Wie wurde Instagram so groß wie es heute ist?
Instagram war weder die erste noch zwingend die beste Foto-App auf dem iPhone, damals vor 300 Jahren, als die Welt noch heil war.
Instagram war die erste Foto-Filter-Sharing-App, die einen eigenen Feed mit eigenem Netzwerk in die App integriert hat.
Instagram nutzte die die Twitter-API, um bestehenden Twitter-Nutzer:innen einen Weg zu geben, Verbindungen von Twitter auf Instagram wiederzufinden. Als Twitter merkte, wie rasant Instagram populär wurde und dass sie über ihre API ihr wichtigstes Asset, den Follower-Graph, frei verfügbar machten, war es schon zu spät, aber Twitter schloss diese API-Funktionalität. Kein Verbindungssync mehr für dich.
Dann übernahm Meta, das sich damals noch Facebook nannte, verrückt ich weiß, das noch junge Instagram.
Auch zu diesem Zeitpunkt war Instagram noch weit vom Juggernaut entfernt, der es heute ist.
Die Übernahme erlaubte Instagram verschiedene Dinge: Das kleine Instagram-Team erhielt alle notwendigen Ressourcen, um die App weiterzuentwickeln und zu verbessern; Server, Fundraising oder gar IPO und andere Ablenkungen waren für immer von der Tagesordnung verschwunden. Facebook band im Backend Instagram in seine Angebote für Werbekunden ein. Insta musste jetzt selbst nicht einmal über Erlösströme nachdenken. Praktisch!
Das Wichtigste aber: Facebook bewarb Instagram massiv in seiner eigenen Facebook-App. Was viele nicht wissen (wollen): Facebook war damals und ist immer noch das größte Social Network der Welt. Lediglich, je nach Definition und Messgröße, von YouTube herausgefordert.
Instagram hat 90% seines Aufstiegs unter seiner Mutter Facebook und massgeblich -nicht ausschließlich aber massgeblich- über die interne Bewerbung des Netzwerks erhalten.
2023 wird die Anzahl der aktiven Instagram-Nutzer auf etwa 1,35 Milliarden weltweit geschätzt. (u.a. Oberlo) Das ist eine konservative Schätzung.
So weit zum Geschichtsunterrricht. Bitte im Hinterkopf behalten, das wird Teil des Tests.
Enter Threads
Gestern ist Threads gestartet. Threads ist Metas Twitter-Alternative. Gestartet in 100 Ländern, nur noch nicht der EU, dazu unten mehr.
Was ist Threads:
- Threads ist ein Twitter-Ersatz, der Twitter von ungefähr um 2010 ähnelt.
- Threads ist ein neues Social Network, aber eng an Instagram angebunden: Accountname, Verifizierung etc., wird von Instagram übernommen, man kann den Instagram-Verbindungen direkt auf Threads folgen
- Der Feed zeigt Posts ("Threads") von Accounts, denen man folgt, und Posts vom Algorithmus vorgeschlagenen Accounts.
- Threads kann Reposts und Quote-Posts, also die Standard-Funktionen von Twitter. Was im Interface heraussticht: Replies haben eine höhere Gewichtung als Likes. (Dazu passt: Meta spricht von "öffentlichen Konversationen" und nennt Posts "Threads".)
- Posts können 500 Zeichen lang sein und auch aus Fotos und bis zu 5 Minuten langen Videos bestehen.
- Mit Ausnahme von extremen Fällen (wie Kindesmissbrauch) soll Moderation auf Threads nicht auf den damit verbundenen Instagram-Account zurückfallen laut The Verge.
- Posts auf Threads können auf Instagram in den Stories oder im Feed weiterverbreitet werden.
- Links zu Threads sollen auch aus der App leicht in andere Apps geteilt werden können. (Taking a page out of TikToks Book.)
- Threads ist in 100 Ländern verfügbar, nicht aber in der EU. Das kommt später.
- Threads wird in naher Zukunft außerdem ActivityPub-kompatibel werden. ActivityPub ist das Protokoll hinter Mastodon und anderen offenen Social Networks. (Wie etwa der Instagram-Alternative Pixelfed..)
- Nutzer:innen: Threads hatte 2 Millionen Nutzer:innen nach 2 Stunden, 5 Millionen nach 4 Stunden, und liegt jetzt bereits bei über 30 Millionen Signups. (TechCrunch) Zuckerberg selbst hat aktuell 2 Millionen Follower.
Instagram wuchs seinerzeit initial über die Twitter-API und nutzt jetzt die gleiche Mechanik in die andere Richtung, als First-Party-Verbindung für den eigenen Twitter-Ersatz. Full Circle.
