13. Okt. 2014 Lesezeit: 2 Min.

"Ein allenfalls an Jahren fortgeschrittenes Kulturpublikum"

Thierry  Chervel beschreibt im Blog des Perlentauchers die Friedenspreis-Verleihung an Jaron Lanier, und zeichnet parallel damit auch ein Bild der politischen Stimmung der Elite Deutschlands:

Zuweilen lehnte ich mich zurück im melodiösen Sog der Rezitation und staunte über die seltsame Konstellation, die sich hier ergeben hatte: Auf der einen Seite der digitale Pionier - auch wenn er nichts mit der Entstehung des Internets zu tun hatte und diese Behauptung hier auch nicht wiederholte -, dort ein allenfalls an Jahren fortgeschrittenes Kulturpublikum, das sich nun von vermeintlich berufenster Seite in seinem Verdacht bestätigt fühlen konnte: Irgendwas ist faul mit dem Internet. Wenn es nicht das Internet selbst ist.

Wem diese Konstellation zu verdanken war, hatte Laudator Martin Schulz zuvor klargemacht. Ja, es schwebte der Geist Frank Schirrmachers über der Veranstaltung. Im Grunde war es der zweite Paulskirchen-Gedenkakt für den großen Herausgeber innerhalb weniger Wochen – denn vor kurzem war er hier ja schon mal gefeiert worden. Ein großer Visionär und Humanist sei Schirrmacher gewesen, sagte Martin Schulz, dem Schirrmacher vor den Europawahlen ein Wahlkampfforum in der FAZ gab, immer mit Blick auf den großen Gegner Google, den Schirrmacher europäisch mit Hilfe Schulz' einhegen wollte. Und noch immer fragt sich ja die gesamte deutsche Geisteswelt, nach welchem Magneten sie sich nun richten soll.

[..]

[Jaron Lanier] und seinem Publikum reichte es vollauf, den im Hyperlink verwirklichten Akt des Teilens – die Grundidee des Internets, wie sie zumindest Tim Berners-Lee und die Open-Source-Szene verkörpern – als Ursprung allen Übels herauszustellen. Teilen setzt Lanier gleich mit Schwarzkopie, Pauperisierung der Kreativen und der Mittelschicht und Aneignung fremder Inhalte.

Die Lösung für diese Probleme ist natürlich, wie Martin Schulz anführte, Regulierung. Im Publikum hörte man sicher “rent seeking”.

Der wirtschaftliche Hintergrund für all dies: Weit über die Hälfte der etwa im  Börsenverein1 vertretenen Unternehmen werden die nächsten 20 Jahre nicht überleben.

Jaron Laniers Lösung für die von ihm identifizierten Internetprobleme ist im Übrigen eine Totalüberwachung, welche die umfassende Microbezahlung von Links, Remixen und anderen Nutzungen ermöglichen soll.2 Dass die Veröffentlichung seines jüngsten Buches mitten in die Snowden-Veröffentlichungen von tatsächlich stattfindender Totalüberwachung gefallen ist, ist ein minimaler, leicht zu ignorierender Nebenaspekt, den zu erwähnen und zu diskutieren, sowohl der Börsenverein als auch die Rezensenten des Lanier-Buches in der deutschen Medienwelt für nicht notwendig erachteten.


Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verleiht den Friedenspreis.

Lanier erwähnt in seinem Buch in einem Absatz auch die Gefahr, dass sein Totalüberwachungssystem für, you know, totale Überwachung durch Geheimdienste genutzt werden könnte. Seine Lösung: “gute” “regulation”, die das verhindert. Case closed. Das ist wortwörtlich alles, was er in seinem Buch als Lösung zu diesem Aspekt zu sagen hat. Es wäre euphemistisch, das alles nur peinlich zu nennen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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