10. Feb. 2012 Lesezeit: 7 Min.

Debatte über die Gretchenfrage des Urheberrechts

Auf Google+ hat sich zwischen Sascha Lobo und mir eine interessante Diskussion entspannt, die ich hier in Teilen dokumentieren möchte. Anmerkungen gern hier oder auf Google+ in den Kommentaren.

Sascha Lobo:

Mag ja alles sein, Marcel – aber Deine eigenen propagandistischen, ideologisch verschmierten Tendenzen, hast Du je irgendwann ein Argument von "der Gegenseite" eingesehen? Oder auch nur akzeptiert? Gäbe es die hypothetische Chance, in Deinen Augen, dass die Freunde des Urheberrechts, dass die ein kleines bisschen nur Recht haben könnten? Dass also Du vielleicht hier und da falsch liegst?
Ich frage für jemanden, der Dich an der Grenze der Diskursunfähigkeit sieht.

Ich:

"Gäbe es die hypothetische Chance, in Deinen Augen, dass die Freunde des Urheberrechts, dass die ein kleines bisschen nur Recht haben könnten? Dass also Du vielleicht hier und da falsch liegst?"
Ich bin für jede Diskussion offen. Und immer bereit, vom Gegenteil überzeugt zu werden. Weil ich entgegen deines Vorwurfs nicht ideologisch motiviert bin, sondern verstehen will, was warum so passiert, wie es passiert. (Ich habe, als ich angefangen habe, mich damit näher zu beschäftigen, mit der Position begonnen, an der du dich verortest.)Aber wenn auf alle meine Argumente immer nur ein "Aber ist das moralisch richtig?" zurückkommt, ist das keine Diskussion. :)(Für Nichteingeweihte: Das war in kurz das Streitgespräch zwischen Sascha und mir auf der all2gethernow 2010.)

Sascha Lobo:

am Ende geht es um eine einzige Gretchenfrage, die kann man auf tausend Arten verpacken, aber es bleibt die gleiche Frage:
Darf ein Urheber über die weitere Verwendung seines Werkes bestimmen – ja oder nein?
Das ist das einzige was zählt, da gibt es auch keinen Graubereich. Entweder man sagt: ja - dann ist zu verhandeln wie. Das muss dringend geschehen, geschieht zu wenig, alles klar, weiss ich selbst. 
Oder man sagt: nein. Diese Leute gibt es, selbst wenn Lischka sie nicht benennt (Wen hätte er auch anführen sollen, den namenlosen Downloader ohne Unrechtsbewusstsein?). Wenn man nein sagt, dann spricht man dem Urheberrecht seine Grundfunktion ab, dann erübrigt sich die Diskussion – das ist eine Extremposition und zwar eine, über die man sauer sein kann. Denn sie entspringt letztlich der gleichen kulturverächtlichen Position, die es schon sehr lange gibt und die Künstler und ihr Schaffen nicht für richtige Arbeit hält.

Ich:

Ist die Gretchenfrage nicht viel eher:

"Ist es gesellschaftlich notwendig, dass ein Urheber über die weitere Verwendung seines Werkes bestimmen darf – und wenn ja, zu welchen Kosten ist dieses Recht durchsetzbar?"
Wir sehen in meinen Augen gerade eine Entbündelung des Rechtebündels, das vom Urheberrecht geregelt wird/wurde. Und da verschieben sich auf allen Seiten einzelne Rechte. Das muss ich aber nochmal ausführlich aufschreiben. Schwirrt schon länger in meinem Hinterkopf herum.
(Wer im Übrigen uneingeschränkt für das Recht des Urhebers über die Bestimmung seines Werkes ist, erfreut sich hoffentlich nicht an Kafka-Werken.)

Der einzige in meine Augen vertretbar durchsetzbare Kompromiss bei der Frage ist, dass der Urheber das Bestimmungsrecht über die kommerzielle Verwendung seines Werkes behält. Die nichtkommerzielle Nutzung, selbst wenn sie quantitativ auf industriellem Niveau stattfindet, lässt sich nicht regulieren, ohne das Internet kaputt zu machen.(Und ja, die Unterscheidung kommerziell vs. nicht kommerziell bringt 1000 Probleme mit sich. Deswegen wäre es auch ein Kompromiss.)