Der langfristig signifikanteste Aspekt an Threads aber ist, dass der mit großem Abstand wichtigste Social-Network-Konzern der Welt für sein neuestes Netzwerk-Baby angekündigt hat, es kompatibel mit dem Social-Network-Protokoll ActivityPub zu machen.
Auf einem Text zu Threads von Markus Beckedahl kommentierte ich (auf LinkedIn) die Bedeutung so:
Jede bessere Infrastruktur für eine vernetzte Öffentlichkeit braucht mehr Interoperabilität. Weil das die notwendige technische Grundlage für geringere Machtasymmetrien ist als wir sie heute sehen. (Und alles, was daraus folgt.)
Ein (semi-neues) Social Network vom Meta-Konzern, das eine wie auch immer geartete Interoperabilität mitbringen wird, ist in meinen Augen durch die Bank zu begrüßen. Weil das allen, die aktiv an einer offeneren Struktur arbeiten (egal ob man das nun Fediverse nennt oder nicht), die Chance gibt, direkt Nutzer:innen Optionen zu geben. Optionen, die leichter wahrzunehmen sind. Stichworte: Wechselkosten & Netzwerkeffekte.
Ich sehe den kommenden Meta-Schritt ernsthaft als die größte Chance für protokollbasierte Ansätze.
Die Alternative -also weiterhin keinerlei Berührungspunkte zwischen Meta und ActivityPub- würde bedeuten, dass Veränderungen in der Nutzung um Jahrzehnte(!) länger dauern würden. Jetzt sehen wir dagegen eine realistische Chance, dass wir 'nur' ein Jahrzehnt brauchen, um eine gesündere Öffentlichkeitsstrukur in die Mitte der Gesellschaft zu bekommen.
Warum AcitivityPub? E-E-E? NopE.
“Twitter has got a lot of history; it has an incredibly strong and vibrant community on it. The network effects are incredibly strong.”
Der Instagram-Chef im Interview mit The Verge
Es gibt bizarre Diskussionen auf Mastodon, in denen sich manche Mastodon-User sehr sicher sind, dass Meta mit der kommenden ActivityPub-Anbindung von Threads Mastodon und das "Fediverse" (Dienste, die auf ActivityPub aufsetzen) vernichten will; embrace-extend-extinguish.
Es ist das beste Beispiel dafür, dass man auch ohne grundlegende Mathematik-Verständnisse Vollblutnerd sein kann.
Mastodon, das für ein paar wenige Tage noch der größte Dienst im "Fediverse" sein wird, hat um die 10 Millionen registrierte Nutzer:innen und um die 2 Millionen aktive Nutzer:innen. Das ist besser als jedes andere protokollbasierte Social Network, das über die letzten 10+ Jahre versucht wurde!
Aber, jetzt haltet euch fest, das ist sehr, sehr viel weniger als die 1,3+ Milliarden aktive Nutzer auf Instagram. (Meta hat über all seine Services über 3 Milliarden täglich aktive Nutzer) Und sogar schon weniger als das keine drei Tage alte Threads mit seinen über 30 Millionen Signups.
Speaking of numbers: Selbst Facebook, das von weltfremden Tech-Expert:innen gern mit "und dann gibt es noch Facebook, aber da ist niemand mehr, lol" umschrieben wird, hat weltweit über 2 Milliarden täglich aktive Nutzer:innen. Und ist im ersten Quartal 2023 um 4% gewachsen im Vergleich zum Vorjahresquartal. (siehe Q12023-Report von Meta)
Funny Sidenote, die mir gerade beim Schreiben aufgefallen ist: Ich habe die 2,04 Milliarden Facebook-Nutzer:innen auf 2 Milliarden abgerundet. Aufmerksamen Leser:innen dürfte auffallen, dass die Differenz dem Doppelten der 2 Millionen aktiven Mastodon-Accounts entspricht. Mastodon ist literally ein Rundungsfehler für Meta. Korrektur: Ich wurde per Email und auf Threads darauf hingewiesen, dass ich mich um eine Null vertan habe, und Facebook um 40 Millionen abgerundet habe, was dem 20fachen von Mastodon entspricht. Point stands und zwar even stronger. /Korrektur
ActivityPub ist Meta relativ egal. Oder konkreter: Das Fediverse ist Meta egal. Es hat fast keine Bedeutung für Meta.
Warum also? Well..
1. Grund: Asymmetrische Netzwerkeffekte
Ich bin/war seit März 2007 auf Twitter. I've seen things, tears, rain, etc. Ich habe Freunde gefunden, ich habe gesehen, wie sich Bekannte radikalisiert haben.
Ich habe seit den Nuller Jahren peinlich viel über Twitter geschrieben. (Gemessen daran, dass deutsche Texte keinen Einfluss auf ein US-Unternehmen haben und das Thema hierzulande immer Nische war: peinlich.)
