Vor ein paar Monaten war das Wort "Metaverse" plötzlich überall. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Begriff "Metaverse" für eine kommende umfassende virtuelle Welt etabliert hat, erinnerte mich öfter daran, wie 2007 innerhalb von Wochen aus dem Wort Server der Begriff Cloud wurde. (meine Irritation damals)
Erklärtexte zum Metaverse beginnen entweder mit Matthew Balls Essay von Anfang 2020 oder steigen gleich mit Neil Stephensons "Snow Crash" von 1992 ein. Beides ist naheliegend, wie ich letzte Woche in meinem Text zum Metaverse im Tagesspiegel-Newsletter Background Digitalisierung & KI schrieb, wurde Balls Essay geradezu religiös im Silicon Valley gelesen und herumgereicht. Das liegt nicht nur daran, dass er recht haben könnte, sondern eben auch, weil er eine Narration und einen Begriff für diese Narration nachvollziehbar greifbar gemacht hat.
Mark Zuckerberg spricht seit längerem von seiner Vision des "Metaverse". Noch bevor er und andere das M-Wort in den Mund nahmen, hat Facebook Oculus übernommen. Zur Einordnung: Die Übernahme des VR-Headset-Unternehmens 2014 war eine 2-Milliarden-$-Übernahme, die Zuckerberg innerhalb von fünf Tagen eingetütet hat. VR ist, zumindest für Zuckerberg wenn auch nicht den Rest des Unternehmens, ein Thema seit mindestens 2014.1 (Die Marke Oculus wird Anfang 2022 verschwinden. Der Oculus Store wird künftig Quest Store heißen, die Oculus-App wird zur Meta-App und Oculus Quest wird zum Meta Quest.)
Aber was soll das alles jetzt?
Das ganze Thema hat drei Dimensionen.
- Der Begriff Metaverse ist eine PR-Bonanza
- Diverse Technologien entwicklen sich in eine offensichtliche Richtung
- Was sich Facebook davon verspricht
1. Der Begriff Metaverse ist eine PR-Bonanza
Narrative sind eine soziale Geschichte. Wir Menschen benutzen Geschichten, um miteinander zu kommunizieren. Um uns gegenseitig die Welt zu erklären und zu zeigen, was wir beabsichtigen oder wie wir etwas bewerten. Geschichten definieren einen wesentlichen Teil der Welt, wie wir sie wahrnehmen.
Rund um Narrative formen sich Gruppen, Bewegungen, und bauen etwas auf oder sorgen für Krieg oder Genozid.
Die Geschichten, die wir uns erzählen und, die, die wir uns nicht erzählen, setzen die Grenzen der Vorstellungskraft der Gesellschaft.
Narrative sind deshalb auch extrem wichtig für Unternehmens-PR. Komplexe Erzählungen lassen sich im besten Falle auf einzelne Begriffe runterbrechen. Die erfolgreichsten und gleichzeitig toxischsten Narrative befeuernden Neusprech-Begriffe der PR-Geschichte waren sicher das Oxymoron "Raubkopie" und der persönliche CO2-Fußabdruck.2
Die Macht hinter Narrativen führt zwangsläufig zu, sagen wir, Undeutlichkeiten bei den verwendeten Begriffen. Weil es eben nur darum geht, diesen Hebel für die eigenen Zwecke zu nutzen; und nicht darum, den Hebel korrekt zu benutzen.
Worte wie Digitalisierung sind deshalb heute nur noch Rorschach-Tests. Disruption wurde von einem sehr hilfreichen Framework für einen sehr spezifischen Vorgang in der Wirtschaft zu einem unklaren Synonym für Wettbewerb zwischen Unternehmen unterschiedlichen Alters. Jeder irgendwie erfolgreiche Onlinedienst wird heute "Plattform" genannt, weil Plattformen die mächtigste Art von Onlinediensten ist. KI ist überall da drin, wo irgendwie sich automatisiert anpassende Elemente sind. PR eben.
