Apples Headset, „Apple Vision Pro“, das das Unternehmen diese Woche auf der Entwicklerkonferenz WWDC ankündigte und erstmals präsentierte, wird erst „early 2024“ erscheinen. Und wird 3.499$ in den USA kosten.
Beides macht deutlich, dass es sich hier um einen neuen großen Wurf handelt. Es kommt nicht oft vor, dass Apple ein Produkt präsentiert, das erst über ein halbes Jahr später erscheinen wird. Der Preis spricht auch für sich: Es ist eine V1 in einer neuen Produktkategorie.
Wie wichtig wird dieses Produkt werden?
Diese Frage kann man an verschiedenen Aspekten festmachen:
- Eine neue Produktkategorie braucht ein neues Interfaceparadigma. Macht Apple etwas anders besser als alle bisherigen Anbieter?
- Wie kann es sich in unseren Alltag einfügen?
- Kein Hardwareprodukt dieser Art kommt ohne Softwareplattform aus. Welche Strategie verfolgt Apple?
Das Interface (Punkt 1) funktioniert. Die ersten Tester sind sich einig.
Ben Thompson auf Stratechery:
The high expectations came from the fact that not only was this product being built by Apple, the undisputed best hardware maker in the world, but also because I am, unlike many, relatively optimistic about VR. What surprised me is that Apple exceeded my expectations on both counts: the hardware and experience were better than I thought possible, and the potential for Vision is larger than I anticipated. […]
this isn’t a user interface like iOS or iPadOS that has to accommodate big blunt fingers; rather, visionOS’s eye tracking is so accurate that it can easily delineate the exact user interface element you are looking at, which again, you trigger by simply touching your fingers together. It’s extraordinary, and works extraordinarily well.
Ben Bajarin für Creative Strategies:
I have never used a device that nailed eye tracking, and Apple Vision Pro did just that.
Matthew Panzer auf Techcrunch:
After a roughly 30 minute demo that ran through the major features that are yet ready to test I came away convinced that Apple has delivered nothing less than a genuine leapfrog in capability and execution of XR — or mixed reality with its new Apple Vision Pro. […]
The eye tracking and gesture control is near perfect. The hand gestures are picked up anywhere around the headset, that includes on your lap or low and away resting on a chair or couch. Many other hand tracking interfaces force you to keep your hands up in front of you, which is tiring. Apple has high resolution cameras dedicated to the bottom of the device just to keep track of your hands. Similarly, an eye tracking array inside means that, after calibration, nearly everything you look at is precisely highlighted. A simple low-effort tap of your fingers and boom, it works.
Aber passt es in den Alltag?
Von den ersten Personal Computern in den Achtzigern bis zu den heutigen Smartphones, es ist nur erfolgreich, was in unseren Alltag passt, was irgendetwas am Alltag verbessert.
Apples Headset-Ansatz ist vielseitig spannend, was diesen Aspekt angeht. Vor allem, weil sie es sehr pragmatisch angehen.
Thompson fasst es gut zusammen auf Stratechery:
Apple Vision is technically a VR device that experientially is an AR device, and it’s one of those solutions that, once you have experienced it, is so obviously the correct implementation that it’s hard to believe there was ever any other possible approach to the general concept of computerized glasses.
Apple Vision ist VR, weil es ein Screen ist, der das gesamte Sichtfeld abdeckt. Apple Vision ist in der Nutzung AR, weil die nach außen gerichteten Kameras Dinge im Umfeld abbilden können. Das ist zum Beispiel praktisch, wenn man für lange Zeit etwas in VR im Apple Vision macht und jemand den Raum betritt. Wichtig für das eigene Gefühl während der Nutzung.
Pragmatisch ist auch, dass im Apple Vision Pro vor allem 2D-Programme dargestellt werden. Disney+ wird prominent genannt. iPad-Apps können direkt in Vision laufen. Vision Pro kann als Monitor für den Mac agieren.
EyeSight dagegen, eine Abbildung der Augen des Headsetträgers auf der Außenseite, hat noch niemand in Action gesehen. Ich schätze, dass es zu den Features gehört, die auf dem Papier gut klingen, in der Praxis aber einfach creepy sind. Ich bezweifele, dass diese Funktion sich durchsetzen wird. Lieber das Headset absetzen.
Zum Creepy-Faktor zählt auch, dass sich kein Apple-Manager mit einem Headset filmen lies. Gemessen daran, wie die Presse mit jedem Detail von Apple umgeht, sicher eine gute PR-Entscheidung.