Ich habe seit Anfang der 2010er Jahre darauf gewartet, dass irgendetwas Twitter ersetzt. Weil dem Potenzial, das asymmetrische Verbindungen erlauben, ein sehr geringer lokaler Peak bei Twitter gegenüber steht.
Ich habe irgendwann um 2008/9, damals noch auf netzwertig.com, über das, was ich damals das "Follower-Prinzip" nannte, geschrieben. Unvorstellbar heute, aber damals war das, was Twitter machte, ein kleiner Durchbruch. Bis dahin wurde jede Art von Verbindung, wie ein gegenseitig zu bestätigende Freundschaft behandelt. Das Wachstum von MySpace wurde seinerzeit unter anderem davon verlangsamt, weil Bands alle Fans, die sich mit ihnen auf MySpace verbinden wollten, einzeln als Verbindung hinzufügen mussten.
Verbindungsart und Use Case waren offensichtlich nicht optimal aufeinander abgestimmt. Early Days!
Das Besondere an asymmetrischen Verbindungen ist, dass symmetrische Verbindungen eine Untermenge von ihnen sind. Sie können also theoretisch alles abdecken. Mehr aber noch ist das Besondere an ihnen, dass sie alle anderen Arten von Verbindungsgründen abdecken: Die Klimaforscherin, der Influencer, die ARD, die Band, die Expertin in meinem Fachgebiet oder meine Kollegin: Ich kann ihnen "folgen", auf Twitter, LinkedIn, Instagram et al, aus den unterschiedlichsten Gründen.
Weil das vor allem interessensbasierte Verbindungen sind, fing man irgendwann an, hier vom "Interest Graph" statt "Social Graph" zu sprechen.
Eine wichtige Erkenntnis aus den letzten 10 Jahren: Asymmetrische Vernetzungen führen zu besonders starken Netzwerkeffekten.
Das sieht auf den ersten Blick kontraintuitiv aus: Je weniger nah sich Menschen stehen, desto stärker ist die Netzwerkbindung? Hä? Denkt man aber etwas darüber nach, dann ergibt das Sinn:
- Der Lockin dank Netzwerkeffekten setzt sich u.a.(!) daraus zusammen, wie einfach oder schwer der Wechsel zu einem anderen Netzwerk ist. Also wie leicht das Netzwerk, die Verbindungen, an anderer Stelle reproduziert werden kann.
- Außerdem bestimmt die Art der Verbindung wie wertvoll ein Netzwerk sein kann.
- Und die Größe des Netzwerks kann diese Punkte weiter verstärken.
Für asymmetrische Follow-Verbindungen heißt das:
- Ich kann mein Netzwerk umso schwerer reproduzieren, je größer es ist.
- Denn viele Verbindungen, die asymmetrisch auf einer Plattform entstehen, sind exklusiv auf dieser Plattform.
- Daraus folgt, dass jeder Umzug technisch möglich sein muss, weil er sozial/zwischenmenschlich ohne technische Unterstützung de facto unmöglich ist.
- Hinzu kommt, dass die Größe eines Netzwerks bei asymmetrischen Verbindungen auf den Wert des Netzwerkes für einzelne Nutzer:innen spielt. (Mehr Nutzer:innen -> mehr Potenzial für mein Wunsch, hier ein Publikum, eine Community, etc. zu finden und auf der Empfängerseite: mehr Potenzial, meine Interessen abzudecken.)
Für 'klassische' symmetrische "Freundschafts"-Verbindungen heißt das:
- Ich kann mein Netzwerk umziehen, weil wir uns eh heute abend sehen und ich dir davon erzählen kann, wo du mich erreichen kannst. Oder ich schreibe es dir per SMS oder rufe dich an, wie ein Boomer. Freunde sind nicht exklusiv. Der Wechsel ist auch hier nicht einfach, aber einfacher, weil die Verbindung nicht plattformgebunden ist. Sie ist in der Regel nicht einmal auf der Plattform entstanden. Asymmetrische Verbindungen starten mehrheitlich auf der Plattform, symmetrische Verbindungen in der Regel nicht.
- Netzwerkgröße und entsprechende Funktionen können trotzdem den Netzwerkeffekt für Freundschafts-Verbindungen groß genug machen. Whatsapp ist das beste Beispiel: Es besteht aus symmetrischen Beziehungen, aber seine Größe und Funktionen wie Whatsapp Status machen es zumindest unabdingbar in Märkten wie Deutschland.
- Gleichzeitig zeigt die Messengerwelt die Nichtexklusivität bei Social Networks. Ich habe mittlerweile viele Gruppen und Gespräche auf Signal und Telegram parallel zu Whatsapp. Symmetrische Beziehungen und ihre Nutzung brauchen keine Exklusivität.
