Es ist faszinierend zu beobachten, wie ein Plattformprovider sein Bestreben vorantreibt, zur marktgestalterischen Macht in einer Branche zu werden. Denn keine Branche gleicht einer anderen. Das heißt, das endgültige Ziel mag das gleiche sein (eine Plattform, sie alle zu knechten), aber der Weg dahin ist niemals gleich; nur ähnlich in manchen Aspekten. Je mehr Fallbeispiele, desto besser also.
Warum es wichtig ist: Eine Fallstudie in Echtzeit über den Versuch einer Plattformaggregation in einer (vergleichsweise für heutige Verhältnisse) fortgeschrittenen digitalen Branche ist etwas für Fortgeschrittene. Welche Widerstände gibt es? Welche Strategie wird verfolgt? Funktioniert sie?
In diesem Falle ist es Spotify und die Podcastbranche. Das Besondere an der Podcastbranche ist ihre dezentrale und gleichzeitig nachhaltige Struktur, wie wir in neunetzcast 72 ausführlich beleuchtet haben. (Ich hatte über das Thema auch bereits in neunetz.fm Der Tag 1 im Februar gesprochen.)
Dank Apples iTunes war es relativ früh relativ einfach für Hörer, Podcasts zu abonnieren und zu finden und trotzdem war und ist die Podcastwelt dezentral auf RSS aufgebaut. Auch das dank Apple, welches, sicher nicht zuletzt dank des iPhones, weitaus größere Fische zu brutzeln hatte als einen kleinen, feinen, langsam aber sicher wachsenden Online-Talkradio-Bereich.
Jetzt haben wir heute eine Podcastwelt, die über viele, von einander völlig unabhängige Endpunkte läuft und gleichzeitig über Werbung und Hörerfinanzierung diversifiziert nachhaltig wirtschaftlich ist. Also eine gesunde, junge digitale Medienbranche.
Hier steckt eine Lektion über RSS und, grundsätzlich, über produzentenübergreifende Endnutzerinterfaces für Medien aller Art drin.
Sprich: Ohne RSS landet man bei Facebooks News Feed; dem worst case für Medienmacher. Mit RSS landet man bei der heutigen Podcastwelt.
Aber wo Geld ist, da ist auch der Wille zur Aggregationsmacht. Spotify hat bekanntlich mit Gimlet und Anchor einen klugen Schachzug in die Podcastwelt vollzogen.
Nach einer weiteren Übernahme in der Podcastproduzentenwelt mit Parcast (weitere 50 Millionen € zusätzlich zu den 308 Millionen € für Gimlet und Anchor) erweitert Spotify jetzt außerdem seinen 2017 übernommenen Kollaborationsdienst Soundtrap für Podcaster.
Die Assoziation, die auch von Spotify gepusht wird, ist, das neue Soundtrap-Angebot als Google Docs für Podcaster zu betrachten.
Die neuen Funktionen laut The Verge:
Soundtrap, a music-editing software company owned by Spotify, is launching a new product today specifically designed to make podcast editing easier. The new product, called Soundtrap for Storytellers, is a full, web-based podcast production tool that allows users to record, edit, and master their audio. Its most impressive feature is how simple it’s supposed to make editing: podcasters can just cut words out of an automated transcript of their conversation, and the changes will be automatically reflected in the audio. […]
Soundtrap for Storytellers has multiple nifty features. Podcasters can host video interviews in the web app; record them; add free loops and sound effects provided by Soundtrap; and complete the final step of passing the show through Soundtrap’s “mastering chain,” which the company says normalizes audio levels and makes everything sound okay. Of course, at the end of the whole process, Soundtrap offers users easy publishing directly to Spotify by checking a box.
Users can also submit their transcript to Spotify, which Emanuelsson says is used to “improve discoverability.” He also says it’ll help with SEO, and given Google’s recent announcement that it’ll start surfacing podcasts in search results, the transcripts could give shows a boost if Google continues to assist in podcast discovery. It also could help Spotify with its own discovery work — you probably want to know what a show talks about before recommending it — but Emanuelsson only says there “might be further developments down the road.”
The program costs $14.99 a month or can be bundled with the company’s music editing software for $17.99 a month.
Soundtraps ursprüngliches (und weiterhin bestehendes) Angebot -Online-Kollaboration für Musiker- dürfte bis dato, wage ich zu behaupten, nicht der Überhit gewesen zu sein. Aber Soundtrap und damit die Mutter Spotify hatten dank dieses Werkzeugs bereits die wesentlichen Dinge zur Bearbeitung und Aufnahme von Audio über den Browser umgesetzt.
Die Erweiterung von Musik zu Gesprochenem ist naheliegend und wiederholt die strategische Expansion von Spotify.
Wie Anchor richtet sich Soundtrap an die Macher von Podcasts. Spotify scheint sehr darauf fokussiert zu sein, die Produzentenseite noch weiter zu vereinfachen. Sich auf dieser Seite also in der Podcastwelt als Anlaufstelle zu etablieren. Das ergibt auch strategisch Sinn:
Spotify hat bereits einen starken Einstieg in die Konsumentenseite (nur eine Ausweitung von ‚Apple Podcasts‘ selbst wäre noch stärker von Anfang an positioniert). Gleichzeitig ist diese Konsumentenseite stark fragmentiert, und zwar mit guten Angeboten (von mobilen Podcastclients bis zu Endpunkten wie Alexa und Google Home). Etwas, das gerade Luminary zu spüren bekommt. (Siehe auch unsere Debatte dazu in neunetzcast 72) Hier wird Marktmacht immer, oder zumindest auf absehbare Zeit, mit einem Sternchen versehen werden müssen.
