Wer heute einen Laptop besitzt, besitzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens zwei Computer. Besagter Laptop und ein Smartphone. Vielleicht auch noch ein Tablet.
Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird praktisch jeder erwachsene Mensch in den westlichen Ländern ein Smartphone besitzen. Das ist der Hintergrund, vor dem jedes neue Produkt, jede Entwicklung, jedes Unternehmen zu denken ist.
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In den nächsten Jahren rollt eine Welle vernetzter Geräte auf uns zu. Um etwa 2020 wird jedes neue Haushaltsgerät am Markt verschiedene Sensoren und eine Vernetzungskomponente besitzen. Der Grund dafür ist gemessen an den Implikationen geradezu banal: Die zugrundeliegenden Komponenten sind spottbillig geworden. Und mit Vernetzungskomponenten entstehen Netzwerkeffekte und mit diesen entstehen Lock-Ins. Wer verzichtet, macht die Tür vor der eigenen Zukunft zu. Ein Metavernetzungssog, wenn man so will.
Sensoren und Vernetzung werden sich unter anderem deshalb in den nächsten fünf Jahren von “Nice-to-have” zu Hygienefunktionen entwicklen. Sie müssen bei neuen Produkten einfach dabei sein.
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Für den nicht kleinen Markt der Haushaltsgeräte dreht sich vor diesem Hintergrund in naher Zukunft alles um das Thema “Smart Home”. Was bedeutet es, wenn der Kühlschrank seinen Inhalt erfassen und (mit anderen Geräten im Haushalt, Internetservices) teilen kann? Was wird möglich, wenn Thermostat, Türschloß, Glühbirnen und Kaffeemaschinen miteinander verbunden sind?
Und, weitaus wichtiger, welche neue Arten von Geräten werden möglich? Kühlschränke waren ohne Elektrizität unmöglich. Welche Alltagsgeräte werden erst durch Vernetzung möglich?
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Noch bedeutet “Smartphone-Welt” auch “Cloud-Welt”. Ohne die zentralen Internetserver geht wenig mit unseren Smartphones. Auf ihnen werden die mit den Smartphones gemachten Fotos als Backups gespeichert und/oder mit Freunden und Verwandten oder der Öffentlichkeit geteilt. Über sie kommunizieren wir. Über sie konsumieren und teilen wir alle Inhalte.
Kurz, über die Cloud läuft alles, was nicht auf dem Smartphone allein laufen kann.
Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass es keine strukturelle Alternative gibt.
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Wir haben in Thingonomics, dem Podcast über das 'Internet der Dinge', bereits öfter über das folgende Dilemma gesprochen. Der vernetzte Haushalt kann nicht über Server in Kalifornien oder Irland gesteuert werden. Man muss gar nicht über die klassischen, damit verbundenen Datenschutzthematiken sprechen, um diese Konstellation problematisch zu sehen. Es genügen praktische Probleme: Wenn alles von der Verbindung mit der Cloud abhängt, öffnet sich das vernetzte Türschloß zur Wohnung nicht mehr, wenn die Internetverbindung ausfällt - oder die Server ausfallen, ob aus Gründen der Insolvenz oder weniger dramatischen Vorgängen.
Es ist deshalb naheliegend, dass zumindest ein Gerät mit entsprechender Rechenpower im Haushalt mehr als die ihm inhärenten Aufgaben übernimmt.1 Ein Gerät, das als Knotenpunkt agiert, und für die Steuerung (und das Setup usw.) der anderen Geräte zuständig ist. Ein Hub.
Aktuell gibt es zwei Hubansätze. Das Thermostat, das gleichzeitig als Smart-Home-Hub fungiert. (Nest) Und die TV-Set-Top-Box, die neben dem Musik- und TV-Streaming auch als Smart-Home-Hub agiert. (Diverse, wie etwa Apple TV, siehe unten) Etwas detailliertere Ausführungen zu den Ansätzen kann man hier nachlesen.
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Was wäre für Menschen mit Smartphones attraktiv? Was wäre für Familien mit mehreren Smartphones attraktiv? Ein “Smart-Home-Hub” ist abstrakt und heute noch mehr oder weniger nutzlos für Endkonsumenten.
