8. Juli 2010 Lesezeit: 6 Min.

Filesharing-Debatte: Geschäftsmodellfragen statt 'Diebstahl'-Argument

Sascha Lobo hat auf meine Kritik an seinem Ausdruck Contentdiebstahl geantwortet. Nachdem er über die Unzulänglichkeiten der Musikindustrie geschrieben hat (nichts Neues), wendet er sich den Filesharern zu.

Interessanterweise nimmt er die Strategie der Plattenindustrie, einen Rechtsbruch (unautorisierte Distribution) zu einem 'schlimmeren' Rechtsbruch aufzubauschen (Diebstahl) und kehrt es auf die um, die um klare Begriffe fordern. Klare Begriffe, die eben auch dazu führen würden, dass die Aufbauschung wieder gemindert würde:

Er tut das Gleiche wie die Musikindustrie, er redet sich die Realität schön. Oder zumindest ein bisschen schöner. Ein Dieb will niemand sein, natürlich. Benutzt man den von Dirk von Gehlen vorgeschlagenen Begriff “im digitalen Raum vergütungsfrei konsumierte geistige Schöpfungen” oder Marcel Weiss’ “unautorisiertes Filesharing”, dann hört sich das schon ganz anders an. Das hört sich nicht mehr so schlimm an, wenn man ein Lied nicht klaut, sondern nur, äh, vergütungsfrei, also, unauto- na, dings halt. Aber nicht Diebstahl!

Das ist schon eine bemerkenswerte Umkehrung der Realität.

Die Plattenindustrie fordert härtere Rechtsstrafen gegen unautorisierte Distribution, weil diese für die Nutzer kostenfrei und demnach massenhaft ausgeführt wird und gleichzeitig das Geschäftsmodell der Plattenindustrie untergräbt. Um die immer weiter steigende Bestrafungsspirale (Three Strikes etc.) zu rechtfertigen, setzt man unter anderem auf Übertreibung und Vereinfachung der Tatsachen.

Wer dagegen spricht, spricht natürlich von einer alternativen Bezeichnung, die im Gegensatz zu dieser Darstellung die Tatsachen abschwächt. Eben weil der Begriff des Diebstahls nicht die Realität widerspiegelt, sondern einseitig und verfälschend ist.

Sascha Lobo stimmt dem teilweise zu:

Aber nicht Diebstahl! Das ist etwas ganz, ganz, GANZ anderes. Wie Marcel Weiss nicht müde wird, an allen Ecken und Enden ins Netz zu schreiben. Das Problem ist: er hat recht. Diebstahl ist ein juristisch gesehen unzulängliches Wort, wenn es um immaterielle Güter geht. Wenn man aber nur dann juristisch genau sein will, wenn es in diesem Moment die illegale Handlung nicht so schlimm erscheinen lassen soll – dann ist das Pochen auf die juristische Genauigkeit eine sprachliche Verschleierungsmaßnahme und damit zutiefst egoistisch.

Er schreibt weiter:

Man misst mit zweierlei Maß, je nach dem, auf welcher Seite man steht, wie man am eingangs verlinkten “Screenshot klauen”-Beispiel sieht.

Sascha Lobo meinte damit einen drei Jahre alten Artikel, den ich so heute natürlich nicht mehr schreiben würde. In den Kommentaren erwiderte ich dazu unter anderem:

Ich habe mal vor einer gefühlten Ewigkeit ein Musikstück auf einer kleinen Vinyl-Kompilation veröffentlicht. Nichts würde mich diesbezüglich glücklicher machen, als dass Leute dieses Stück kopieren und online herumreichen würden. Sie würden dabei nichts von mir, meinem damaligen Partner oder dem Label stehlen.

Sascha Lobo schreibt weiter:

Das ist das, was ich in den Kommentaren des Flattr-Artikels mit “Newspeak” bezeichnet habe; nämlich die sprachliche Umdeutung der Realität in eine Richtung, die einem insgesamt besser in die eigene Weltsicht und das eigene Verhalten hineinpasst. Ein Dieb möchte man nämlich nicht sein – aber mit ein paar Klicks die Bekanntheit des Künstlers steigern? Da soll er sich doch freuen! Gesteigerte Bekanntheit!