Es ist also logisch, sich auf die andere Seite, die Produzenten, zu konzentrieren. Dennn im Gegensatz zur Endkonsumentenseite gibt es auf der Produzentenseite noch sehr viel Luft nach oben. Ein attraktiver One-Stop-Shop für Aufnahme, Postproduction und Distribution zu sein, hat viele strategische Vorteile. Im Wesentlichen: Man zieht viele neue Podcastmacher direkt in‘s eigene Angebot.
Je größer Spotify selbst als Ort wird, an dem Podcasts gehört werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass neue Podcasts, die von Anfang an über Soundtrap aufgenommen werden, auf RSS und co. verzichten. ‚Can‘t be bothered‘. Zum Verständnis: Ich bin nicht überzeugt, dass diese Situation in absehbarer Zeit, wenn überhaupt, erreicht werden kann. Aber selbst wenn dieses Extremszenario nicht eintritt: Es ist für Spotify bereits viel wert, das proprietäre Silo zu sein, in das man ohne Reibung, also ohne zusätzlichen Aufwand, reingeht.
Exklusivität kann am oberen Ende kommen (aus dem eigenen Stall mit Gimlet und Parcast). Das Mittelfeld muss nur auf jeden Fall vertreten sein. Hier geht‘s um die Bibliothek, den long tail, den man für die Endnutzer braucht und den man im besten Fall natürlich gemeinsam mit den Produzenten zusätzlich verwertet. (In Soundtrap produziert, in Anchor und/oder Spotify refinanziert und gehört.)
Inwiefern es sinnvoll im Gesamtportfolio von Spotify ist, für das Soundtrap-Angebot an die Macher einen monatlichen Preis zu verlangen, wird sich noch zeigen. (Es kann eine zusätzliche Einnahmequelle sein. Aber sie wird im Vergleich zu den anderen Quellen nie sonderlich hoch sein. Gleichzeitig gibt es bereits andere Anbieter, die ähnliche Funktionen anbieten. Wenn auch nicht alles zusammen wie Soundtrap heute.)
Aktuell aber ergibt es Sinn, denn die Integration in Spotify ist aktuell eh nur das virtuelle Äquivalent zu Panzertape. The Verge:
If multiple people want to supervise or edit at once, they’ll all need separate accounts, or separate monthly subscriptions. There’s also a limited offline editing mode in which people can’t save their work. If users want to check the box to publish to Spotify, it’ll publish under their Soundtrap username, so the episodes can’t be added to a show that’s already on Spotify, at least through the automated tool. Instead, users will have to download their audio files and then upload them to their RSS feed host, which allows them to them distribute the episode wherever they want. The software also seems mostly designed for talk shows that don’t require field reporting. Although users can import tracks into the software, the holistic experience seems to be the real sell.
Ein kostenloses Soundtrap für „Storyteller“ ergibt also noch keinen Sinn.
Wenn es irgendwann eine vernünftige Verbindung zu Spotify und zu Anchor gibt, dann sieht die Sache anders aus.
Ein kostenfreies Soundtrap zum Aufnehmen von Gesprächen online mit angeschlossener kollaborativer Postproduction und der Möglichkeit des Schneidens über das automatisiert erstellte Transkript (für Audionovizen), mit dem Transkript gleichzeitig noch als künftig wichtiges Puzzlestück, um als Podcast gut gefunden zu werden. Das ist ein starkes Angebot für alle, die künftig anfangen wollen zu podcasten.
Spotify baut hier die Einstiegsdroge für einen großen und für die Plattform Spotify wichtigen Teil der Podcaster: Ernste Hobbypodcaster und semiprofessionelle Teilzeitpodcaster. Das ist der entscheidende Teil des Long Tails.
The intention, Emanuelsson said, was to create “a full production environment where you can do professional-sounding podcasts, collaboratively done on the web.” He’s confident that they will get people switching from their separate solutions for remote interviewing, transcription and so on, to the combined service. “We’re catering for the semi-professionals, I would say, who would like to have something that’s simple to use in a browser that doesn’t require big hardware investment.”
Interessant natürlich, wie genau man bei Spotify die Unterschiede zwischen den Produzentenangeboten Anchor und Soundtrap zieht und sieht. Hot Pod:
“Anchor is a creation tool focusing on mobile first — a little bit more like simple and fast creations that you do on the fly, on the mobile,” he said. “And then there’s the other part of Anchor which is hosting and monetisation for any podcast.”
The company has no intention of offering those publishing options at the moment, and they’re looking to attract podcasters working at the more advanced, production-heavy end of the market. “What Soundtrap is focusing on is the ability to create professional-sounding podcasts with all the different aspects of that — sound design, effects, remote interviews, music and all that.” It’s a fine distinction, and Soundtrap is openly acknowledging that there is some overlap, since users who don’t want to publish solely on Spotify and want to host their Soundtrap creations somewhere are recommended that they use Anchor.
Der Podcast-Erfolg von Spotify steht und fällt mit der reibungsfreien Integration von Soundtrap, Anchor und Spotify selbst. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.
Aber wenn das steht, wird sich zeigen, ob die Strategie von Spotify aufgeht. Sie ergibt nach wie vor Sinn. Die Podcastbranche ist gleichzeitig nach wie vor gut gewappnet gegen Vereinnahmung durch eine einzelne Plattform.
The game is on.
Mehr zum Thema:
* Plattformevolution: Wie Spotify macht, was Soundcloud nicht gelungen ist, und mit Gimlet und Anchor zum „YouTube für Audio“ wird
* neunetzcast 72: So groß wie Dirk Nowitzki – neunetz.fm
* neunetz.fm Der Tag 1: Spotify und Anchor.fm – neunetz.fm