5. Sep. 2019 Lesezeit: 4 Min.

Bridgefy, Hongkong und die Aussichten für dezentrale Dienste

Bridgefy, Hongkong und die Aussichten für dezentrale Dienste
Bridgefy

Bridgefy bietet eine Messaging-App an, mit der die Nachrichten notfalls über ein auf Bluetooth basierendes Mesh-Netzwerk verschickt werden. Die Demonstranten in Hongkong setzen zunehmend auf Bridgefy, das deshalb aktuell in den Nachrichten ist. Bridgefy-CEO Jorge Rios ist auf Interview-Tour.

Siehe etwa "How Mexican app Bridgefy is connecting protesters in Hong Kong":

Bridgefy started as an offline messaging app and now also operates on a licensing system that allows other apps to work without Wifi or data coverage. The technology uses peer-to-peer connections between phones in the same area to send messages, even with little to no data connection, such as in the case of a natural disaster – or protest. Rather than going through a server, messages will bounce between a mesh network of connected phones to reach their destination without depending on data.

Die ​Messaging-App von Bridgefy ist mehr Proof-of-Concept der Bluetooth-Mesh-Funktionalität, die Bridgefy als SDK an App-Anbieter lizenzieren will. CEO Jorge Rios:

Although we are focusing more on the software now, our original app is still live and available for download. Actually, we use the app to test out our new technology! We have noticed an organic boost in app downloads during massive events like protests or natural disasters because Bridgefy works best when there are more people on the network – the opposite of Wifi or cellular networks.

In Hong Kong, we have seen massive peaks in downloads since the protests started. We have had more than 75,000 downloads in the past seven days, just from Hong Kong. This explosion of downloads even caught the attention of local media, who have been covering the messaging app’s usefulness during the protest. Many people are discovering the app through this coverage and realizing that Bridgefy technology powers many other apps to function without Internet.

​Im Interview mit Forbes betont er das ebenfalls noch einmal:​

Whenever there's a hurricane or earthquake in the world, we see spikes in app downloads. It's important for us to say that our core technology is also available to developers, so that they may integrate it into their own apps and make them work offline. We license it based on the amount of offline users, and are currently working so that some day we might be able to use apps like WeChat, Tinder, Uber, and Whatsapp without Internet.

Siehe auch diesen Blogpost vom Unternehmen zur Funktionsweise der Messaging-App.

​Das ist natürlich alles nicht neu. 2014 erschien FireChat mit einer ähnlichen Funktionalität auf der Appbühne. Und auch damals war es bereits Hongkong, wo das Interesse an dieser Art von Messenger-App aus Angst vor Zensur besonders groß war.

Open Garden, das Unternehmen hinter FireChat, arbeitet mittlerweile an einem Blockchain-basierten Ansatz für eine neue Art von ver- und geteiltem Internetzugang:

Sell your home Internet using Open Garden WiFi Sharing Device or your mobile Internet using Open Garden Smartphone App. Open - an Open Garden network is coming soon.

​​Dezentrale Ansätze stehen und fallen noch stärker mit der Anzahl der Nutzer als Ansätze mit zentralen Architekturen. Denn bei einem dezentralen Ansatz übernehmen die Nutzer schließlich zusätzlich einen Teil oder gleich die Aufgabe für die gesamte Infrastruktur. Bridgefy profitiert hier davon, dass die Nachrichten nicht nur per Bluetooth sondern auch ganz klassisch per Internet und Server verschickt werden können.

​Machen wir einen Schritt zurück um das ganze Bild zu sehen: Dezentrale Ansätze wachsen aufgrund dieser Herausforderungen auch langsamer und sind am Anfang anfälliger. Deshalb muss man hier mehr Geduld als bei klassischen Internetdiensten haben.

​Aber wie ich in damals in der ersten Ausgabe unseres Podcasts zum Open Web anmerkte, verschiebt sich die Ausgangsbasis von Jahr zu Jahr.

​Mit jedem Jahr werden dezentrale Ansätze einfacher, weil die restliche digitale Infrastruktur wächst. Mastodon ist seit langem bereits nachhaltig, weil sich der Hauptentwickler und Gründer mit minimalstem Zusatzaufwand über Patreon refinanzieren kann. Das ist eine neue Situation. Hinzu kommt, dass mehr Menschen online sind, die bereits die Kulturtechnik der Art von diesem oder jenem Dienst verinnerlicht haben. Im Fall von Mastodon waren das Twitter und "Mikroblogs". Messaging ist dank Whatsapp und co. vor Jahren im Mainstream angekommen. Die Grundfunktionalität eines Bridgefys muss man niemandem erklären.

​Man sollte, wie gesagt, keine zu hohen Erwartungen haben, was diese Dinge angeht. Das wird sich langsam entwickeln. Der entscheidende Punkt ist,

​* dass es heute prozentual an der Onlinebevölkerung gemessen nicht mehr viel braucht, um nachhaltig zu sein,
​* dass das kulturelle Wissen und der Modus Operandi von offline zu online als Default gewechselt ist, was den Switch hin zu einem dezentralen Dienst wahrscheinlicher macht,
​* und die finanzielle Situation mit jedem Tag besser wird, weil die zugrundeliegende Infrastruktur aktuell große Sprünge macht.

​Zu diesem Thema passend, sprechen Matthias Pfefferle und ich in der noch diese Woche erscheinenden dritten Ausgabe unseres Open-Web-Podcasts unter anderem über das neue Github Sponsors, das die direkte finanzielle Unterstützung von Open Source im Patreon-Stil dort ermöglicht, wo sie am besten aufgehoben ist.

​Als Abschluss bleibt anzumerken, dass dezentrale Ansätze es am Anfang zwar schwerer haben, aber einmal auf Flughöhe aus dem gleichen Grund kaum aufhaltbar werden. Email etwa werden wir aus diesem Grund nicht mehr los.

​Das heißt im nächsten Schritt allerdings auch, dass die negativen Dinge, die wir heute auf Twitter, Facebook und YouTube sehen, in einer dezentraleren (dann wohl Blockchain-basierten) Welt ebenso wenig wieder "loswerden".

​Immerhin setzen die Demonstranten in Hongkong auf Bridgefy und co., weil der Staat noch weniger bis keine Kontrolle über diese Kommunikationsarchitektur hat. Was gegen Zensur unter Unterdrückung kämpfenden

​Alles hat zwei Seiten und es geht gerade erst los.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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