Wo und wann wird es genutzt werden?
Neben den heute noch nicht absehbaren Nutzungsszenarien, die neu dank dieses Formfaktors ermöglicht werden, sehe ich relativ offensichtliche Einsatzarten:
Es scheint mir ziemlich offensichtlich zu sein, wenn ich mir so manches hochgepimpte Home-Office-Setup anschaue, dass Apple Vision Pro für viele Mac-Home-Office-Arbeiter:innen eine sinnvolle Erweiterung sein wird, besonders in Großstadtwohnungen mit wenig Platz, kann es in ein paar Jahren Standard für besser betuchte Heimbüro-Arbeiter:innen sein, ein Computer-Setup aus Apple Vision Pro, Bluetooth-Tastatur und Macbook zu benutzen.
Also welche Geräte wird ein Vision Pro, dessen Interface in Nutzung, Auflösung und Reaktionsgeschwindigkeit bereits in der V1 sehr gut zu sein scheint, ersetzen oder ergänzen/leicht verdrängen?
Externe Computermonitore. Konsolen. Fernseher.
Je nach Nutzer wird das weniger und stärker der Fall sein. Wer viel unterwegs ist wegen des Jobs bekommt hiermit ein mobiles Multimonitor-Setup. Spiele werden ein Thema. Fernseher? Filme auf dem Vision Pro und anderen kommenden Headsets mit entsprechender Auflösung werden sehr imersiv.
Aber schauen wir Filme immer allein? Vision Pro ist eher eine zusätzliche Alternative zum Fernseher im Wohnzimmer. So wie nah ans Gesicht gehaltene Tablets und Smartphones TV-Alternativen sind.
Das wirft eine weitere Frage auf: Arbeit im Vision Pro könnte bequemer und besser sein als auf dem Laptop oder Tablet, aber wie nützlich werden Videocalls sein, wenn ausreichend viele Kolleg:innen Visions tragen und deshalb nur als Avatare dabei sind. Oder anders: Wie awkward wird eine Mischung aus Laptop-Kolleg:innen und Vision-Angebern im Zoom-Call werden? Funktioniert Vision Pro nur im Einzelbüro oder im Einzelzimmer daheim?
Ich schreibe das alles so ausführlich auf, weil ich schon bei Metas Headsets davon ausgegangen bin, dass irgendwann ein wesentlicher erste Use Case dieses Formfaktors ein potenzieller Monitor-Ersatz im Arbeitsalltag ist, wenn Auflösung und Rechenleistung das ermöglichen. (Again: Es geht hier nicht um einen 100%igen Ersatz, was natürlich gar keinen Sinn ergeben würde. Unterschiedliche Situationen, unterschiedliche Formfaktoren.)
Apple hat alles, vom hochauflösenden Interface, der Mac- & iPad-Anbindung und der 2D-Fixierung, und dem AR/VR-Mix -also: ich sehe dich, wenn du reinkommst- genau auf diesen ersten Einsatzzweck hin ausgelegt. Das klingt banal, weil es das Gegenteil von shiny new Killerapp ist. Das heißt aber nicht, dass es nicht für ausreichend viele Leute ausreichend nützlich sein wird.
Und natürlich: Vision Pro ist, wie schon davor Apple Watch und AirPods, in nahezu jeder Hinsicht eine Erweiterung des bestehenden Apple-Ökosystems. Und wird demzufolge fast ausschließlich bestehende Apple-Nutzer:innen ansprechen.
Das bringt uns zum dritten Aspekt, der Plattform-Frage.
Jede Plattform steht am Anfang vor dem Henne-Ei-Problem, oder Cold-Start-Problem. Für App-Plattformen bedeutet das die Herausforderung, das der Plattformanbieter Entwickler:innen davon überzeugen muss, für die Plattform ohne Nutzer:innen Apps zu schreiben. Und er muss gleichzeitig die Nutzer:innen davon überzeugen, die Hardware zu kaufen, mit der sie Zugang zur Plattform bekommen, für die Entwickler:innen noch keine Apps geschrieben haben.
Damit steht und fällt der Anfang von jeder Plattform.
Dass wir heute im Gegensatz zu den Neunzigern etwa so viele Betriebssysteme haben (heute: Windows, Mac, iOS, iPadOS, Android, Linux) liegt in erster Linie am Web, das der gemeinsame Zugang zu vielen, sehr vielen Dingen darstellt.
