28. Jan. 2020 Lesezeit: 5 Min.

Bird + Circ: Das Offensichtliche und die offenen Fragen

Bird + Circ: Das Offensichtliche und die offenen Fragen
Bird & Circ

Was ist die nachhaltige Obergrenze im Markt für (Micro-)Mobility-Anbieter?1 Das ist die Frage, die Anbieter, Investoren (und vielleicht auch einige interessierte Nutzer) umtreibt.

Der große US-amerikanische E-Scooter-On-Demand-Anbieter (und Pionier dieses Felds) Bird den deutschen Konkurrenten Circ. (Pressemitteilung) t3n:

Zum Kaufpreis und sonstigen Details wurde nichts bekannt. Nur soviel: Der US-Anbieter erweitere mit der Übernahme sein Europageschäft um mehr als 300 zusätzliche Mitarbeiter. Ziel sei es, das Wachstum und das „Angebot für zuverlässige nachhaltige und effiziente Mobilität“ weiter auszubauen.

„Gemeinsam mit Bird können wir unsere Mission in ganz Europa schneller voranbringen, um Millionen von Menschen sichere, zuverlässige, günstige, praktische und nachhaltige Mobilität zu ermöglichen“, erklärte Circ-Gründer Lukasz Gadowski, der sich schon als Mitgründer von Delivery-Hero einen Namen gemacht hat. Travis VanderZanden, Gründer und CEO von Bird, erklärte, er sei beeindruckt davon, „wie Circ von Anfang an die Bedürfnisse von Städten in den Mittelpunkt und Profitabilität über Wachstum gestellt hat“.

Eine Antwort auf die Frage der nachhaltigen Obergrenze der Anbieter liefert diese Übernahme allerdings nicht:

  • Zum einen ist die Übernahme natürlich auch eine Konsolidierung des Marktes - ein Anbieter weniger.
  • Zum anderen aber geht es auch um den Aufbau möglichst international aufgestellter Anbieter, weil die Mobility der Zukunft von Anbietern dominiert sein wird, die eine Mischung aus Serviceanbieter (App, On-Demand-Service mit Abo-Elementen) und Hersteller sein werden.

Manche Anbieter konzentrieren sich auf lokale Märkte mit ihren regionalen Besonderheiten. Das ist sinnvoll, weil Flottenmanagement ein aufwendiges Alltagsgeschäft ist und lokale Regulierung zudem eine signifikante Markteintrittsbarriere darstellen kann. Lokal fokussiert zu sein, kann hier von Vorteil sein.

Bird dagegen gehört zur zweiten Klasse der Mobility-Anbieter: Ein internationaler, möglichst globaler Play, der auf die Netzwerkeffekte auf der Service-Seite setzt. Am deutlichsten lässt sich das am Franchise-Plattformmodell von Bird erkennen. (Siehe hierzu auch meine Anmerkungen vom Februar 2019)

Bird hofft damit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Netzwerkeffekte auf der Service-Seite und die Skaleneffekte auf der Produktionsseite einsammeln, das aufwendige lokale Management aber im McDonalds-Stil 'auslagern' - und damit nachhaltig machen.

Natürlich übernimmt ein Bird dann also ein Circ.

Was am meisten verwundern sollte, ist also nicht, dass Bird einen deutschen E-Scooter-Anbieter kauft. Verwunden sollte, welchen Anbieter Bird gekauft hat. Circ, ehemals Flash, hatte sehr viel Geld eingesammelt, und sollte entsprechend teuer sein. Im Januar 2019 machte Circ, damals noch Flash, Schlagzeilen, weil es in der Series A bereits 55 Millionen Euro eingesammelt hat. Ein immens hohe Summe für eine Series A eines deutschen Startups. Zum Vergleich: Bird hat gleichzeitig zur Übernahme eine neue Finanzierungsrunde über 75 Millionen US-Dollar verkündet, welche als Erweiterung der Series D-Runde behandelt wird. (Eine Erhöhung der Series D von 275 Millionen $ auf 350 Millionen $.) Birds Bewertung liegt laut einer Axios-Quelle bei 2,5 Milliarden $.

Was ist hier passiert?

Nun gibt es Gerüchte, dass Lukasz Gadowski von Anfang Flash/Circ mit dem Ziel aufgebaut hat, das Unternehmen irgendwann zu verkaufen. Ohne Gadowksi persönlich zu kennen: Das überrascht mich nicht. Er kommt aus der deutschen Gründerecke, die mit deutschen Klonen von US-Modellen groß geworden ist, und deren Blaupause der Verkauf des Samwer-Startups Alando 1999 an eBay war.2 Das wurde am populärsten mit studiVZ (mit mäßigem Erfolg) und später mit CityDeal und Groupon (erfolgreich) wiederholt. Der Vollständigkeit halber: Die Liste der Flops dieses Ansatzes ist sehr, sehr lang, was allerdings in der Startup-Welt nicht viel zu bedeuten hat. (Die Samwers haben zusätzlich versucht, diese Herangehensweise mit Rocket Internet in eine Fließbandproduktion zu gießen, was nicht funktioniert hat.) Dieser Gründertypus sieht eine ‚Opportunity‘ und nur die. Opportun nimmt er die Opportunitätskosten und geht nüchtern auf den Markt, mit Exekution und Exit-Strategie und maximal an zweiter oder dritter Stelle einer genuinen Produktvision.

