideten Agitation des Feuilletons der FAZ.
Für Morozov ist es ausgeschlossen, dass etwas, das schlecht für Google ist auch schlecht für den Rest der Gesellschaft sein kann. "Wie kommt es, dass etwas, das möglicherweise „das Internet zerstört“, auch Google zu zerstören droht? Das kann kein Zufall sein, oder?“ fragt er verschmitzt und lässt das implizierte ‚Ja‘ zwischen den Zeilen schwingen ohne es auszusprechen, weil die Begründung keiner inneren Logik folgen könnte. Nur nicht die Illusion einreisen.
An anderer Stelle fragt er, ob Google alle Informationen der Welt organisieren zu lassen nicht genau so schlimm wäre wie Halliburton das gesamte Erdöl der Welt organisieren zu lassen. Ein intelligenter Mann wie Morozov weiß genau, wie schief dieses Bild ist. Das merkt man bereits an der Wahl von Halliburton und Öl. Er weiß, dass Informationen immaterielle Güter sind und die Organisation durch Google niemanden daran hindert, diese ebenfalls zu organisieren, ganz im Gegenteil zum Öl. Er weiß das und wählt trotzdem ganz bewusst dieses Beispiel in der Hoffnung, ein Bild, ein Gefühl, eine Grundstimmung zu erzeugen, die hängen bleibt. Deswegen treibt er in seinen Beispielen die Gedankenspiele immer zum Maximum (die Facebook-Werbung etwa, der wir willenlos dank Rabatten erlegen sind). Morozov erscheint als jemand, der die Eigenwerbung der Webdienste aus dem Valley wortwörtlich nimmt. Was die wollen wird Wirklichkeit und wir sind ihre willenlosen Spielbälle. In Europa gibt es keine Alternativen zu Google Scholar und co., weil das "Silicon Valley uns überzeugt hat, es wäre eine magische Industrie“. Was soll man darauf erwidern?
Morozov diskutiert nicht, er führt Krieg.
Denn, wie die FAZ und Morozov sehr deutlich gemacht haben, geht es hier längst nicht mehr um eine Debatte oder auch nur die Illusion einer Debatte.
Michael Seemann schrieb vor wenigen Tagen über das aktuelle Diskurs-Klima Folgendes:
[..]
Das gefährliche ist: das “Die gegen Wir”-Mem ist politisch ideal für fast alle traditionellen Player. Es ist absolut Anschlussfähig an die Ressentiments, die eh in der Bevölkerung gegen Amerika, das Ausland im allgemeinen und dem Internet im speziellen bestehen. Es ist für die Spitzenpolitiker, die alle mehr oder weniger tief in der Affaire verstrickt sind, die ideale Blendgranate. Die Geheimdienste selbst dürfen statt einer schmerzhaften Umstrukturierung oder gar Infragestellung auf neue Mittel hoffen. Schirrmacher, Yogeshwar und viele andere Old-Media-Guys können fröhlich in ihre “amerikanische Internetdienste sind der Teufel”-Tröte blasen, die ihnen ja seit jeher ein Dorn im Auge sind. Rene Obermann kann neue Gewinne einstreichen, weil er den Technik-Nichtauskennern neue Pseudosicherheit verkaufen kann und wir Nutzer werden vielleicht sogar gezwungen sein, Telekomdienste zu nutzen, weil andere nur noch schlecht erreichbar oder sogar verboten sind.
Dieser Hintergrund wird hasserfüllte Kriegstreiber wie Morozov weiter beflügeln. Die deutschen Feuilletons, die FAZ allen voran, nehmen wahrlich gern Morozov-Texte an, selbst wenn sie sie nicht komplett zu verstehen scheinen.
Es passt erschreckend gut in das Bild des intellektuell angeschlagenen FAZ-Feuilletons, dass im Morozov-Text „Disruption“ mit „Störung“ übersetzt wird. Technisch zwar richtig, ist es sowohl im Kontext als auch, und das ist am wichtigsten, im Sinne des Autors falsch übersetzt. Das FAZ-Feuilleton hat anscheinend sowohl eine der wichtigsten Wirtschaftstheorien der letzten 20 Jahre verpasst -Clay Christensens Disruptionstheorie- als auch die grotesk populäre Debatte darüber, welche Disruptionen das Internet als technische Basis ermöglicht und auslöst. Bemerkenswert. (Das die ‚Störung‘, also absichtlich fehlerhaft ausgelieferte Geräte, eine von Morozov vorgeschlagene Lösung für die von ihm benannten Probleme mit der heutigen Technologie ist und er dafür in den Feuilleton-Lobpreisungen zu seinem letzten Buch nicht ausgelacht wurde, verschweigen wir gnädig.)
Es ist ein ungünstiger aber bezeichnender Zufall, dass die FAZ mit dem jüngsten Morozov-Erguss einen Tag nach der Jährung der Pogromnacht zu legitimisiertem Hass aufruft.