Börsengänge im Doppelschlag
Als sich abzeichnete, dass Rocket Internet und Zalando in der zweiten Hälfte diesen Jahres an die Börse gehen würden, vermutete ich in den Exchanges, dass Rocket einen IPO-Doppelschlag planen könnte. Erst geht Zalando an die Börse und, im Fahrwasser des erfolgreichen Onlinemodehändlers, wird der Börsengang des weitaus schwierigeren Rocket Internets hinterhergeschoben.
Vom Erfolg der Zalando-Aktie überzeugt/geblendet/überredet, nimmt die Öffentlichkeit das mehr oder weniger begründet immer noch mit Zalando in Verbindung gebrachte Rocket Internet begeistert auf. Die Aktie von Rocket Internet gewinnt durch die Scheinkraft der Zalando-Aktie. Das war meine Vermutung während unserer Spekulationen zum Rocket-IPO Anfang des Sommers.
Mittlerweile sind die Zeitpunkte der IPOs bekanntgegeben wurden. Zalando ging heute, am 1.10., an die Börse. Rocket Internet sollte am 7.10., dem folgenden Dienstag folgen. Keine Woche später. Sicher nur ein Zufall.
Am letzten Freitag verkündete unter anderem das Wall Street Journal Deutschland, dass Rocket aufgrund "hoher Investorennachfrage" den Börsengang vorziehe. Die Erstnotierung ist jetzt für morgen, den 2.10., angesetzt. Jetzt geht Rocket Internet nur noch ein Tag nach Zalando an die Börse. Was für ein Zufall.
Mittlerweile wurde deutlich, dass Rocket Internet mehr auf die großen, institutionellen Anleger abzielte. Aber für die Anteile die nun der Öffentlichkeit zum "Poppen" präsentiert werden, hätte das Timing nicht besser (oder auch: nicht weniger offensichtlich) geplant werden können.
Zalando und Rocket Internet sind nicht vergleichbar
Zalando ist ein mit den veröffentlichten Zahlen überschaubar zu berurteilendes Unternehmen. Der vor allem operativ erfolgreiche Onlinehändler ist vornehmlich in der DACH-Region stark und verkauft auch in andere europäische Länder.
Rocket Internet ist dagegen ein von außen nahezu undurchsichtiges und deshalb schlecht einzuordnendes Unternehmenskonstrukt. Der Inkubator geht jetzt Richtung Holding. Die gestarteten Unternehmen laufen unter dem Rocket-Dach weiter. Für die Investoren in Rocket und in die Startups, die ihre Beteiligungen gegen Rocket-Beteiligungen tauschen durften, wird der Börsengang von Rocket Internet zum Exit über Bande. Natürlich nicht sofort. Die Rocket-Beteiligungen werden länger gehalten; die Emissionserlöse fließen in Rocket Internet ein, nicht zu den bestehenden Anteilseignern.
Wir nennen diesen Inkubator eine Holding
Statt mühsam die einzelnen Startups an die Börse zu bringen oder einen anderen Käufer zu finden, ‚verkauft‘ man einfach den Inkubator. Das ist eine interessante Strategie, die verschiedene Lesarten zulässt:
a.) Alle von Rocket Internet gegründeten Startups abseits von Zalando sind separat nicht attraktiv genug für einzelne Exits.
b.) Die Geschäftsentwicklung der Rocket-Unternehmen dauert länger als die bestehenden Investoren bereit sind zu investieren.
c.) Es ergibt Sinn, die Rocket-Unternehmen unter einem Dach zu organisieren. Synergieeffekte, Skaleneffekte, Netzwerkeffekte etc.
Annahme (a) würde die Frage nach sich ziehen, ob ein Korb fauler Äpfel mehr wert ist als die faulen Äpfel einzeln.