In den Neunzigern wurde das Internet Cyberspace genannt. Wir sprachen peinlicherweise von der Datenautobahn. t3n:
Das zugrunde liegende Konzept ist auf den ersten Blick gar nicht mal so verschiedenen zu dem, was Sci-Fi-Autor William Gibson schon in den frühen 1980er Jahren als Cyberspace beschrieben hat. Nur verwenden wir diesen Begriff eben längst für das realexistierende Internet – und damit auch für so banale Dinge wie Schlüpfershopping bei Zalando oder den Austausch von Urlaubsfotos in der Familiengruppe auf Whatsapp. Die Fantasie von Investoren lässt sich mit dem Begriff daher nur noch bedingt anregen.
Das was jetzt Metaverse genannt wird, könnte genau so gut Cyberspace genannt werden. Cyberspace als Begriff ist aber nicht neu und bereits außerhalb seiner Romanwelt benutzt worden.
In einer anderen Welt hätte es auch so sein ablaufen können, dass wir das Internet in den Neunzigern Metaverse nennen und auf dessen VR-Krönung warten und jetzt Mark Zuckerberg, Ball und Sweeney mit dem neuen Begriff Cyberspace ihre Vorstellungen vom nächsten Evolutionsschritt des Internets benennen könnten. Die Begriffe sind wortwörtlich austauschbar. Fast schon irrelevant auf der inhaltlichen Ebene. Entscheidend ist , dass der Begriff ‚Metaverse‘ noch nicht verbraucht ist. (oder zumindest war)
Stephenson beschreibt in seinem Roman eine Dystopie, in der eben auch die virtuelle Parallelwelt namens Metaverse existiert.
Man sollte Snow Crash, das mit dem eindeutig besten Timing in der Geschichte der deutschen Buchbranche diese Woche in einer neuen Übersetzung erschienen ist, gelesen haben. Aber nicht um Zuckerberg zu verstehen. Dafür ist es nicht notwendig.
2. Diverse Technologien entwicklen sich in eine offensichtliche Richtung
Narrative helfen dabei, diverse Gruppen von Menschen in eine gemeinsame Richtung zu bekommen. Das ist umso wichtiger, wenn diese Richtung bis dato vor allem aus einer Vision besteht. Wenn es also noch wenig Handfestes dazu gibt.
Sicher, Investoren (bei Facebook nicht soo wichtig) und Entwickler von Drittdiensten spielen hier eine Rolle. Aber das gesamte Thema ist noch so weit weg und so unklar, dass Zuckerbergs All-in-Schritt zuvorderst nach innen gerichtet ist. Eine Umbenennung des Unternehmens neben allen anderen Initiativen ist ein sehr deutliches Signal an die gesamte Organisation, dass es ihm ernst damit ist. Das ist durchaus wichtig.
In dem verhalten betitelten Text "The Metaverse Is About to Change Everything" in Vanity Fair berichtet der Autor von einem Treffen mit Disney-CEO Bob Iger:
He then sat down on the couch and proceeded to show me video clips from movies Disney was working on at the time, all footage of people and animals that I was sure were real (filmed with actors) but that Iger informed me were 100% CGI. My mind literally couldn’t decipher between reality and a computer-generated version of it. As I sat speechless, Iger looked at me with his trademark all-American smile, and said, “The crazy part about all of this, is that every time we render a new scene, the technology used to make it is already outdated. It’s already obsolete.”
(Hervorhebung von mir)
Die Geschwindigkeit, mit der Grafik-Engines wie Epics Unreal Engine besser werden, gehört zu den technologischen Entwicklungen, die von den meisten Laien massiv unterschätzt werden.
Was Ball in seinen Essays beschreibt, und wie gesagt auch jeden anderen Namen hätte bekommen können, ist kein zweites Second Life. Second Life startete 2003 und hatte seine Hochzeit vor den ersten Smartphones und in einer Zeit, der sich noch Breitbandanschlüsse in der Bevölkerung verbreiten mussten. Die Technologie war im Vergleich zu heute steinzeitlich und, wichtiger als das, es war ein geschlossenes System.
Geschlossene, monolithisch gemanagte Systeme können heute ebenfalls viel Kreativität und eigene kleine Mini-Ökonomien freisetzen. Roblox ist dafür vielleicht das beste Beispiel. Vanity Fair:
Roblox, one of the most downloaded games in the app store, has become it’s own mini-metaverse where people create blocklike games and experiences and where a very crude and rudimentary avatar of you can go and play. During the pandemic, it became the place kids would go to have birthday parties.
