10. März 2021 Lesezeit: 7 Min.

Die Tragweite von Non-Fungible Tokens (NFTs)


Dieser Text ist in zwei Teilen zuerst in Nexus 58: Der Megatrend des Jahrzehnts, Twitters ‚Super-Follow‘, Spotify + Creators, NFTs (26.02.2021 ) und Nexus 59: Evolution der NFTs, Professionalisierung auf den Netzwerken, Netflix ‚Fast Laughs‘ (05.03.2021) erschienen. Nexus ist das Mitgliederangebot von neunetz.com mit exklusivem Newsletter, Podcasts und einem Discord-Forum. Mehr Informationen zum Mitglieder-Angebot hier.


Wikipedia definiert NFTs so:

Non-Fungible Tokens (NFTs) sind einzigartige kryptografische Token, die (im Vergleich zu Fungible Tokens wie z. B. Bitcoins) nicht austauschbar sind. Die Tokens sind also einmalig, können nicht repliziert oder zerstört werden.

Non-Fungible Tokens finden überall dort Verwendung, wo virtuelle Güter als einmalige Objekte gesammelt und gehandelt werden können, also bei virtueller Kunst oder Einzelobjekten in Computerspielen, v. a. bei DApps.

NFTs sind die Basis für Ökosysteme rund um Objekte, die zwar digital aber trotzdem knapp sind. (‚Ökosysteme‘ deshalb, weil NFTs an die jeweilige Blockchain, nicht an den ausgebenden Anbieter gebunden sind. (Im letzten Fall bedeutet etwa das Ende des Anbieters auch das Ende des virtuellen Objekts. Es ist wichtig für den wahrgenommenen Wert, dass NFTs davon nicht betroffen sind.))

Das ist alles erstmal neu:

  1. Das funktioniert natürlich nicht für den reinen Konsum abseits sozialer Aspekte. NFTs und Krypto allgemein sind nicht die „Lösung“ für die Nonrivalität & grenzkostenfreie Kopierbarkeit digitaler Güter. Für den reinen Konsum (von Musik oder Filmen etc.) stellt Knappheit ein Problem dar, das mittlerweile z.B. von On-Demand-Streaming-Abomodellen gelöst wird.
  2. NFTs sind dort spannend, wo Knappheit nicht als zu überwindende Hürde sondern als Wert in sich selbst gesehen wird.

Einer meiner VWL-Dozenten war ein untersetzter Österreicher, der in breitestem Wiener Dialekt zu sagen pflegte „äääss giäbt keinen gerechten Prääiiss“. Der Preis ist, was jemand bereit ist zu bezahlen.

Bei NFTs bezahlen die Leute vor allem dafür, dass der Besitz in der jeweiligen öffentlichen Blockchain vermerkt ist. (So weit ich das beurteilen kann, läuft die Mehrheit der NFT-Transaktionen über die Ethereum-Blockchain. Was naheliegend ist, weil Ethereum nicht nur vergleichsweise populär ist sondern eben auch smarte (programmierbare) Verträge ermöglicht.)

The Block berichtet über das Wachstum von Sorare, einer der führenden NFT-Plattformen:

Ethereum-powered Sorare is one of the top NFT platforms in the market today, having traded $4.2 million worth of digital football cards last month. It is currently ranked fifth on NFT tracker CryptoSlam, based on the trading volume of the past 30 days.

Sorare says it is already profitable and has experienced a 52% month-on-month volume growth over the last three months. More than 120 football clubs have launched their digital cards on Sorare, including Real Madrid and Juventus, said the firm.

​Digitale Fußballkarten sind ein offensichtliches Beispiel für die gewünschte Knappheit bei NFTs. Auch analoge Fußballkarten haben „nur“ ihren hohen Wert für Sammler, alle anderen kratzen sich am Kopf. „Es gibt keinen gerechten Preis.“

Decrypt zitiert einen Report von NonFungible und L’Atelier, zwei (mir unbekannte) Researchfirmen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Demnach liegt der komplette NFT-Markt heute bei 250 Millionen $.

Virtuelle Welten liegen bei 25% des Marktes. Richtig explodiert ist aber der Markt für digitale Kunst, der letztes Jahr um 2.800% gewachsen ist. 2019 lag der NFT-Markt noch bei einem Volumen von 62 Millionen $.

Esquire hat über einen der Künstler geschrieben, der für das explosive Wachstum verantwortlich war: Beeple. Der Künstler hat 1,8 Millionen Follower auf Instagram und hat in einer NFT-Auktion im Dezember digitale Kunst in Form von NFTs für 3,5 Millionen $ verkauft.