Asymmetrische Follower-Verbindungen dagegen haben die Asymmetrie schon im Namen. Diese wiederum führt zu Verdrängungsmechanismen was etwa verfügbare Aufmerksamkeit angeht (und daraus folgend Aktivität).
Twitter war nie groß. Die letzte offizielle Zahl ist vom zweiten Quartal 2022: insgesamt 237,8 Millionen monetarisierbare täglich aktive Nutzer (mDAU). Mittlerweile dürften es einige wenige Millionen weniger sein.
Twitter aber war immer kulturell relevant. Trotz dieser kleinen Größe. Der Grund liegt, wieder, im asymmetrischen Follower-Prinzip, weil es klassisches Broadcasting, Interaktionsmöglichkeit und Social Web zusammenbringt. Da reicht sogar eine vergleichsweise kleine Größe für kulturelle Relevanz.
Twitter hat Anfang der 2010er Jahre angefangen, aus Erlössucht/e die API und das darauf basierende Ökosystem an Tools und Diensten Schritt für Schritt zurückzubauen (bzw. abzuwürgen).
Dieses Vorgehen plus die historisch dysfunktionale Produktumsetzung des Unternehmens Twitter sorgte für eine historische Diskrepanz zwischen Realität und Potenzial.
Ein paar Zahlen für den Kontext:
Twitter hatte 2022 wie gesagt 237,8 Millionen täglich aktive Nutzer. Das war weniger als Snapchat. (347 Millionen DAUs in Q2 2022, Snap) Dank der kulturellen Relevanz kennt jede:r Twitter. Twitter hat über eine Milliarde Karteileichen. Das heißt, über eine Milliarde Menschen weltweit haben Twitter ausprobiert und sind zu der rationalen Entscheidung gekommen, das lieber wieder zu lassen.
Die Grundstruktur von Twitter (und Mastodon und ActivityPub etc.) hat das Potenzial für ein Netzwerk mit einer Milliarde und mehr aktiver Nutzer:innen. So wie Instagram. Nur die aktuelle Inkarnation von Twitter kann das nicht leisten.
Also. Warum ActivityPub?
- Twitter hat die stärksten Netzwerkeffekte, was es bis dato nahezu unangreifbar machte.
- Jetzt gibt es erstmals ein Potenzial, Twitter aufzubrechen, weil es noch dysfunktionaler wurde und die Netzwerkeffekte aktiv schwächt (schwerer zu partizipieren, schwerer zu konsumieren, etc.)
Meta versucht nichts dem Zufall zu überlassen:
- Instagram basiert wie Twitter auf asymmetrischen Beziehungen und soll mit der engen Bindung Threads anschieben.
- Und sie launchen das explizit jetzt nur, weil Twitter dank Phony Stark so angreifbar geworden ist, wie es das noch nie war. (Was man unter anderem an den kleineren Migrationswellen zu Mastodon und BlueSky und der geringeren Aktivität auf Twitter selbst sehen kann.)
Aber das allein reicht immer noch nicht. Was wenn du dich für Leute und Institutionen interessierst, die nicht auf Instagram/Threads sind oder gar dort gar nicht sein wollen?
Well.
Sobald Threads ActivityPub unterstützt, können Threads-Nutzer:innen europäischen Institutionen über social.network.europa.eu via Mastodon/ActivityPub folgen, sie können deutschen staatlichen Stellen via social.bund.de folgen.
Ich will nicht sagen, dass diese Spaßhupen für ein neues Netzwerk kriegsentscheidend wären. Es sind einfach nur zwei sehr anschauliche Beispiele. Denn das ist, worum es hier ganz banal geht: Um ein umfängliches Umfeld. Interest Graph funktioniert nur, wenn möglichst viele meiner Interessen von mir gegrapht werden können, if you get my drift.
Das gilt für solche Institutionen ebenso wie für Katastrophendienste, die lokale Polizei und alle Dienste, die als Bots auf Twitter existiert haben.
Die Mainstream-Reichweite auf Threads plus die bessere Stabilität des Ökosystems dank ActivityPub macht öfffentliche staatliche Dienstleistungen und so, so viel mehr einfacher umsetzbar.
Wenn man sich das kurz vorstellt, dann ist diese Vision einer Onlineöffentlichkeit ganz klar einer Alternative vorzuziehen, bei der staatliche Stellen auf dem Angebot eines Unternehmens stattfinden müssen, wenn sie die Leute dort erreichen wollen.
Nach dem 2022 begonnenen Twitter-Meltdown ist es vor allem die Existenz dieser offiziellen Server zu verdanken, dass selbst Meta 2023 kein eigenes neues Netzwerk ohne Interoperabilität angeht.
Auch bei der API-Frage und dem Potenzial einer Plattform für öffentliche Debatten kommt ActivityPub ins Spiel. Ein Protokoll ist eine Basis für ein Business, eine proprietäre Plattform, bei der die API potenziell den Erlösen im Weg steht, ist es nicht.