Aber das bewegt sich nicht in der Größenordnung, über die beim "Metaverse" gesprochen wird.
Ball schrieb Anfang 2020 in seinem Essay, den er mittlerweile in einer neunteiligen Serie erweitert hat:
The Metaverse, we think, will...
Be synchronous and live – even though pre-scheduled and self-contained events will happen, just as they do in “real life”, the Metaverse will be a living experience that exists consistently for everyone and in real-time
Be without any cap to concurrent users, while also providing each user with an individual sense of “presence” – everyone can be a part of the Metaverse and participate in a specific event/place/activity together, at the same time and with individual agency
Be a fully functioning economy – individuals and businesses will be able to create, own, invest, sell, and be rewarded for an incredibly wide range of “work” that produces “value” that is recognized by others
Be an experience that spans both the digital and physical worlds, private and public networks/experiences, and open and closed platforms
Offer unprecedented interoperability of data, digital items/assets, content, and so on across each of these experiences – your Counter-Strike gun skin, for example, could also be used to decorate a gun in Fortnite, or be gifted to a friend on/through Facebook. Similarly, a car designed for Rocket League (or even for Porsche’s website) could be brought over to work in _Roblox. _Today, the digital world basically acts as though it were a mall where every store used its own currency, required proprietary ID cards, had proprietary units of measurement for things like shoes or calories, and different dress codes, etc.
Be populated by “content” and “experiences” created and operated by an incredibly wide range of contributors, some of whom are independent individuals, while others might be informally organized groups or commercially-focused enterprises
Es lohnt sich vielleicht, einzuordnen, was wir heute vor uns haben und was technologischer Fortschritt morgen ermöglichen wird.
Das heutige Internet ist vor allem eine Evolution und Revolution von Medien. Die Nachfolger der Printzeitung, des Fernsehens sind hier. TV-Nachfolger sind YouTube, Netflix aber auch Tiktok und Instagram. Das sieht alles sehr unterschiedlich aus, aber es sind: Medien, mit denen wir interagieren. Natürlich gibt es rasant wachsenden Onlinehandel und neue Reallokationen von Ressourcen und Arbeitsteilung in Form von SaaS-Diensten etc.
Aber Formfaktoren und Interaktionsunterschiede formen die Grundlage dafür, wie stark sich Angebote unterscheiden können, oder auch: sich weiterentwickeln, absetzen können. Sie setzen den Rahmen des Möglichen. YouTube ist nicht RTL, und TikTok ist nicht YouTube.
Anschaulich vielleicht am besten so umschreibbar: Alle Smartphones haben heute Kameras, zum Teil sehr gute Kameras. Deshalb können potenziell alle Tiktok-Nutzer eigene Videos erzeugen.
Mit AR-Brillen und VR-Headsets werden natürlich neue Arten von Diensten möglich. Hinzu kommt, dass wir nicht zwischen streng getrennten 3D-Welten und 2D-Internet unterscheiden sollten. Es ist fließend und wichtiger als die 3D-Elemente dürften die Interoperabilität und die dadurch ermöglichte Ökonomie sein. (Dinge, die sich in 3D und 2D gleichermaßen ausbreiten dürften.)
Die Fragen hierbei sind nicht, ob da etwas kommt, sondern wann. Und was.
Epic Games arbeitet sehr akribisch am Backend seiner Vision des Metaverse. Sprich also: die Werkzeuge, die es braucht, um die Umgebung zu erschaffen. Epic Games ist mit Fortnite heute auch am nächsten an der Vision dran. Simulierte gemeinsame Großevents wie Konzerte (die in Wirklichkeit auf viele Instanzen verteilt sind und die Gemeinschaftlichkeit noch nur vorgaukeln) finden längst in Fortnite statt.
Hinter den Klagen gegen Apple steckt auch Epics Vorstellung eines Metaverse. Weil Apple und Google 30% von fast jeder Transaktion einbehalten wollen, kann auf der Basis der heutigen mobilen Betriebssysteme kann kein Metaverse entstehen.