Ich empfehle diesen langen Esquire-Text, um vor allem das Phänomen NFTs im Kunstmarkt zu verstehen.

Die NFTs wurden vom Künstler gemeinsam mit physischen Objekten verkauft:

Inspired by collectibles like the vinyl toy market, Winkelmann and his wife set about designing a high-end physical object to go along with each sale. What they came up with was a marvel; picture a small LCD screen with a titanium back that displays the piece you just bought on a slow-moving loop. It’s like someone had asked Steve Jobs to redesign the Lucite box typically used to display baseball cards, but make it electric. Each one costs $500 to produce and is numbered and authenticated, with a front-facing QR code that takes you to a website that lists the provenance of that piece of art—who owned it before, and who owns it now.

“When I think prize,” Winkelmann said, “I think something you get in a fucking Cracker Jack box. I wanted to make this thing feel like it is the artwork. And it’s super tightly integrated with the NFT so that it feels like the same thing.”

Man sollte aber nicht den Trugschluss machen, die Käufer/innen hätten physische Objekte gekauft. Das sind lediglich Dreingaben zum NFT, die auch aus der Not heraus geboren wurden, dass sich der Künstler nicht gut dabei fühlte, JPGs zu verkaufen.

Was ist der Unterschied zwischen einem NFT für mehrere Hunderttausend $ gegenüber dem gleichen Kunstwerk als unendlich kostenfrei kopierbarem JPG oder GIF?

Was ist der Unterschied zwischen dem Original eines Gemäldes und einer perfekten Kopie, die nur ein Experte mit der Lupe erkennen kann? Warum hängen an den Wänden von Kunstsammler/innen die Originale und nicht sehr viel günstigere, nicht unterscheidbare Kopien?

Die Antworten auf diese Fragen sind gleich. In diesen Fällen ist der hohe Preis Teil des Wertes für die Käufer/innen. Einer der offensichtlichen Gründe ist natürlich sozialer Status. Es gibt keinen gerechten Preis.

Noch reproduzieren die NFTs die Aspekte ihre analogen Vorgänger. Aber natürlich kann gerade die Kunstwelt auch mit dem Vorgang der Transaktion selbst spielen. Eines der NFTs von Beeple änderte seinen Inhalt abhängig davon wer die US-Präsidentschaftswahl gewinnt.

Die Evolution von NFTs

Was wir von Kings of Leon lernen können

Als bisher bekannteste Band veröffentlicht Kings of Leon jetzt das neueste Album auch in einer NFT-Version.

Was man genau genommen ein Bundle nennen sollte.

Rolling Stone:

The band is actually dropping three types of tokens as part of a series called “NFT Yourself,” people involved in the project tells Rolling Stone. One type is a special album package, while a second type offers live show perks like front-row seats for life, and a third type is just for exclusive audiovisual art. All three types of tokens offer art designed by the band’s longtime creative partner Night After Night; the smart contracts and intelligence within the tokens were developed by YellowHeart, a company that wants to use blockchain technology to bring value back to music and better direct-to-fan relationships.

​Es gab schon immer unterschiedliche Album-Versionen, Limited, Deluxe und co.. Mit NFTs und der Online-Streaming-Welt zeichnet sich aber deutlich eine neue Musikwelt ab, in der zum Beispiel die Unterschiede (und ihre Funktionen für die Kreativen) größer sind:

  • Album für den reinen Konsum auf allen Services verfügbar (Rolling Stone nennt direkt für das Album Spotify, iTunes, Apple Music, Amazon)
  • NFT-Version mit zusätzlichen Perks (Limited-Edition Vinyl)
  • und weitere NFT-Versionen (mit VIP-Konzertkarten)

Was daraus folgt:

  • Musiker/innen & Bands haben weiter den maximal bequemsten Zugang zu ihrer Musik für alle Fans und Noch-Nicht-Fans über die Streamingdienste. Sie können darüber verdienen, aber es ist vor allem auch ein weiterer Weg neue Hörer/innen zu entdecken. (Die Funktion, die früher MTV und Radio hatten)
  • Gleichzeitig entsteht mit NFT-basierten Varianten ein Weg, mit den eigenen Super-Fans mehr zu verdienen

Natürlich kann man sagen, dass das alles auch ohne Blockchain-basierte Elemente ginge. Aber noch einmal:

Das Potenzial liegt zum einen auf der Anbieterseite im Ökosystem. Blockchain-basiert bedeutet, Innovationen, und damit vor allem gemeint Vielfalt!, sind interoperabel möglich, ohne das im Zentrum ein Orchestrator im Big-Tech-Gewand stehen muss, der alles vereint und zusammenbringt. Das heißt unter anderem auch, dass Marktplätze und andere Dienstleister in diesem System direkt mit einander konkurrieren, was Auswirkungen auf die Servicequalität und vor allem auch auf die Gebührenhöhen hat, wie etwa Chris Dixon von a16z schreibt.