Instagram ist eine wichtige Plattform, um die sich herum viele Dienstleister angesiedelt haben.
Threads, das an der Hüfte mit Instagram verbunden ist, wird diese Dienstleister auch anziehen. Mit ActivityPub bekommen sie mehr Spielraum und mehr Sicherheit.
Auch das macht es wahrscheinlicher für Threads, hier erfolgreich zu sein.
Denn der Erfolg ist zwar sehr wahrscheinlich aber nicht gegeben.
Fassen wir zusammen:
- Threads profitiert von der Nähe zum großen Instagram, das auf der gleichen Netzwerk-Logik basiert. (Deshalb kommt Threads von Insta, nicht vom größeren Facebook, wo es natürlich ebenfalls gepusht werden kann.)
- Threads ist eine eigene App/Website, kein Tab in Instagram wie Reels um mehr Spielraum zu haben.
- Threads startet in einer Zeit, in der Twitter volatil wie noch nie war.
- Und all das reichte trotzdem nicht, also bekommt Threads in naher Zukunft Interoperabilität mit einem noch zaghaft etablierten Protokoll für Ökosystem und Netzwerk-Robustheit.
Ich will ehrlich sein: Ich bin sehr beeindruckt von Metas Ansatz hier. Sie machen alles, was sie machen können, um dem eine Chance zu geben. Und man sieht, wie viel Respekt sie vor den nach wie vor starken Netzwerkeffekten auf Twitter haben. (so wie ich)
Man muss auch bedenken, dass Meta keine Netzwerke mehr kaufen kann, sie müssen also selbst bauen, wenn sie expandieren wollen. Das Vorgehen hier könnte zur Blaupause werden.
Kommen wir zum zweiten großen Grund.
2. Grund: Creators, Creators, Creators
Fast jedes Social Network braucht heute eine Strategie, wie es attraktiv für die Kreativschaffenden wird, für die Influencer (Stars) und die Creators ("Nische"). Während Phony Stark sie von seinem Netzwerk verscheucht, macht sich Meta Gedanken über das Mindset, dass diese Kreativen umtreibt, nämlich konkret die Frage nach der Kontrolle über das eigene Publikum und damit über die Zukunft des eigenen Geschäfts.
Der Instagram-Chef auf Threads:
We're committed to building support for ActivityPub, the protocol behind Mastodon, into this app. We weren't able to finish it for launch given a number of complications that come along with a decentralized network, but it's coming.
If you're wondering why this matters, here's a reason: you may one day end up leaving Threads, or, hopefully not, end up de-platformed. If that ever happens, you should be able to take your audience with you to another server. Being open can enable that.
Im Interview mit The Verge spricht der Instagram-Chef Adam Mosseri das noch deutlicher an:
Meta plans to eventually hook Threads into ActivityPub, the decentralized social media protocol that also powers Mastodon. That integration isn’t ready at launch, though, as I previously reported. When it’s enabled, Threads users will be able to interact with Mastodon users and take their accounts with them to other clients that support the ActivityPub standard.
As Mosseri puts it, this is a move designed to appease creators who have grown increasingly wary of relying on the whims of centralized social media companies. “I think we might be a more compelling platform for creators, particularly for the newer creators who are more and more savvy, if we are a place where you don’t have to feel like you have to trust us forever,” he says.
(Hervorhebung von mir)
Wir haben im Mitgliederbereich Nexus die letzten 2 Jahre intensiv auch darüber gesprochen (siehe unter anderem Nexus 109 von vor einem Jahr): Instagram hat einen starken Herausforderer an der Creator-Front. TikTok hat ebenfalls über eine Milliarde aktive Nutzer und ist eine populäre Plattform für Creators.
Ein Weg für Instagram, attraktiver für Creators zu werden, neben dem Reels-Tab, war die Überlegung, sich zu öffnen. Also Macht an die Kreativschaffenden abzugeben und dafür attraktiver zu werden. Statt kontinuierlich mehr Marktanteil an TikTok zu verlieren.
Das war die Überlegung hinter den ersten NFT-Integrationen. Mosseris Talk bei TED hieß wortwörtlich: A Creator-Led Internet, Built on Blockchain
Das ist zum Leidwesen der Kreativen nicht eingetreten.
Was sie und wir jetzt bekommen, ist besser als nichts aber es ist weniger als die NFT/SBT-Vision: ActivityPub kann heute weitaus weniger abdecken als NFTs es könnten und es kommt zum kleinen Insta-Bruder Threads nicht zur großen Schwester Instagram selbst.