Warum nicht?
Was sich Tim Sweeney von Epic Games oder Mark Zuckerberg (oder auch Matthew Ball) beim "Metaverse" als die nächste Evolutionsstufe des Internets vorstellen, entspricht auch einer Explosion in den Ausgestaltungs- und Interaktionsmöglichkeiten im Netz. Hinaus wachsend über das heutige Medien-Internet hin zu einem Ort.
Das bedeutet, dass an dieser Stelle Menschen (rein digitalen) Handel miteinander treiben, dass sie sich einrichten, dass sie sich hübsch machen etc. pp.
Eine komplette parallele Welt.
Damit das funktioniert, kann kein Unternehmen vorgelagert vor dieser Metaverse-Ökonomie bei allem abkassieren, was dort passiert.
Damit das funktioniert, müssen Standards geschaffen werden, über die sich keine hierarchische Organisation hinwegsetzen kann. Sprich: Damit ich in dieser Parallelwelt etwas von dir kaufen kann, das in dieser Welt rar ist, müssen du und ich uns auf die Einzigartigkeit des Objekts verlassen können.
Hier kommt der Krypto-Aspekt des Ganzen zum Tragen. NFTs sind die technologische Grundlage für Objekte, die in dieser virtuellen Welt existieren können, und fast alles von physischen Objekten übernehmen können. Erst unternehmensunabhängige digitale Objekte in einer solchen Welt können dessen echtes Potenzial entfalten.
Natürlich beginnen Facebook und co. heute mit virtuellen Meetings als Use Case. Das ist extrem banal und erscheint albern. Aber jedes neue Technologieparadigma beginnt damit, das alte zu imitieren. Genuin Neues kommt erst danach, zum Teil sehr viel später danach.
Das gilt auch für NFTs und das Metaverse. Es ist unwahrscheinlich, dass es dabei bleiben wird, Skins für den eigenen Avatar zu kaufen, den man dann weiterverkaufen kann. Das Spannende ist immer der speziell digitale Aspekt. Siehe hierzu meinen Text "Die Tragweite von Non-Fungible Tokens (NFTs)" vom März 2021:
Das beginnt bei banalen, aber sicher bald bzw. bereits populären, Dingen wie automatische Tantiemen an die Kreativschaffenden bei allen Weiterverkäufen ihrer NFTs.
Spannender wird es meines Erachtens, wenn Exklusivität und soziales Kapital hinter NFTs mit Communities verbunden wird.
NFTs können etwa die Eintrittskarten in exklusive Fan-Communities sein. Wer sein NFT verkauft, verliert damit den Zugang und gibt ihn an jemand anderen weiter. Bands und Musikerinnen könnten sogar einen besonders exklusiven VIP-Club für Fans schaffen, für dessen Zutritt man beispielsweise alle bisherigen NFT-Versionen der veröffentlichen Alben besitzen muss. Die Knappheit früherer Alben plus die Existenz dieses VIP-Clubs würden die Marktpreise bei populären Bands natürlich entsprechend nach oben treiben. Mit automatisierten Tantiemen bei Zweitverkäufen auch im Sinne der Band..
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Damit so etwas möglich wird, muss keine Produktmanagerin bei Spotify überzeugt werden. Es braucht lediglich findige Entwicklerinnen, welche die Bausteine verbinden. Das ist ein Vorteil von Blockchain-basierten Lösungen.
Für eine virtuelle Parallelwelt mit Eigenschaften, die an die physische Welt erinnern, ist unter anderem Objektpermanenz wichtig. In meinem Tagesspiegel-Text schrieb ich:
“Ich sehe in der zentralen Kontrolle der content policies das Haupthindernis für die allgemeine Einführung eines Metaverse”, sagt Sebastian Campos Groth, Chief Operating Officer bei Arweave. Arweave arbeitet seit 2018 an einer permanenten Speicherung von nicht mehr veränderbaren Daten, welche über eine dezentrale Protokoll-Architektur mit blockchain-ähnlichen Anreizsystemen ermöglicht wird. Technologien, wie sie Arweave oder das in London sitzende Parity und viele andere Unternehmen im Blockchain-Umfeld bauen, stellen wichtige Bausteine für ein künftiges Metaverse dar. Unlöschbare Daten ermöglichen Objektpermanenz, also digitale “Objekte” (Datenbankeinträge), die nicht verschwinden, wenn eine Serverreihe ausfällt oder ein Unternehmen einen Dienst oder sein ganzes Geschäft einstellt. Blockchain-basierte Technologien wie NFTs geben dem Metaverse die zumindest theoretisch technische Basis für digitale Objekte, mit denen alles und mehr gemacht werden kann wie mit physischen Objekten.