Rocket Internet hat in den letzten Jahren für seine Startups mehr Geld eingesammelt als jeder andere europäische Investor. Nur die größten Risikokapitalgeber in den USA spielen in dieser Größenordnung noch mit. Das ist, egal wie man das Ergebnis bewertet, für sich eine enorme Leistung. Dass die bestehenden Investoren nicht bereit sind, noch mehr zu investieren und neue Gelder in diesen Größenordnungen von anderen Investoren nicht auf der Straße liegen, wäre nachvollziehbar. (b) ist eine positive Lesart, die nicht zwingend gegen Rocket spricht. Immerhin versucht Rocket Internet etwas extrem Schwieriges aufzubauen, das seine Zeit braucht. (Und, noch einmal, die Erlöse vom IPO fließen in Rocket Internet ein.)
Das bringt uns zu (c). Es gibt bei Rocket Internet wenige Synergieeffekte über die Erkenntnisse hinaus, welche lokalen Beamten man in Entwicklungsland A bestechen muss, um einen lokalen Lieferdienst betreiben zu können. Amazon bündelt sein Angebot in Prime und, ganz allgemein, in seinem Shop. Das japanische Rakuten ist ein Marktplatz, das chinesische Alibaba ein Gemischtwarenladen, der Onlinehandel und unzählige andere Dienste vereint. Alle großen US-Techkonzerne leben von Netzwerkeffekten in der einen oder anderen Art. Facebook, Google, Twitter, Amazon, auch Apple und Microsoft. Rocket Internet hat nichts dergleichen. Es kann beispielsweise nicht sinnvoll wie Amazon eine Gerätestrategie a la Kindle Fire ausprobieren.
Rocket ist oder war ein Inkubator. Rocket Internet ist das Dach für voneinander unabhängigen Unternehmen.
Heuhaufen ohne Nadel?
Aber damit nicht genug. Rocket Internet ist das Dach von voneinander unabhängigen Unternehmen in unterschiedlichen Ländern.
Rocket Internet will das Alibaba außerhalb von China und USA werden. Das internationale Amazon. Der größte Onlinehandelskonzern(?) außerhalb der USA und China. Das ist die IPO-Narration.
Das Problem hierbei ist nur, dass dieses Dach im Vergleich mit diesen Riesen kaum Nutzen am Markt mitbringt. Amazon kann mit Prime eine Bündelung vorantreiben, die einen Mehrwert schafft, den kein anderer Onlinehändler liefern kann. Wie wichtig diese Wal-Strategie am Ende für Amazon sein wird, ist noch offen. Aber sie ermöglicht Amazon zumindest, Vielbesteller auf eine Art zu binden, die aktuell einzigartig ist.
Könnte Rocket etwas Vergleichbares machen? Nein. Unabhängige Unternehmen in unterschiedlichen Ländern. Wie will man einem Onlinehändler in einem afrikanischen Land mit einem Onlinehändler einer anderen Produktkategorie in einem asiatischen Land verknüpfen?
Mehr noch: Rocket Internet will außerhalb der USA und China zum größten Onlinehändleranbieter werden. Warum "außerhalb"? Weil in China Alibaba regiert und in den USA Amazon. Weil es in beiden Ländern auch mehr oder weniger starke zweite und dritte Unternehmen in diversen Kategorien gibt. Weil in diesen Ländern ein harter Wettbewerb stattfindet.
Will Rocket Internet uns sagen, dass es keine konkurrenzfähigen Startups aufbauen kann?
Man kann nun, zu recht, argumentieren, dass die Märkte, die Rocket mit seinen Unternehmen erschließt, tief hängende Früchte sind; nicht zuletzt weil China mit dem Alibaba-IPO gerade erst anfängt, über den Tellerrand zu schauen und die US-Investorenszene keinen guten Geografieunterricht genossen hat.
Aber wie wird das in zwei, drei, fünf Jahren aussehen? Der Erste auf einem Markt ohne nennenswerte Konkurrenz sein, hat seine Vorteile. Aber das zu erkennen, heißt nicht automatisch, dass man als Erster auch eine Basis schaffen kann, die einem vor stärkeren Wettbewerb schützen wird.
Was also wenn Rocket mit seinen Startups die Äquivalente zu den Webportalen der Endneunziger aufbaut? Sieht alles ganz gut aus. Bis die innovativen, genuinen Modelle kommen und die alten Anbieter obsolet machen.