Aber was ist mit einem Gerät, das
a.) TV-Streaming (Netflix, Amazon Prime Instant Video, etc.) am bereits vorhandenen Fernseher ermöglicht,
b.) die auf dem Smartphone gemachten Familienfotos sofort als Backup speichert und am größten Monitor im Haushalt darstellbar macht und
c.) heute noch unbekannte Funktionen im vernetzten Heim gleich mitorganisiert?
Wie viele Menschen sind schlicht überfordert mit der Sicherung ihrer Familienfotos? Gigabytes an Fotos werden mit den immer in den Hosentaschen parat liegenden Kameras geschossen. Allein 1,5 Milliarden Fotos werden weltweit jährlich auf Social Networks geteilt. Sehr viel mehr Fotos werden aufgenommen.
Der Weg auf den Markt für das Smart-Home-Hub geht (nicht zuletzt) über die Fotos auf den Smartphones.
Die (lokale) Sicherung von, Organisierung und der Zugang zu den Fotos und das eigentliche2 Empfangsgerät für das gemeinsame Entertainment ist der Strauß an Gründen, warum sich Menschen die Hubs kaufen werden. Die Smart-Home-Zentrale, die gleich mitgeliefert wird, ist das immense zusätzliche Marktpotential, das es für die Anbieter zu heben gilt.
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- Phase: Unterhaltung
- Phase: Die lokale “Cloud” fürs Smartphone
- Phase: Der Smart-Home-Hub
Warum braucht es die Funktionen der 2. Phase? Wer schon einmal einen Dienst wie Bittorrent Sync oder mit dem Netzwerk verbundene Festplattensysteme (Network Attached Storage (NAS)) benutzt hat, sieht schnell die Vorteile für diverse Einsatzzwecke. Jetzt liegt der Flaschenhals bei der Datendurchsatzrate nicht mehr bei der immer zu geringen Uploadgeschwindigkeit der Internetanbindung sondern bei den Komponenten im WLAN-Router und den verbundenen Rechnern.
Der Unterschied könnte größer kaum sein.
Welche Einsatzarten hier möglich werden, lässt sich kaum abschätzen. Man stelle sich eine weite Verbreitung solcher Haushalthubs vor, deren Funktionen sich über einen Appstore-Distributionsmechanismus über das Internet kinderleicht erweitern lassen.
Auf dem NAS-Markt kann man sich bereits erste Inspirationen holen. Transporter etwa, das Datenaustausch zwischen Transporter-Instanzen und zwischen verschiedenen Nutzern über das Internet ermöglicht und so eine private, lokale P2P-“Cloud” erschafft, bringt eine Funktionalität, die folgerichtig eine App auf dem Smart-Home-Hub sein sollte.3
Man stelle sich weiterhin vor, was haushaltsübergreifend auch möglich wird, wenn diese Hubs Meshnetzwerkfunktionalitäten à la Apples “Multipeer Connectivity Framework” besitzen und mit, sagen wir, zum Beispiel einer Freifunk-App nachgerüstet werden können.
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Wer kommt als (erfolgreicher) Hub-Anbieter in Frage?
Eine kurze, knappe Auflistung möglicher Kandidaten, beginnend mit dem unwahrscheinlichsten bis zu den Anbietern mit den größten Erfolgsaussichten:
- AVM: AVM bietet mit der Fritzbox eine (verhältnismäßig) leicht zu bedienende, funktionenreiche, populäre Routerserie an. Es ist durchaus denkbar, dass die Box am TV-Gerät nur die Darstellung der Hub-Funktionen und die Verbindung zum Router übernimmt und in der Netzwerktopologie auf der Stufe von, sagen wir, WLAN-Repeatern steht. Die Hub-Rechenleistung findet in diesem Szenario im Router statt. AVM ist in der besten Situation, so etwas umzusetzen und versucht es auch (ein bisschen), zeigt damit aber auch, wie schwer dieses Feld zu bestellen ist.
- Transporter: Das oben bereits angesprochene Transporter beziehungsweise Drobo, der Anbieter hinter Transporter, könnte mit einem robusten Appstore-System und einer plattformermöglichenden Preisstrategie aus dem konsumentenfreundlichen NAS ein Smart-Home-Hub mit starker Plattform aufbauen. Auch Drobo wäre in einer hervorragenden Ausgangslage, aber auch Drobo kommt selbst mit dem vielversprechenden Transporter nur schleppend voran.