Im Krypto-Sektor entsteht eine Infrastruktur, die an vielen Stellen noch nach ihrer Daseinsberechtigung sucht. Ein Metaverse, das unabhängig von einem Unternehmen existieren können soll, kann nur mit Krypto-Elementen umgesetzt werden.
Das ist alles noch Zukunftsmusik, aber man kann bereits heute das Potenzial sehen. Das 2018 gestartete, NFT-basierte Spiel Axie Infinity ist bereits dabei jährliche Umsätze von über 2,7 Milliarden US-Dollar zu machen. (Siehe unter anderem Blockworks)
Wer sich noch an 2019 erinnern kann, wird vielleicht daran denken, dass Facebook in diesem Jahr eine eigene Kryptowährung angekündigt hat. (siehe meine damalige Analyse "Die Tragweite von Facebook Libra")
Das mittlerweile in Diem umbenannte Projekt zeigt zweierlei:
Zum einen hat Facebook auch Krypto auf dem Schirm. Zum anderen braucht auch Facebook länger für diese Projekte als sie sich vorstellen können und nach außen kommunizieren.
Der Widerstand der Außenwelt wird sicher nicht geringer werden.
Timing darf nicht unterschätzt werden. Facebook ist jetzt als Meta sehr, sehr früh dran. Das kann von Vorteil sein, muss es aber nicht. Stratechery über die Zeithorizonte:
The time from the Intel microprocessor to the Dotcom Bubble bursting was 30 years (and, it should be noted, there were a lot of smaller, more localized bubbles along the way); Satoshi Nakamoto only published his paper in 2008. Thirteen years after 1971 was 1984, the year the Mac was introduced; the browser was another 9 years away. It’s one thing to see the future coming; it’s something else entirely to know the timing.
Das Problem: Die Datenautobahn, der Cyberspace, interaktive CD-Roms und digitale Magazine auf dem iPad. Wir leben nicht in Whiteboards. Wie wird das Metaverse, diese virtuelle Parallelwelt aussehen? Was ergibt darin Sinn, was nicht?
Dass das Internet sich weiter entwickeln wird, dass neue Formfaktoren in Form von Endgeräten, neue, komplexere, vielfältigere Interaktions- und Aktionsmöglichkeiten schaffen werden, steht außer Frage, dass 3D neue Dinge ermöglicht, auch. Aber welche?
Der Vorteil von Plattformprovidern ist auch, dass sie nicht umfänglich wissen müssen, was auf ihnen mal passieren könnte, damit sie erfolgreich sein werden. Bei Tiktok arbeiten nicht Tänzer und Comedians, die die App programmiert haben. Sie verkaufen die Schaufeln, sie graben nicht selbst nach Gold. Vielleicht reicht das, vielleicht nicht.
Gemessen daran, was auf Facebooks heutigen Plattformen abgeht, lässt einen allerdings auch diese Aussicht etwas ratlos zurück.
3. Was sich Facebook/Meta davon verspricht
Matthew Balls These, dass wir mit Fortnite, Roblox und co. die ersten zarten Ausläufer eines kommenden gewaltigen Paradigmawechsels sehen, wie wir das Internet nutzen und welche gesellschaftlichen Möglichkeiten uns das Internet bietet, ist eine These, die ich persönlich teile. Es ist allerdings wichtig, immer wieder darauf zu verweisen, dass wir nicht wissen, wann die notwendigen Technologien so weit sind und was
Was verspricht sich Zuckerberg also heute davon, mit seinem Konzern all-in in dieses Thema zu gehen? Warum macht er das?