Also schauen wir uns im Detail die Rocket-Startups an und analysieren sie, richtig?
Nehmen wir als Beispiel für die Schwierigkeiten, die ich beim Rocket-IPO sehe, die Anfang September neu gegründete "Global Fashion Group" (GFG). In der GFG wurden fünf Fashion-Startups zusammengefasst, die wenig bis nichts miteinander gemein haben. Die in ihr zusammengefassten Unternehmen werden weiter unabhängig arbeiten wie zuvor. Aus dem Statement von Rocket:
GFG will maintain multiple business models including full inventory, branded shops and marketplaces tailored to the opportunities within the local markets.
Was ist der Grund für die Schaffung der GFG, wenn die zu ihr gehörenden Unternehmen weiterhin unabhängig agieren?
Man könnte, wenn man boshaft wäre, eine Kennzahlenverschleierung unterstellen. Statt die Kennzahlen der einzelnen Unternehmen im Börsenprospekt auszuweisen, hat man nun eine neue Ebene geschaffen und gibt die neuen GFG-Kennzahlen aus. Es gibt von außen keinen anderen erkennbaren Grund, um kurz vor dem Börsengang die GFG zu schaffen.
Das ist ein Problem mit Rocket Internet als Gesamtkonstrukt: Es lässt sich von außen praktisch nicht bewerten und auf eine Ziffer herunterbrechen.
- Wie stark sind die Rocket-Unternehmen in den einzelnen afrikanischen und asiatischen Ländern?
- Wie sehen die Konkurrenzsituationen in diesen Ländern aus?
- Wie sieht die Marktentwicklung in diesen Ländern aus? Sprich, welche Wachstumsraten sind im Marktkontext möglich?
- Wachsen die Volkswirtschaften, sinken sie?
- Gibt es starke traditionelle Händler?
- Wie sieht die Logistik vor Ort aus?
- Welche Infrastruktur existiert und welche von den lokalen Anbietern geplant (Mobilfunk, Breitband)?
- Wie stabil ist die politische Lage?
Es gibt unzählige Variablen zu beachten. Für 116 Länder.
Das ist selbst für Analysten eine harte Nuss. Für Laien ist es aktuell unmöglich, überhaupt nur ein sinnvolles Bauchgefühl dafür zu bekommen, wie Rocket Internet bewertet werden könnte.
Holger Schmidt schrieb von der Pressekonferenz:
Auf der Börsen-PK erklärten Oliver Samwer, Johannes Bruder (COO), Peter Kimpel (CFO) und Ex-CEO Alexander Kudlich eine Stunde lang das System von Rocket Internet, Firmen am Fließband zu gründen und in Rekordtempo groß zu machen. Nie wurde mit absoluten Umsatzzahlen hantiert; vieles blieb nebulös. Exakte Daten veröffentlicht Rocket Internet nur zu den größeren Unternehmen (“Proven Winners”), die dann auch noch zu Gruppen zusammengefasst werden, was die Performance einzelner Firmen verschleiert. Zu den kleineren Startups werden keine Finanzdaten veröffentlicht, was Rocket Internet insgesamt zu einer Blackbox macht. Angesichts des enormen Zeithorizonts von bis zu 9 Jahren, den viele Neugründungen bis zum Erreichen der Gewinnzone noch vor sich haben, bleibt Rocket ein hochriskantes Investment.
Das heißt nicht, dass Rocket Internet nicht erfolgreich sein kann. Es heißt nur, dass das mit den öffentlich verfügbaren Zahlen nicht bewertbar ist.
Die großen institutionellen Investoren, die im Vorfeld des IPO an Bord gekommen sind, haben sicher noch einmal andere Einblicke. Aber kein Heer an Analysten ist groß genug für Rocket. Es ist eine Wette. Eine Wette auf das Management von Rocket Internet. Man muss den (GFG-gründenden) Rocket-Managern vertrauen und ihnen zutrauen, was sie versprechen.