Apple hat den Vorteil, dass sie etwas vergleichbares Proprietäres haben:
Die Apple Watch ist ein Erfolg (siehe unten) nicht weil sie ein supertolles eigenständiges Produkt ist, sondern weil sie ein praktisches Zubehör zum iPhone ist und direkt in die iPhone-Plattform integriert ist. Das iPad ist vor allem deshalb das erfolgreichste Tablet, weil es ein großes iPhone ist. Es ist so nah an der iPhone-Plattform, dass es leicht Apps vom kleinen, großen Bruder „erben“ kann. Das Gleiche gilt für iOS, iPadOS und Mac: Die sind zwar alle drei eigenständige Betriebssysteme auf dem Papier, rücken aber auf der wichtigen App-Seite immer näher zusammen.
Wie bekommt Apple jetzt also die neue Plattform off the ground?
Sie haben gleich mehrere, clevere Dinge gemacht:
- Fokus auf 2D, wie ich oben schon schrieb: Das heißt, dass hier das Web und bestehende lokale Apps aus dem Ökosystem benutzt werden können.
- Anbindung an iPad: iPad-Apps laufen nativ auf der Vision Pro.
- Anbindung an Mac: Vision Pro kann als Monitor eines vorhandenen Macs benutzt werden.
- Last not least AR-Apps: Apple hat 2017(!) ARKit vorgestellt. (siehe unter anderem Pocket-Lint) Seit 6(!) Jahren bauen Entwickler:innen AR-Apps für das iPhone und iPad, die mit dem Vision Pro natürlich erst ihre eigene ‚richtige‘ Umgebung bekommen.
Natürlich werden und sollen genuine 3D-Apps für visionOS gebaut werden.
Aber Vision Pro wird auch ohne diese out of the box bereits nützlich sein dank dieser sehr umsichtigen Plattform-Vorarbeit von Apple.
Das sind Apples strukturelle Vorteile heute:
- immenses Developer-Ökosystem mit bestehenden Plattformen, die nah an neue Produkte gerückt werden können (man denke hier etwa auch an Project Titan)
- heute leider ungeschlagene Hardware-Expertise (zum Apple Vision Pro gehören 5.000 Patente..)
- Apple schwächelt seit einigen Jahren auf der Software-Seite, besonders was UI/UX angeht, scheint aber wenn man den Testern folgt beim Headset auch hier gut vorgelegt zu haben (oder anders: Apple schwächelt, aber alle anderen sind noch schwächer)
Erfolg?
Wird Apple Vision Pro ‚erfolgreich‘ sein?
Erfolg lässt sich schwer ohne Kontext messen. Apples vorletztes neue Produkt, Apple Watch, wird oft als Flop aufgezählt von Laien. Verglichen mit dem iPhone, dem erfolgreichsten Produkt der Wirtschaftsgeschichte, ist die Apple Watch kein Erfolg. Ein Hit ist sie trotzdem.
Apple verkauft seit mindestens 2020 mehr Apple Watches pro Jahr als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie im gleichen Zeitraum Uhren verkauft. (The Verge) (Apple verkauft 2,5 Mal so viele Watches wie der nächstgrößte Smartwatch-Konkurrent Samsung, und mehr Einheiten als die sechs größten Rivalen zusammen. (Apple Insider))
Ich sehe ähnliche Betrachtungen auf uns zukommen, was Apple Vision Pro angeht.
Vision Pro wird nur Apple-Nutzer ansprechen. Das beschränkt zwar den Markt, wird aber die ersten 10 bis 15 Jahre nicht die entscheidende Einschränkung sein.
Apple hat weltweit aktuell ungefähr 2 Milliarden aktive Geräte. (MacRumors) Ungefähr eine Milliarde Menschen weltweit benutzen ein iPhone. (The Verge)
Die Beschränkungen werden massgeblich der Preis und das frühe Stadium der Technologie sein.
Timing und Timetables:
Jede digitale Technologie muss iterativ gedacht werden. Wollen wir verstehen, wo sich Technik X hinentwickelt, müssen wir neben dem gesellschaftlichen Kontext und den wirtschaftlichen Hintergründen immer auch die iterative Natur mitdenken. Das gilt besonders stark für jede Art von Software.
Es gilt aber auch für die Hardware, auf der die Software läuft.
Das sollte 2023, nach 16 Jahren iPhone, eigentlich allen klar sein, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Wenn ein Produkt funktioniert, also Nutzer findet, für die es praktisch genug ist, dass sie auch eine verbesserte Version kaufen werden, dann wird dieses Produkt weiterentwickelt werden, positive Deckungsbeiträge auf den entscheidenden Ebenen vorausgesetzt.