Dass Facebook "nur" eine App auf iOS und Android wurde, war gut für Facebook, weil es überall für jeden verfügbar sein konnte. Das gilt auch für die Facebook-Apps Instagram und WhatsApp. Es bedeutete aber auch, dass Facebook, das Unternehmen, immer nur das machen kann, nur das machen darf, was Apple und Google auf ihren Plattformen erlauben. Das schränkt den Handlungsspielraum nicht nur ein. Es ist auch eine Gefahr für das Kerngeschäft, wie man an den Warnungen an Wall Street dank Apples App Tracking Transparency sehen kann.
Zuckerberg hätte schon immer gern eine eigene Plattform gehabt. 2017 schrieb ich schon einmal anlässlich der damaligen f8-Konferenz: "10 Jahre später: Facebook baut immer noch Plattformen im Jahrestakt"
Wenig davon ist bis heute hängen geblieben. (Randnotiz: Der Cambridge-Analytica-Skandal seinerzeit war wiederum Nachwehen einer frühen Öffnung von Facebook als Plattform, die heute nicht mehr existiert.)
Zuckerberg glaubt sehr stark an AR/VR als die Zukunft für sein Unternehmen. Das zeigen nicht nur die Ankündigungen:
- Facebook unveils Horizon Home social VR, Messenger VR calls, and fitness VR on road to metaverse | VentureBeat
- Meta Announces AR Glasses Prototype Project Nazare
- Facebook is adding a mixed reality platform to Oculus Quest - The Verge
- Facebook teases ‘Project Cambria’ high-end VR / AR headset - The Verge
- Facebook opens Oculus Store to 2D progressive web apps | TechCrunch
Es zeigt sich vor allem und zuvorderst in der Umbenennung. Die Umbenennung ist das mit Abstand deutlichste Zeichen, das Zuckerberg Richtung Drittanbieter und vor allem Richtung Mitarbeiter machen konnte, dass es dieses Mal wirklich ernst ist. Das ist kein jährlicher Plattformplay, das ist the real deal, my man!
Es ist erst einmal egal, ob wir diese Sicht teilen oder nicht, entscheidend ist die Größe des Signals. Man erinnere sich an die Macht der Narrative, über die ich vor 170.000 Zeichen schrieb. Die schiere Größe des Signals hat ihre Wirkung auf die Unternehmenskultur des Konzerns. Egal was passiert, das Unternehmen geht jetzt in diese Richtung. Zuckerberg hat im Guten wie im Schlechten alle Entscheidungsmacht über sein Unternehmen und er hat den Truppen jetzt endgültig den offiziellen Marschbefehl gegeben.
Aber machen wir nochmal einen Schritt zurück. Was bringt Facebook mit, was ist sein Vorteil als Meta gegenüber anderen? Was erhoffen sie sich?
Die Assets:
A: Ich sage das jetzt einmal, und danach verbiete ich aus Urheberrechtsgründen jede weitere Verwendung dieses Wortwitzes: Metadaten.
Ganz konkret die verschiedenen Social Graphs und alles was drumherum hängt:
- Influenzer, Berühmtheiten, Broadcasting, Follower-Prinzip: Instagram
- Familie und Freunde: WhatsApp
- Irgendwo dazwischen: Facebook, die App
Facebook/Meta, das Unternehmen, ist mit seinen über 3 Milliarden aktiven Nutzern das größte Personenverzeichnis der Welt. Das wird auch in in einer virtuellen Parallelwelt von Wert sein. Stärker als das klassische Facebook schätze ich hier die Broadcasting/Follower/Creator-Welt von Instagram ein. Ebenso Whatsapp für die Welt außerhalb des Westens. Man muss sich die dortigen Verbindungen in den Apps als Startpunkt vorstellen.
B: Geld. Facebook/Meta hat ein lukratives und vergleichsweise stabiles Kerngeschäft wie jeder Big-Tech-Konzern, und kann deshalb dessen Profite in neue Geschäftsfelder investieren, wie jeder Big-Tech-Konzern.