Boom
Aber wie viele Kleinanleger werden das einschätzen können, wenn der Zalando-Kurs am ersten Tag ‚poppt‘ und gleich einen Tag später sich Rocket Internet anbietet?
Man entscheide selbst.
Wir beschäftigen uns in den Exchanges und dem speziell für Themen rund um Rocket Internet und Zalando gestarteten Podcast Extreme mit eben diesen Themen. Jochen Krisch verfolgt Rocket Internet und Zalando von Anfang an mit substantiellen Einschätzungen auf Exciting Commerce.
Hier einige aktuelle Artikel:
- Zalando und die amerikanische Herausforderung | Exciting Commerce
- Extreme #4: Die Börsenmilliarden und die Folgen für die Branche | Exciting Commerce
- Zalando rüstet sich für Übernahmen nach dem Börsengang | Exciting Commerce
- Zalando und die Highlights aus dem Börsenprospekt | Exciting Commerce
- Die Highlights aus dem Börsenprospekt von Rocket Internet | Exciting Commerce
Fritz says
Sehr gute Analyse, scheint mir, soweit man überhaupt die Sache analysieren kann. Nur 2 Überlegungen zur Ergänzung: „Außerhalb der USA und China“ ist auch so zu erklären, dass man an die USA (Amazon und andere) bzw. China (Alibaba) verkaufen möchte. Und das führt auch gleich zur zweiten Überlegung: Die Börse könnte so etwas wie der Notausstieg für die Samwers sein, der Rettungsring. Schon Zalando wurde eigentlich aggressiv groß gepumpt in der Hoffnung, jemand wie Otto würde oder müsste sogar sich Zalando einverleiben. Das war eigentliuch immer die Geschäftsidee der Samwers, damit sind sie zu Kapital gekommen – schnell einen Regionalkönig hochziehen und dann mit horrendem Aufschlag verkaufen. Deshalb treiben sie sich auch in Afrika herum – Gewinne sind da vermutlich noch lange nicht zu erwarten, aber vielleicht kann man das Gebiet soweit okkupieren, dass die tatsächlich global agierenden Konzerne dann zulagen wollen oder müssen. Jetzt läuft das aber alles nicht so, offenbar ist nichts von den hunderten kleinen Ideen so gut, dass sich jemand danach die Finger lecken würde, unendlich viel Geld ist bereits den Bach herunter investiert worden, jährlich verschlingen 100 selbständige Geschäftseinheiten, die sich alle noch im Aufbau befinden. locker zwischen 400 Mio. und 1. Mrd. Euro an Kapital … und da wird es eben allmählich ziemlich eng.
Normalerweise verkaufen dann Holdings die eine oder andere Beteiligung, aber bei Rocket ist man viel zu sehr in die Breite gegangen, kriegt nichts gut verkauft. Die bisherige Strategie der Samwers ist mE hier gescheitert, zum einen weil die Entwicklung der Startups länger dauert als sie es geohnt waren, zum zweiten weil dann auch die Kosten höher sind, als erwartet, zum Dritten weil man sich lokal viel zu kleinteilig engagiert hat (siehe deine Analyse), zum Vierten weil das ganze E-Shop-Business nicht wirklich skaliert – Größe bringt nahezu lnear wachsende Kosten und Verluste, zum Fünften man sich auf Felder begeben hat, wo es viel direkte Konkurrenz gibt und jederzeit neue Konkurrenten auftauchen können. Daher meine Vermutung: Der Börsengang gehorcht der Not einer nahezu gescheiterten Strategie. Oder nennen wir es gnädiger: Neuausrichtun g.
Michael says
„Onlinehändler“ ist wohl schon die falsche Story, wenn, dann als Incubator, „Meta-Unternehmen“, an die Börse bringen und da fehlt vlt. das, was Fritz beschrieben hat: Unternehmertum. So bleibt alles, in der ganzen Breite des Wortes, spekulativ.
Der IPO scheint mehr noch das Signal, daß Modelle a’la Web 1.0 am Ende sind. In diesem Licht sieht alles wie ein großer Rettungsanker für ein Raumschiff aus.
Btw, sehr schöner Text, danke für die Mühen!