Anyway, für Apple gilt das noch mehr als für andere Tech-Hersteller.
In der Regel bringt Apple nicht Produkte auf den Markt und schaut dann mal ob das was werden könnte und stellt sie wieder ein, das machen andere. (wie Google etwa bei Google Glass, siehe meine Fassungslosigkeit zur Berichterstattung damals 2013)
Wenn Apple eine neue Produktreihe startet, dann fehlen dem ersten Eintrag vielleicht offensichtliche Features (hallo, Copy&Paste bei den ersten iPhones(!)). Apple iteriert dann aber kontinuierlich an dieser Produktreihe. Die heutigen iPhones sind in nahezu jeder Hinsicht die besten Smartphones auf dem Markt und werden lediglich von sehr wenigen High-End-Android-Geräten wie dem Google Pixel in wenigen Dingen wie Fotografie bei schlechtem Licht herausgefordert.
Die Extrapolation mit der sichersten Wahrscheinlichkeit bezüglich des Apple Vision Pro sieht deshalb so aus:
Ungefähr jedes Jahr wird eine neue Version des Vision Pro erscheinen. Es wird unterschiedliche Preispunkte bekommen. Und günstiger werden. Das Headset wird leichter, die Batterie länger halten (was nicht so wichtig ist, da man es auch direkt an die Steckdose anschließen kann), die Leistungsfähigkeit gleichzeitig zunehmen.
Die Frage ist nicht ob das passieren wird, sondern „nur“ in welcher Geschwindigkeit.
Die daran anschließende Frage ist die Frage nach Kipppunkten: Ab welchem Preis werden wie viele Nutzer:innen das Headset erwerben.
Apples Headset ist ein Produkt für bestehende Apple-Nutzer:innen. Wenn das Produkt gut genug ist, also kein Homepod mit Siri ist, dann wird die Preissensitivität gering sein. Sprich, das Headset wird sich für einen sehr viel höheren Preis als die Meta-Headsets verkaufen. (Last not least weil es als Ersatz für multiple High-End-Monitore dienen kann.)
Aus der Hüfte geschossen würde ich sagen, dass ein künftiges Apple Vision Pro oder günstigeres Vision Air ab einem Preis in Höhe eines Macbook Airs also ab um die 1.500€ ein Massenprodukt wird.
Niemand kann heute sagen, wann sie diesen Punkt erreichen werden. Ich würde aber schätzen, dass es frühestens mit der dritten Iteration, also bei jährlichen Iterationen ungefähr ab 2027 so weit sein wird. But who knows!
Bis dahin lässt sich viel Aufmerksamkeit gewinnen mit „schaut mal, was für ein Headset-Flop!“.
Apple vs. Meta
AR, VR, XR kommt. Es ist noch lang nicht da. Es ist aber auch nicht etwas, das niemals kommen wird.
Der Trend ist offensichtlich. Zumindest für Expert:innen.
Ich zitiere hier immer gern diese ironische Aussage von Epic Games CEO (Fortnite) Tim Sweeney:
The metaverse is dead! Let’s organize an online wake so that we 600,000,000 monthly active users in Fortnite, Minecraft, Roblox, PUBG Mobile, Sandbox, and VRChat can mourn its passing together in real-time 3D.
Es spielt erst einmal eine untergeordnete Rolle, ob wir diesen Lanzeittrend „Metaverse“ oder „Spatial Computing“ oder etwas anderes nennen. Es passiert. Aber die entscheidenden Auswirkungen liegen weit in der Zukunft. (Weshalb man Leute, die heute Webinare mit Metaverse-Strategien verkaufen, getrost ignorieren kann.)
Was natürlich eine Rolle spielt ist, ob die Vision von Apple oder von Meta gewinnen wird.
Facebook-Mutter Meta hat natürlich den Schwerpunkt auf Social, auf Vernetzung. Apple traditionell nicht.
What is more striking, though, is the extent to which Apple is leaning into a personal computing experience, whereas Meta, as you would expect, is focused on social. I do think that presence is a real thing, and incredibly compelling, but achieving presence depends on your network also having VR devices, which makes Meta’s goals that much more difficult to achieve. Apple, meanwhile, isn’t even bothering with presence: even its Facetime integration was with an avatar in a window, leaning into the fact you are apart, whereas Meta wants you to feel like you are together. […]
One wonders, though, if Meta is in fact fighting Apple not just on hardware, but on the overall trend of society; to put it another way, bullishness about the Vision Pro may in fact be a function of being bearish about our capability to meaningfully connect.
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