Sascha:

Nein, das ist nicht die Gretchenfrage. Das ist die Art von tendenziöser Ärgerlichkeit, die Dich zu einem verbohrten, diskussionsunfähigen Rechthaber machen. Denn in allen anderen Bereichen ist ziemlich klar, dass ein Schöpfer, sagen wir, von einem Stuhl, das Recht hat, damit zu tun, was er will. Und nun ist das Digitale natürlich völlig anders gelagert, aus naheliegenden Gründen, Kopierbarkeit etc. Deshalb muss man darüber diskutieren. 
Und zwar entlang der Gretchenfrage, meiner Gretchenfrage. Die stelle ich gern nochmal, und wenn Du sie beantwortest – und nur dann – können wir klären, zu welchen Bedingungen geschieht das. 1000 Jahre Schutzfrist oder 10 Minuten, alle Rechte enden mit dem Tod oder genau zehn Jahre vor dem Tod (haha), Remixerlaubnis oder nicht, whatever. Das alles kann man überhaupt nur diskutieren, wenn man dem Urheber irgendein Recht über sein Werk zugesteht, irgendeins, erstmal ohne nähere Definition:
Darf ein Urheber über die weitere Verwendung seines Werkes bestimmen – ja oder nein?
Um diese Frage wirst Du Dich herumdrücken, WEIL es die Gretchenfrage ist. Weil Du nach meiner Auffassung nicht die Eier hast zu sagen: mich interessiert einen Scheiss, was der Urheber will, meine Weltsicht ist SO überlegen, dass es das Recht des Urhebers sticht. Was eine harsche Formulierung davon ist, die Frage mit nein zu beantworten, falls das bis hierhin verborgen geblieben sein sollte.

" … Die nichtkommerzielle Nutzung […] lässt sich nicht regulieren, ohne das Internet kaputt zu machen"
Das behauptest Du. Das sagst Du so, ohne jeden Beweis. Aber das ist meiner Meinung nach einfach falsch – vor allem, weil es nicht auf Regulierungen ankommt, sondern auf Einsicht, wie schon sehr oft in der Geschichte. Ich rufe in den Zeugenstand: die 100 Millionen Leute, die normal Musik kaufen, jedes Jahr sind es mehr. Die tun das alle nicht wegen irgendwelcher Regulierungen, sondern weil sie es eingesehen haben, jedenfalls die meisten. Ich glaube an eine Gesellschaft der Freiwilligkeit, die Gesellschaft funktioniert überhaupt nur auf Basis der Freiwilligkeit. Warum nicht auch in diesem Bereich? Die meinetwegen 20% Downloader preist man mit ein, wie Ladendiebstähle auch, fertig ist die Laube. Aber nein, Du baust Dir eine Ideologie zusammen, Du zimmerst sie Dir regelrecht um Dich herum, weshalb Dein Ansatz der einzig richtige sein muss.

Ich:

Sascha Lobo Dir ist schon klar, dass ich auch ein Urheber bin, oder? Ehrlich gesagt finde ich, dass du dich zu "zu einem verbohrten, diskussionsunfähigen Rechthaber" machst, wenn du auf eine Ja/Nein-Antwort beharrst, die man so nicht geben kann.
Aber gut, meinetwegen: Nein.
Mit der Anmerkung: Er kann aber das Verwendungsrecht über die kommerzielle Verwendung halten, weil diese durchsetzbar ist.
"Weil Du nach meiner Auffassung nicht die Eier hast zu sagen: mich interessiert einen Scheiss, was der Urheber will, meine Weltsicht ist SO überlegen, dass es das Recht des Urhebers sticht. Was eine harsche Formulierung davon ist, die Frage mit nein zu beantworten, falls das bis hierhin verborgen geblieben sein sollte."
Wenn du glaubst, dass es an meiner Weltsicht liegt, dass Dateien ohne zusätzliche Kosten vervielfältigt werden können, dass Tumblr und Pinterest ebenso zu massenhaften Urheberrechtsverletzungen der Rechte der Fotografen führen, wie klassisches Filesharing bei Musik und Film, dann überschätzt du ein bisschen meine Reichweite.