Das ist nicht zu unterschätzen. Für Facebook bedeutet das auch ein Ausweg heraus aus dem aktuellen Regulierungsumfeld. Wir erinnern uns, Facebook konnte seinerzeit WhatsApp und Instagram kaufen und seine Marktposition als führendes Social Network im Westen zementieren. Das hatte vor allem verherrende Folgen für den Onlinewerbemarkt, der heute im Westen de facto ein Duopol aus Facebook und Google ist.
Die regulatorische Erlaubnis dieser Übernahmen werden heute gemeinhin als Fehler gesehen. (Hier setzen auch die Zerschlagungsforderungen an.) Aus dieser meiner Meinung nach auch korrekten Sicht folgt auch, dass es heute ausgeschlossen ist, dass Facebook irgendwann ein weiteres Social Network übernehmen werden kann. Also kein Clubhouse, kein Snapchat oder auch kein TikTok (so es denn zum Verkauf stünde), das Facebook übernehmen könnte.
Regulierungsbehörden aber sind bekanntlich langsam in ihrer Evaluierung des Marktes.
Versetzen wir uns einmal in Mark Zuckerbergs Position. Angenommen, wir gehen davon aus, dass AR/VR ein neues Interaktionsparadigma im Internet schaffen wird. Auch in diesem Umfeld wird es soziale Interaktionen geben. Für diese Welt braucht es Hardware und unterschiedlichste Technologien.
Irgendjemand wird auch in dieser Welt zu den Gewinnern zählen, egal wie dezentral sie an der einen oder anderen Stelle organisiert sein wird. (Das Internet ist mit TCP/IP, HTML und co. recht dezentral und hat Google und Facebook ermöglicht. Das ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Dezentralität auf einer Ebene erlaubt ungebremste Zentralisierung auf einer anderen.)
Warum nicht so früh wie möglich so aggressiv wie möglich in diesen neuen, ach was sage ich, noch nicht einmal existierenden, Sektor reingehen und, zum Beispiel, viel versprechende Startups mit vielversprechenden Technologien und vielversprechenden Teams übernehmen?
Facebook kann sich selbst im Social-"Sektor" nicht mehr mit M&A beschützen, weil es keinen Social Graph mehr übernehmen kann. Aber es ist unwahrscheinlich, dass dem Unternehmen ähnlich regulatorisch begegnet wird, wenn sie beginnen Grafik-Engines und NFT-Marktplätze zu übernehmen.
Nachdem ich mich seit dem Sommer damit beschäftige, bin ich mittlerweile bei der Position angekommen, dass das Meta-Metaverse (ha!) sehr viel "offener", "dezentraler", also weniger von Facebook kontrolliert, ausgestaltet sein wird, als es die meisten heute wahrscheinlich vermuten. Das hängt am Potenzial von Plattformen, besonders bei so etwas umfänglichem wie dieser VR-Welt, das umso größer ist, je mehr on-top ohne Erlaubnis und Gefahr gebaut werden kann. Das hängt auch am Image von Facebook, das ihnen umso mehr Türen verschließt, je facebookiger etwas von ihnen ist. Und es hängt an der Werbung.
Werbung wird es immer geben. Auch im "Metaverse". Facebooks Kerngeschäft ist Werbung. Erlösströme können sehr viel vielfältiger künftig sein, Instagrams E-Commerce-Welt zeigt da bereits die Richtung. Facebook kann diese neue Welt anschubsen. Hardware kann zum Kostenpunkt verkauft werden. Selbst wenn Meta mit seinen Facebook-Graphen den Startpunkt liefert und danach in den Hintergrund rutscht, weil die Musik dort spielen wird, wo Neues on-top gebaut wird, dann kann Meta, das Unternehmen, immer noch mit seinem VR-Welt-umspannenden Werbegeschäft sehr, sehr viel Geld verdienen. Und Apple kann dort das Tracking nicht aufhalten.
Kompatibilität. Ebenso wie bei Libra/Diem so auch hier: Die Tatsache, dass Facebook auf absehbare Zeit so groß bleiben wird, das man an seinen Angeboten nicht vorbeikommt, stellt eine gewisse Absicherung für die Zukunft des Unternehmens dar. Ein Fuß in der Tür, eine Grundkompatibilität für das, was da kommen mag.