Mosseri im Verge-Interview über die Anfänge eines neuen Mindsets, von Blockchain bis ActivityPub:
I do think that more and more people are going to be interested in and appreciate more open systems. And I think that’s the direction of travel for the industry. That’s going to be a painful shift for a lot of the larger platforms that already exist out there. But as people become more and more savvy about the benefits and the risks involved with using any of these platforms, then I think they’re going to be demanding more.
Creators are a really good example. Creators are becoming more and more savvy. They’re using more and more platforms. It’s becoming rarer that a creator is completely attached to one platform because they’re always worried about the risk of being overly beholden to one company that they obviously can’t control. So I do think this is the direction of travel, and I think that a new app offers us the opportunity to really step into this space. It would be very, very difficult to take an existing app like Instagram and then integrate it.
(Hervorhebung von mir)
Dieses von Mosseri angesprochene Multi-Plattform-Verhalten von Kreativschaffenden online ist essenziell. Dafür gibt es grob zwei Gründe:
- Wie Mosseri anspricht, geht es darum nicht alle Eier in einem Korb zu haben. Risikominimierung.
- Der zweite Grund ist Reichweitenwachstum. Jedes Netzwerk hat eigene innere Dynamiken. Mit den gleichen oder ähnlichen Inhalten lässt sich je nach Netzwerk unterschiedlich arbeiten. Spezifische Inhalte funktionieren unterschiedlich auf Netzwerken. Beispiel: TikTok-Creators pushen immer ihre Instagram-Accounts, auf denen sie zum Beispiel mit weniger Aufwand tagtäglich in den Stories ihre Fans erreichen können. Die Netzwerke sind eine Klaviatur.
Instagram geht mit Threads gleich beide Themen an. Mit ActivtyPub sprechen sie direkt die Risikominimierung der professionellen Kreativen an.
Die Verbindung aus Threads und Instagram bedeutet außerdem mehr Spielraum, intern auf Instagram voranzukommen. Das Negativbeispiel dazu: Als Instagram Reels voranbringen wollte/musste, um gegen TikTok zu punkten, haben Creators auf Instagram festgestellt, dass alles, was kein Video war, plötzlich sehr viel schlechter intern rankte und weniger Reichweite erhielt. Ergo: Grmpf, wir müssen Videos machen.
Threads' Verbindungen zu Instagram könnten ebenfalls ins Ranking reinspielen. Sie werden aber auf jeden Fall Creators neue Wege eröffnen zu wachsen.
Oder anders: Kreative, die heute noch nicht erfolgreich sind auf Instagram, können das über den Threads-Weg werden.
Diese Creator-/Kompatibilitätsüberlegungen gehen bei Instagram über ActivityPub hinaus, wie man im Verge-Interview deutlich erkennen kann (Hervorhebung von mir):
The one that I think resonates the most with creators, in my experience, is that you should own your audience. If you decide to leave Threads one day, you should be able to bring your audience with you. I’ve talked about this idea in a couple of different contexts. There are, I think, better ways to do this over the long run, but I do think ActivityPub allows you to support that. I think we might be a more compelling platform for creators, particularly for the newer creators who are more and more savvy, if we are a place where you don’t have to feel like you have to trust us forever or you can build up an audience, and then you can bring that audience with you elsewhere if you really have to at the end of the day.
It’s a combination of trying to lean into where the world is going, trying to empower creators, and also trying to learn and be honest and humble about the fact that we [Meta] come from a very different phase of the internet. We know that we need to evolve, or else we run the risk of becoming irrelevant.
(Es ist in meinen Augen deutlich, dass er bei den better ways vom aus kombinatorischer Sicht technisch überlegenen NFT-Ansatz spricht, der sich für Meta nicht schnell genug durchsetzen konnte.)
Man kann es auch so sagen: Sie integrieren ActivityPub nicht wegen der Netzwerke, die heute schon auf den Standard setzen, sondern für das, was da noch kommen mag, weil die damit einhergehende Investitionssicherheit Dienstleister aber vor allem Influencer/Creators anlocken soll.
Man sollte hier nicht vergessen: Threads selbst wird zwar durchlässig, aber Instagram selbst bleibt proprietär/geschlosssen.
Die Überlegung kann man also so zusammenfassen: Instagram hilft heute Threads, damit Threads künftig Instagram helfen kann, relevant zu bleiben.
Künftig, wenn sich die Social-Web-Landschaft drastisch ändern wird.
Drastisch?
Der Standard
Mastodon hat dank Phony Stark zu den wichtigsten Tech-Themen 2022 gezählt. Aber, um ehrlich zu sein, ich bin da zwar aktiv und unterstütze Mastodon finanziell, aber wirklich wichtig ist es mir nicht. Mir ist ActivityPub wichtig. Das Protokoll unter Mastodon, das Protokoll, das Threads interoperabel mit anderen Diensten machen wird, ist das, was hier wichtig ist.