Ich antworte auf eine Zwischenfrage von Pia Ziefle:

" "Die nichtkommerzielle Nutzung, selbst wenn sie quantitativ auf industriellem Niveau stattfindet, lässt sich nicht regulieren, ohne das Internet kaputt zu machen."Erklärst du mir das?"

60 Stunden Video werden pro Minute auf YouTube hochgeladen. Auf Tumblr, Pinterest und co. kann man sich anmelden und jedem Fotografen das Fürchten lehren. Die Verursacher, die Nutzer, machen das ohne kommerzielle Interessen (in der Regel). Daran ändert sich auch nichts, wenn ein Video 1 Million mal angeschaut oder ein Foto 20.000 Mal gerepint und gerebloggt wird. (was dann industrielles Niveau bei der Verbreitung erreicht.)
+Sascha Lobo zum Beispiel verletzt auf Pinterest die Rechte von Fotografen http://pinterest.com/saschalobo/Er macht das nicht mit kommerziellen Interesse. Aber inkonsequent erscheint mir das trotzdem.

Sascha:

Gut, Marcel, bei nein müssen wir ja nicht weiter diskutieren, dann ist alles müßig. 
Gesetze an der Durchsetzbarkeit zu orientieren, das ist gefährlich. Mit dem Argument ist das ganze Menschenrecht völlig für den Senkel, und das Grundgesetz noch dazu, Menschenwürde, wozu, das lässt sich doch eh nicht durchsetzen. Bescheuertes Argument, fast so bescheuert wie "es ist ein historischer Sonderfall, dass Künstler überhaupt ihre Werke verkaufen können". Ja, genauso wie es auch ein historischer Sonderfall ist, dass Frauen wählen dürfen und Homosexualität erlaubt ist.
NIcht alles, was technisch geht, muss auch gemacht werden können. Und nicht für alles, was verboten ist, braucht man umfassende Kontrollen und Durchsetzungsmöglichkeiten, das ist die Gesellschaft der Freiwilligkeit. Das strebe ich an, und dadurch, dass Du freiwillige Einsicht als Methode völlig negierst, bist Du der allerbeste Verbündete der ACTA-Treiber, den man sich vorstellen kann.

Marcel, ich glaube, ich habe 2535 Mal überall hingeschrieben, dass das Urheberrecht modernisiert gehört. Zum Beispiel um eine sinnvolle Fair-Use-Methode erweitert, eben alles, was man diskutieren müsste. Aber wenn Du die zentrale Frage mit Nein beantwortest, ist das eben egal, weil jede Diskussion darüber davon ausgehen, dass ein Urheber überhaupt irgendwas zu schaffen hat mit seinem Werk.

Ich:

Gut, Sascha. Gegenfrage. Wenn du hierauf:"Darf ein Urheber über die weitere Verwendung seines Werkes bestimmen – ja oder nein?"
Mit ja antwortest, wie stellst du dir dann künftig vor, dass weiter Angebote wie Tumblr, Pinterest, Facebook oder was auch immer funktionieren soll? Alles über fair use? (fair use ist übrigens meiner Unterscheidung zwischen kommerziell und nichtkommerziell sehr nah...)
Das sind keine Randerscheinungen. Hältst Urheberrechtsverletzungen dort wirklich für Randerscheinungen? Ich sehe wirklich nicht, wie das funktionieren sollte. Ich bin offen für Vorschläge, aber bis dato, habe ich nichts gesehen, dass mich überzeugt.
Überzeugt im Sinne von: Ein Vorschlag, der auf der einen Seite das Verfügungsrecht des Urhebers so aufrecht erhält, wie du und andere sich das vorstellen und der trotzdem Dienste mit UGC wie Pinterest und Tumblr und co. nicht den Garaus macht.
Ich sehe es nicht. Erklär es mir. (Ich mein das ernsthaft. Wenn es geht: Super.)