Was Alando, CityDeal und jetzt Circ verbindet, ist das Wissen um die internationalen Ambitionen der US-Anbieter, deren in der Regel signifikant besseren Zugang zu Risikokapital und der Netzwerkeffekte, die First-Mover-Vorteile auf den internationalen Märkten schaffen. Es ist kein Companybuilding, das auf den Aufbau langfristiger Strukturen und Prozesse ausgelegt ist, sondern ein möglichst schnelles Besetzen lokaler Märkte mit Blick auf den baldigen Exit. Dieser Exit wird umso lukrativer, je schneller man Märkte "dicht macht"/"aufbereitet" für denjenigen, der diesen künftigen ‘internationalen Arm‘ einmal übernehmen soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass Circ irgendwann, wie ein deutsches Zalando zum Beispiel, an die Börse gegangen wäre, lag also von Anfang an nahe null Prozent.

That being said.

Hat Bird das Kapital und die Bewertung, um den Circ-Investoren eine risikokapitalgerechte Rendite zu bescheren? Von außen lässt sich nur mutmaßen, aber das ist alles andere als gegeben, wenn man die jeweils eingesammelten VC-Summen betrachtet. Sprich, Bird gehört zwar aktuell zu den heißesten Anwärtern auf eine internationale Marktführungsposition im Micromobility-Sektor, aber das macht Bird nicht automatisch zum besten Kandidaten für eine Circ-Übernahme.

Bevorzugte Kandidaten für Gründer und Investoren von Circ, weil mit größeren Kriegskassen, wären sicher gewesen: Uber, ein international expandierendes Didi Chuxing, ein deutscher Automobilhersteller, das Share Now Joint Venture.

Warum also der Verkauf a.) jetzt und b.) an Bird?

Spätestens, wenn Bird irgendwann in den nächsten Jahren an die Börse gehen sollte, werden wir erfahren, wie viel Circ wert war und ob der Verkauf des Startups aus Stärke oder Schwäche heraus geschah.

Dass keine konkreten Zahlen genannt werden oder zumindest durchsickern, deutet eher auf Schwäche bei Circ hin.

Wahrscheinlich etwa, dass Circ für eine aggressive Expansion eine sehr hohe Burnrate in Kauf genommen hat. Und nun die aktuelle Gefahr einer globalen Rezession die europäischen Investoren skeptisch bezüglich des Modells gemacht hat. Dazu passen etwa die Entlassungen im November letzten Jahres -immerhin 10% der Belegschaft- wegen "operationaler Learnings", sprich also unvorhergesehener Herausforderungen im Alltagsgeschäft. Gadowski damals gegenüber TechCrunch:

With regards to operational learnings, Gadowski says the company needed to learn how to operate a micromobility service across many markets simultaneously. “Basically figure out how to be more efficient, how to run a micromobility operation; it’s not optimised yet and we learned over the summer.”

He also conceded that, within the micromobility space more generally, there had been something of a land grab strategy that is now perhaps inevitably shifting toward greater emphasis on capital efficiency. “When we started this there was a focus on time to market but now it is not about time to market but efficiency,” he tells me.

Finally, Gadowski says the move to swappable battery technology means that Circ can run more efficiently and therefore also requires fewer people.

Das ergibt alles Sinn. Es fällt trotzdem schwer, VanderZandens "Profitabilität über Wachstum" bei Circ ernst zu nehmen. Hier dürfte es eher um das öffentliche Bild von Bird selbst gehen. Bike- und Scooter-Startups kämpfen nachwievor mit dem schlechten Image der Materialschlacht in der breiteren Öffentlichkeit, selbst wenn das mit jeder neuen Scooter-Generation immer weniger zutrifft.

Ein Zitat von Bird-CEO Travis VanderZanden allerdings lässt sich ohne Probleme ernst nehmen:

er sei beeindruckt davon, „wie Circ von Anfang an die Bedürfnisse von Städten in den Mittelpunkt [...] gestellt hat“.

Man erinnere sich: Die regionale Regulierung stellt für Mobility-Startups eine Markteintrittsbarriere dar. Die Städte, weltweit die Finger verbrannt mit Uber, schauen sehr genau hin, was sie auf ihren Straßen erlauben.3

Für die strategischen Optionen ist eine existierende Beziehung zu den größeren Metropolregionen Europas sehr viel wichtiger als die bereits auf deren Fußwegen platzierten Scooter.

Hinzu kommt die deutsche Regulierung von E-Scootern, die so oder so eigene Hardware für den deutschen Markt erfordert. Hier kommen Circs eigene Scooter zum Tragen. Bird hätte ohne Circ für den deutschen Markt eigene Vehikel entwickeln und herstellen müssen - oder eben einen anderen Anbieter mit eigener Hardwareabteilung übernehmen müssen.

Wie gut also, dass Circ die europäischen Märkte mundgerecht für Bird aufbereitet hat!

Man könnte fast sagen, die europäische Regulierung war immer Teil des Geschäftsmodells von Circ.


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  1. Darüber kann man heute noch nur mutmaßen. Meine Einschätzung: 4+ regional konkurrierende Mobilityanbieter (Scoooter, Bikes, Pods, Autos, etc pp) halte ich für nachhaltig in Metropolen (Flottenmanagement verschiedenster Formfaktoren ist aufwendig). Global mindestens Faktor 20 davon? We‘ll see.
  2. Gadowksi und die Samwers muss keine Freundschaft verbinden um ein gemeinsames Mindset zu haben.
  3. Nur riesige SUVs dürfen alles. Die dürfen sich als Meer über die ganze Fläche der Städte legen, was soll‘s, yolo.
Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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