Das Potenzial liegt zum anderen auf der Nachfragerseite in der relativen Zukunftssicherheit. Wenn der Marktplatz oder Onlinedienst, der mir die NFT-Version des Albums meiner Lieblingsband verkauft hat, pleite geht, verschwindet damit nicht mein NFT-Kauf, so wie mit DRM versehene Musik verschwand. Diese Unabhängigkeit vom Anbieter ist wichtig, egal wie viel davon ‚real‘ und wie viel davon gefühlt ist.

Wo die Reise hingeht

Was unter dem Begriff „Creator Economy“ mehr schlecht als recht betitelt gerade passiert, ist der Anfang der Erfüllung eines alten Internet-Versprechens.

Dixon fasst die jüngste Internet-Geschichte gut zusammen. Kevin Kellys 1.000-Fans-Vision des Internets wurde im letzten Jahrzehnt von den ersten Social Networks der Geschichte aufgehalten, weil sie viele Funktionen zentral vereinen konnten und es den Unternehmen zumindest ursprünglich egal war, wie selbst die populärsten Schöpfer/innen der Inhalte auf ihren Plattformen Geld verdienen können.

But the internet took a detour. Centralized social platforms became the dominant way for creators and fans to connect. The platforms used this power to become the new intermediaries — inserting ads and algorithmic recommendations between creators and users while keeping most of the revenue for themselves.

The good news is that the internet is trending back to Kelly’s vision. For example, many top writers on Substack earn far more than they did at salaried jobs. The economics of low take rates plus enthusiastic fandom does wonders. On Substack, 1,000 newsletter subscribers paying $10/month nets over $100K/year to the writer.

​NFTs sind ein Baustein dieser neuen Welt, weil sich in diese digitalen Sammelobjekte alles Denkbare einprogrammieren lässt.

Das beginnt bei banalen, aber sicher bald bzw. bereits populären, Dingen wie automatische Tantiemen an die Kreativschaffenden bei allen Weiterverkäufen ihrer NFTs.

Spannender wird es meines Erachtens, wenn Exklusivität und soziales Kapital hinter NFTs mit Communities verbunden wird.

NFTs können etwa die Eintrittskarten in exklusive Fan-Communities sein. Wer sein NFT verkauft, verliert damit den Zugang und gibt ihn an jemand anderen weiter. Bands und Musikerinnen könnten sogar einen besonders exklusiven VIP-Club für Fans schaffen, für dessen Zutritt man beispielsweise alle bisherigen NFT-Versionen der veröffentlichen Alben besitzen muss. Die Knappheit früherer Alben plus die Existenz dieses VIP-Clubs würden die Marktpreise bei populären Bands natürlich entsprechend nach oben treiben. Mit automatisierten Tantiemen bei Zweitverkäufen auch im Sinne der Band..



Damit so etwas möglich wird, muss keine Produktmanagerin bei Spotify überzeugt werden. Es braucht​ lediglich findige Entwicklerinnen, welche die Bausteine verbinden. Das ist ein Vorteil von Blockchain-basierten Lösungen.

Dixon:

The thousand true fans thesis builds on the original ideals of the internet: users and creators globally connected, unconstrained by intermediaries, sharing ideas and economic upside. Incumbent social media platforms sidetracked this vision by locking creators into a bundle of distribution and monetization. There are, correspondingly, two ways to challenge them: take the users, or take the money. Crypto and NFTs give us a new way to take the money. Let’s make it happen.

Der Hype rund um NFTs ist riesig. Laut Dixon lag das NFT-Volumen in den letzten 30 Tagen bei 300 Millionen $. NBA Top Shot hat davon 200 Millionen $ umgesetzt. Egal wie groß der Hype in den nächsten Monaten wird (tendenziell gigantisch), und wie weit er fallen wird, die Essenz hinter NFTs ist meines Erachtens deutlich. Hier ist eine Herangehensweise (um nicht ‚Format‘ oder ‚Werkzeug‘ zu sagen) gekommen, um zu bleiben.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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