[Zitat von Sascha:] "Gesetze an der Durchsetzbarkeit zu orientieren, das ist gefährlich. Mit dem Argument ist das ganze Menschenrecht völlig für den Senkel, und das Grundgesetz noch dazu, Menschenwürde, wozu, das lässt sich doch eh nicht durchsetzen. Bescheuertes Argument, fast so bescheuert wie "es ist ein historischer Sonderfall, dass Künstler überhaupt ihre Werke verkaufen können". Ja, genauso wie es auch ein historischer Sonderfall ist, dass Frauen wählen dürfen und Homosexualität erlaubt ist."

Ich finde nicht, dass die Frage nach der Durchsetzbarkeit und damit nach der Notwendigkeit von Gesetzen immer gleich zu beantworten ist. Jedes Gesetz hat eigene Ziele und eigene gesellschaftliche Kosten, die damit einhergehen und es ist bei jedem Gesetz gesondert abzuwägen, ohne immer gleich die Geschütze Grundgesetz und Menschenwürde aufzufahren.
Wir könnten auch ein Gesetz verabschieden, dass man Musik zuhause nur noch auf einem Bein hüpfend konsumieren darf, wenn der Urheber das wünscht. Oder dass man in der Werbepause im TV nicht auf die Toilette gehen oder wegzappen darf, weil das das Geschäftsmodell der TV-Sender untergräbt.
Nicht durchsetzbar? Aber Menschenrecht! Aber Grundgesetz! Aber Menschenwürde! 
Sorry, das sind keine Argumente, solang nicht konkret Vor- und Nachteile benannt und gewichtet werden.

Sascha:

Ah. Gut. 
Damit kann ich arbeiten. Du beantwortest die Gretchenfrage mit "ja" – und wir diskutieren entspannt, wie man das Urheberrecht dem Netz anpassen kann und nicht umgekehrt. 
Da habe ich – anders als in praktisch allen anderen Lebensbereichen, wo ich uneingeschränkt im Besitz aller Kenntnisse bin – keine Universallösungen. Weshalb ich ja diskutieren will, auf Basis dieser Frage und zwar mit Leuten, die nicht meiner Meinung sind (weshalb ich mich zb mit Dieter Gorny mehrfach getroffen habe, das nur nebenbei). 
Ansätze (um das "ja" der Gretchenfrage sinnvoll einzuschränken und anzupassen) könnten sein:

• Einführung von Fair Use für nichtkommerziell genutzte Bilder

• Einführung von (meinetwegen durch Stichproben überprüften) Pauschalabgaben für kommerzielle Plattformanbieter wie Pinterest

• Abschaffung von DRM (hat damit nur indirekt zu tun, gehört aber in jede vernünftige Liste)

• Einführung einer Pflicht zum weltweiten, digitalen Angebot für Verwerter (noch nicht bis zu Ende durchgedacht, aber würde viel entschärfen)

• Schutzfrist neu aushandeln, 70 Jahre nach dem Tod erscheint auch mir arg viel – aber da hängt natürlich viel der heutigen Kulturlandschaft mit dran

• Überlegungen zu einer Art Plattformneutralität auf Anbieterseite – zum Beispiel iTunes zu verpflichten, einen Zugang vergleichbar wie bei ebay anzubieten, so dass jeder dort verkaufen könnte, wenn er möchte

Das sind alles lose Gedanken, mein tatsächlicher Diskussionsstand ist etwas weiter ausgegoren, um genau zu sein, arbeite ich gerade an einem Artikel für ein neues Urheberrecht – aber das sind eben Ansätze, über die ich undogmatisch diskutieren möchte. Und zwar mit Leuten, die nur diese eine Urbedingung erfüllen, die Gretchenfrage mit "ja" zu beantworten, gern auch mit "ja, aber", denn genau auf dieses "aber" kommt es an.

Fortsetzung folgt.

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Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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