Fazit
Facebook und Zuckerberg werden seit ihrem Bestehen unterschätzt. Die meisten werden es verdrängt haben, aber als ich 2010 titelte "500 Millionen: Nach dem Google-Jahrzehnt kommt jetzt das Facebook-Jahrzehnt", war das auch eine Antwort auf die damals vorherrschende Meinung, dass Facebook jeden Moment untergehen und verschwinden wird. Viel von den diversen technischen Initativen Facebooks ist nicht mehr übrig geblieben. Aber es war tatsächlich das Facebook-Jahrzehnt.
Facebooks Image ist nicht erst seit den jüngsten Leaks sehr, sehr schlecht. Das wird mit der Umbenennung nicht besser und das war mit Sicherheit auch keine Intention. Facebook als Meta hat gute Voraussetzungen ein Player in der sich herausschälenden neuen Welt zu sein. Dazu zählen Geld für Investitionen & Übernahmen, die eigene VR-Hardware und die verschiedenen Social Graphs.
Das größte Problem für Facebook/Meta ist sein schlechter Ruf. Das wiederum könnte Zuckerberg und co. unter anderem dazu animieren, ein tatsächlich "offenes", also dezentrales System mitzubauen. Zentrale, monolithische Ansätze ergeben für die VR-Vision des Metaverse aus diversen Gründen wenig Sinn, für Facebook aufgrund dessen aktuellen Rufs aber noch weniger als für andere.
Wer gern Haare in Suppen zählt und Wälder nicht von Bäumen unterscheiden kann, wird, acschually, auch heute noch nicht verstehen, warum wir von Cloud statt Servern sprechen. Wer einen Unternehmen aufbaut oder anderweitig Services skalieren muss, sieht den Tag-/Nacht-Unterschied zwischen einzelnen Servern, die, Gott bewahre, im Nebenraum laufen, und Cloud-Angeboten wie AWS und Azure, deren zwei große Stärken Flexibilität im Deployment und vertikale Integration von SDKs, Frameworks, Datenbankarten und vielem, vielem, vielem, vielem, (vielem) mehr ist.
Woran Epic, Facebook, hoppla, Meta und andere arbeiten, wird kein zweites Second Life werden. So wie die heutigen Lebensmittellieferdienste keine zweiten Webvans sind. Es geht nicht nur im die Idee, das Konzept, und es geht auch nicht nur um Idee und Umsetzung, es müssen Konzept, Umsetzung und Timing passen.
Wir sind bei einigen Technologien (Krypto, Grafik-Engines, Breitband, Verbreitung und Leistungsfähigkeit der Endgeräte) an einem Punkt, an dem sich eine Emergenz eines neuen Paradigmas am Horizont deutlich abzeichnet.
Einzig unklar sind zwei Details dabei:
- Wann die Technologien wirklich soweit sein werden.
- Wie das Metaverse wirklich aussehen, wirklich sinnvoll sein wird.
Ach, und wer die großen Gewinner sein werden.
Aber ein noch allumfassenderes Internet-Paradigma mit noch mehr Gewinnern, groß und klein, als heute? Wer würde nicht versuchen, da dabei zu sein, wenn man eine echte Chance hat, das von Anfang mitzugestalten?
- Zuckerberg ist das Unternehmen. Er hält immer noch die Mehrheit der Stimmen im Board und kann mehr oder weniger machen, was er will. Im Guten wie im Schlechten. (Siehe die aktuellen Leaks.) ↩
- Entweder du kopierst ODER du raubst. Der Begriff hat jahr(zehnt)elang jede echte Auseinandersetzung mit Opportunitätskosten an dieser Stelle verhindert und damit im nächsten Schritt ein Verstehen der Verschiebungen auch bei seinen Verfechtern verhindert. Der persönliche CO2-Fußabdruck hat die Verantwortung der Unternehmen unsichtbar gemacht und Streß bei allen erzeugt, die sich mit diesen Themen intensiver beschäftigt haben. Deshalb wurde dieser Begriff von der Fossilindustrie gepusht. Siehe etwa dazu Guardian. ↩