- Amazon Fire TV: Amazon positioniert sein Fire TV bereits als mehr als eine reine Streamingbox. Im Verbund mit dem Android-Fork von Amazon, Amazons großer Kundenschaft/Nutzerschaft (mit Kontodaten), dem eigenen Appstore und der amazoninternen Hardwareabteilung, die das Ökosystem kontinuierlich erweitern wird (siehe Amazon Echo und Dash etwa), ist es leicht vorstellbar, dass das Fire TV zur zentralen Komponente in Amazons (noch immer eher unklaren) Post-PC-Strategie wird. Das Fire TV ist auch so heute bereits die strategisch spannendste Hardware von Amazon.
- Apple: Wenn Apple TV nicht mehr nur 'Hobby' mit bis dato immerhin 25 Millionen verkauften Geräten ist und endlich einen ausgewachsenen Appstore bekommt, der direkt mit dem lukrativsten App-Ökosystem verbunden ist, wird es spannend. Bedienung über iPhone und/oder Apple Watch, Integration von Apple HomeKit und Apples oben bereits angesprochenes Mesh-Framework bieten enormes Potenzial. Die nächste Iteration des Apple TV ist überfällig und dürfte gemeinsam mit der Apple Watch den Markt erreichen.4 Wie weit sie entwickelt ist, wird den Markt massgeblich mit beeinflussen.
- Xiaomi: Das chinesische Xiaomi, das erste IoT-Unternehmen, das konsequent in einer Smartphone-Welt lebt und denkt, sollte man nicht vergessen. Wie wichtig die Angebote von Xiaomi ausserhalb Chinas und Asien sein werden, steht allerdings noch in den Sternen.
Es bleibt abzuwarten, wie das cloudabhängige Machine-learning-Unternehmen Google vorgehen wird. Bleibt Nest ein Hub, der über das Internet mit der Cloud kommunizieren muss? Wo bekommt Google seine auswertbaren Daten und seine Erlösströme her, wenn es einen anderen Weg geht? Ein interssantes Spannungsfeld. Am anderen Ende der Skala stellt sich die Frage, wie viele Chancen unabhängige Anbieter wie AVM oder auch Roku haben. Man darf sie angesichts der bereits bestehenden Nutzerzahlen bei Apple oder Amazon etwa getrost als nicht sehr hoch einstufen.
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So oder so, die Frage ist nicht, ob sondern wann die Hubs kommen werden und welche neuen Geschäftsfelder, Infrastrukturen und Umbrüche sie mitbringen werden.
Eine weitere Konsequenz der digitalen Dynamiken des 21. Jahrhunderts: Dass mit dem klassischen Fernsehen das Massenmedium des 20. Jahrhunderts über die hier beschriebenen bevorstehenden Entwicklungen unwiderruflich ebenfalls transfomiert wird, ist fast nur eine Randnotiz.
- Reine Hubs, also zusätzliche Geräte, die nichts anderes machen, als das “Smart Home” zu “steuern”, wie etwa das seit letztem Jahr zu Samsung gehörende Smart Things, haben sich am Markt nicht durchgesetzt. Aufgrund der Marktphase, in der sich vernetzte Haushaltsgeräte aktuell befinden, ist das kein Wunder. ↩
- Mit einer angeschlossenen Streaming-Settop-Box verliert das Fernsehgerät einen wichtigen Teil seiner Funktionalitäten. Das Gerät wird entbündelt. ↩
- Das Transporter-Modell, das eine (relativ) sichere Methode für Datenaufbewahrung, Datensicherung und Datentransport für zum Beispiel Anwälte und Ärzte darstellt, macht auch das B2B-Potenzial eines starken Hub-Ökosystems deutlich. Um eine Vorstellung für die Entwicklung der Ökosystemexpansionen zu bekommen, die hier in den nächsten Jahren stattfinden werden, lohnt es sich, Analogien zum Smartphone zu ziehen. Man betrachte das Endkonsumentenprodukt iPhone und die Kooperation mit IBM im Enterprisesegment und stelle sich vor, was ein Hub-Ökosystem etwa für KMUs ermöglichen würde. Sichere, flexible IT-Architektur mit minimalem Administrationsaufwand. ↩
- Bei der ersten Vorstellung der Apple Watch wurde in einem Nebensatz die Möglichkeit erwähnt, Apple TV mit der Watch zu bedienen. Eine sinnvolle Kombination sowohl aus UI/UX-Perspektive (think Gyroskop) als auch aus Plattform-Sicht. ↩