Dieser Text ist bereits lang, deshalb will ich nicht viel zu diesem Punkt schreiben. Ich empfehle meinen re:publica-Talk zum Thema.
ActivityPub erlebt gerade mehrere Wellen an Aufmerksamkeit. Reddit hat seine API-Zugänge neu geregelt, damit Clients abgewürgt und die freiwilligen Moderatoren (Power-User, die diese Apps nutzen) verärgert. Es hat eine Migration zu ActivityPub-basierten Reddit-Alternativen ausgelöst. (Man kann das auf fedidb.org tracken.)
Es ist das gleiche Muster wie bei Twitter. Die ActivityPub-Alternativen stehen bereit, wenn das führende proprietäre Netzwerk (Power-)User verärgert.
Gleichzeitig sind diese Migrationswellen noch vergleichsweise langsam.
Jetzt stelle man sich aber einmal einen Reddit-Aufruhr in einem oder zwei Jahren vor.
Die aufgebrachten Nutzer haben dann nicht nur die Option, zu weniger bekannten offenen Alternativen zu wechseln.
Sie haben dann die Option, zu zwar noch temporär weniger bekannten offenen Alternativen zu wechseln, die aber gleichzeitig kompatibel mit einem Netzwerk sind, auf dem sich Hunderte Millionen Menschen tummeln.
Das lässt sich für jede Netzwerkart wiederholen.
Threads und die Masse an Nutzer:innen, die es mitbringen wird, wird ein Durchlauferhitzer für den Standard ActivityPub, der bei den Dynamiken weit über "das ist dann halt ein bisschen größer" hinausgeht.
Mehr ist anders.
Mehr ist anders!
Kein Threads vorerst in der EU, dank DMA
Instagram-Chef Adam Mosseri, der selbst im UK lebt, über die EU:
We don’t want to launch anything that isn’t forward-compatible with what we know and what we think is coming. It’s just going to take longer to make sure not only that it’s compliant but that any claims we make about how we’ve implemented compliance stand up to our very high set of documentation and testing centers internally.
To be really honest, I’m bummed about it. I’ve been living outside of the US for a year now. I’m on a total kick pushing teams [inside Meta] to stop leaving things half-launched and get them out to the rest of the world. I meet creators who are asking questions like, “Do I need to move to the US to get access to such and such feature?” And it breaks my heart. But this one is just going to take a bunch of time.
Je nachdem wie schnell Threads wachsen wird und wie wichtig es für die internen Dynamiken auf Instagram wird, wird das Influencern und Creators in der EU überhaupt nicht schmecken.
Sie können sich damit trösten, dass es sie nicht so schlimm trifft, wie die TikTok-Creators in Indien, denen mit dem App-Bann in ihrem Land ihre Geschäftsbasis entzogen wurde.
Aber dieser Fall zeigt auf, dass Regulierung in einem Winner-takes-All-Markt, den wir hier zumindest noch haben, nicht auf eine Klasse von Anbietern trifft sondern auf einzelne Anbieter. Die Auswirkungen sind entsprechend drastisch.
Ich habe keine Antwort darauf. Aber es ist zumindest überlegenswert, was genau EU-Bürger durch eine Verzögerung von Threads gewinnen, wovor sie konkret damit beschützt werden. Besonders vor dem Hintergrund der kommenden Öffnung des Netzwerks.
Dass Meta dank der starken Netzwerkeffekte lieber sofort in der EU starten würde, sollte mittlerweile auf der Hand liegen.
Eine dank DMA geringere Datendurchdringung zwischen Instagram und Threads in der EU wird dann kaum mehr Privatsphäre für Bürger:innen bringen, aber gleichzeitig die Werbemöglichkeiten von KMUs in der EU einschränken.
Fazit
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass diese X Gründe gegen einen Erfolg von Threads sprechen. Aber das würde von der erdrückenden Wahrscheinlichkeit ablenken, dass Threads erfolgreich sein wird. Meta kann Umsetzung, sie haben bei der Anbindung alles richtig gemacht (Insta statt FB). Instagram hat die Größe als Netzwerk und die Prominenz, die Influencer und die wichtigen Personen™, die User anlocken. Sie launchen zu einem Zeit der größten Schwäche von Twitter und sie achten auf die Zukunft und die Bedürfnisse der Creators mit der kommenden Protokollintegration.
Meta macht hier gerade alles richtig. Egal, ob uns das jetzt freut oder ärgert.
Vielleicht erreicht Threads einen Peak bei 300 Millionen, vielleicht bei 500 Millionen, vielleicht werden sie in 5+ Jahren bei 1 Milliarde aktive Nutzer:innen landen. Dieses Peak in der täglichen Nutzung ist nicht absehbar. Absehbar dagegen ist, dass Threads Twitter vom Thron stoßen wird.
Ich habe 2010, als viele Techexpert:innen noch davon ausgingen, dass Facebook so schnell verschwinden werde wie MySpace, geschrieben, dass wir jetzt das Facebook-Jahrzehnt erleben werden.
Das ist eingetreten. Der Start von Threads diese Woche markiert einen Wendepunkt. Einen Wendepunkt für Social Media, für Social Networks, für die vernetzte Öffentlichkeit und damit für das Internet als Ganzes.
Mastodon war der Türöffner für ActivityPub. Es hat lang genug durchgehalten auf kleinstem Niveau, was Nutzer:innen und Ressourcen angeht. Und Mastodon wird es auch weiterhin geben. Aber in dem Moment, in dem Metas Threads AcitivityPub bei sich freischaltet, dann beginnt erst wirklich ActivityPub. Das wird die Geburt eines Standards.
Denn Standard-Specs sind entweder eine Punchline bei XKCD oder Teil von echten Standards.
Standards werden genutzt oder sie sind keine.
Die Gründe für Meta sind natürlich egoistisch. Es ist ein Unternehmen, after all.
Aber mit Blick auf die Reifen, durch die doch erstaunlich viele Leute letztes Jahr gesprungen sind, um sich und Teile ihres Netzwerks von Twitter zu Mastodon zu retten, drängt sich mir die Frage auf, ob Instagram/Meta die Folgen von Interoperabilität nicht unterschätzt.
Daten sind nicht wie Öl, sie sind wie Wasser und suchen sich ihren Weg.
Es ist fast schon egal, wie sie ActivityPub integrieren werden. Die Existenz der Interoperabilität und die Kreativität aller interessierter Entwickler:innen und Influencer (mit entsprechendem finanziellen Anreiz) werden das Instagram-Netzwerk weit aufbrechen.
Nicht heute, nicht morgen, aber dieses Jahrzehnt.
Und so kommt, irgendwann, endlich, die Mitte der Gesellschaft ins offene, echte Social Web.
Das wird der Anfang einer neuen Ära der vernetzten Öffentlichkeit.
Mehr zum Thema: A Call to Action
Die aktuelle Entwicklung unterstreicht, was ich in meinem diesjährigen re:publica-Talk über ActivityPub und die vernetzte Öffentlichkeit gesagt habe. YouTube:
Alle Institutionen, die sich mit der vernetzten Öffentlichkeit, Öffentlichkeitsstrukturen und Machtasymmetrien im Netz beschäftigen, also Think Tanks, Stiftungen, NGOs aller Art, aber auch staatliche Stellen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwa, sie stehen hier vor einer neuen Situation, die noch nicht angekommen ist, deshalb hier noch einmal in aller Deutlichkeit:
Ihr könnt jetzt das System aktiv mitgestalten, Ihr könnt Ressourcen bereitstellen, eigene Dinge entwickeln, gewünschte soziale Strukturen (für Governance) konzipieren und pushen. Ihr müsst nicht mehr nur Papers schreiben, die niemand liest, und hoffen, dass Ihr damit über Bande Regulierer oder über zweifache Bande eine Produktmanagerin in Kalifornien erreicht.
Nothing's a given:
Es geht gerade eine Tür auf, und was wir auf der anderen Seite der Tür finden werden, hängt nahezu komplett davon ab, wie die ActivityPub-Strukturen außerhalb von Meta aussehen werden.
Die Creator-Dienstleister kommen eh, Firmen wie Flickr und Automattic (WordPress und tumblr) kommen auch. Weitere werden folgen, wie SaaS-Motten zum Insta-Licht.
Das ist aber nicht genug.
Wollt Ihr starke nicht-kommerzielle Strukturen für die Online-Öffentlichkeit? Sie fallen nicht vom Himmel. Sie werden nicht aus Kalifornien kommen. Sie entstehen nicht an der Seitenlinie.
Aktive Mitgestaltung, das ist neu für europäische Institutionen, die sich mit diesen Themen beschäftigen.
Außerdem zum Thema: Ich spreche mit Matthias Pfefferle im Podcast seit Jahren über das offene Web und explizit auch über das "Fediverse". Matthias ist der Macher des ActivityPub-Plugins für Wordpress und arbeitet seit diesem Jahr als Open Web Lead bei den Wordpress-Machern Automattic an diesen Themen. Hörenswerte Podcastfolgen mit uns:
- neunetzcast 94: Mastodon und ActivityPub haben den Tipping-Point überschritten (2022)
- neunetzcast 93: Was wir unter Dezentralität verstehen und was wir uns davon erhoffen (2022)
- Hier & Jetzt – Open Web 6: Eine Liebeserklärung an RSS (2020)
- Hier & Jetzt Open Web 4: Mastodon, ActivityPub und das Fediverse (2019)
- Hier & Jetzt Open Web 1: Wo das Open Web heute steht (2019)