Tatsächlich ist für viele Urheber, Künstler oder andere Kulturschaffende, Unbekanntheit eine größere Gefahr als 'Piraterie'. siehe zum Beispiel:

Die Annahme hinter dem Diebstahl-Argument ist, dass niemand Geld verdienen kann, wenn seine Inhalte unautorisiert in P2P-Netzen zirkulieren. Das ist nicht nur theoretisch sondern auch praktisch falsch. Man kann sogar mit der Umarmung der digitalen Möglichkeiten sehr gut Geld verdienen. (siehe für Theorie diesen Artikel, den ich in meiner Zeit bei netzwertig geschrieben habe, und diesen für praktische Beispiele)

Freilich gilt meine Argumentation nur, wenn man – wie ich – glaubt, dass ein Musikstück ein Kulturprodukt ist, das man als Künstler verkaufen können sollte. Diese Definition ist auch im digitalen Zeitalter nicht überholt, sie muss nur in vielen Facetten feinjustiert werden.

Die Grenzkosten für eine weitere digitale Einheit (Song, Film etc.) beträgt Null. Der Preis wird sich an die Grenzkosten über die nächsten Jahre aufgrund der Online-Konkurrenzsituation angleichen (die ersten Anfänge sieht man heute auf dem Amazon-MP3-Shop, auf dem immer mehr MP3s manchmal temporär, manchmal anhaltend kostenfrei angeboten werden).

Dass bereits heute Filesharing die Güter zu einem Preis von Null verfügbar macht, liegt darin begründet, dass die ehemals reinen Konsumenten die Aufgabe der Distribution ohne zusätzliche Kosten selbst übernehmen können. Sie benötigen kein Unternehmen, das dies für sie übernimmt. Das ist natürlich ein Rechtsbruch. Und das ist natürlich auch ärgerlich für die Unternehmen, die auf die Distribution ihr Geschäftsmodell aufbauen.

Aber das Problem dabei ist nicht der Rechtsbruch, auf den sich alle orientieren. Dieser kommt eher aus dem Zusammenprall einer neuen Situation und einem Recht, das auf diese Situation nicht vorbereitet ist. Das Problem ist, dass sowohl die Plattenlabel als auch Personen wie Sascha Lobo glauben, dass Unternehmen für eine Leistung Geld verlangen können, für dessen Ausführung sie eigentlich gar nicht mehr benötigt werden.

Die Plattenlabel wurden nicht für das Erstellen der Musik sondern für dessen Verbreitung bezahlt (ein Umstand, der unter anderem Best-Of-Compilations und das für die Label wirtschaftlich goldene Zeitalter des Übergangs von Vinyl zur CD ermöglichte). Ihre Distributionsaufgabe lies sich nur hervorragend mit dem Querfinanzieren der Erstellung der Inhalte verbinden - die klassische Inhalteproduktion des industriellen Zeitalters, die heute immer seltener noch funktioniert. Nur wenn man das alles ignoriert, kann man Sascha Lobos Sicht einnehmen.

Lobos Denkfehler wird im folgenden Absatz sichtbar:

Aber Kulturarbeit erzeugt ein Kulturprodukt (in der Regel), das durch den Kulturschaffenden oder seine Stellvertreter zum Zweck des Geldverdienes verkäuflich sein sollte, wenn der Kulturschaffende es möchte. Von dieser Maxime bin ich deshalb nicht bereit abzurücken, weil ich sie für die Basis der Kultur als Beruf halte.

Dahinter steckt die Prämisse, dass es nur eine Form von Geschäftsmodell geben kann: Das direkte Verkaufen des Kulturprodukts. Und dieses gilt es zu schützen.

Zwei Anmerkungen dazu:

Es gibt viele verschiedene Geschäftsmodelle im Internet. Besonders Querfinanzierung und dabei Mischkalkulationen, also die strategische Verknüpfung verschiedener Produkte, bei den einige unter Kosten abgegeben werden, bestimmen das Internet.

Wie kann die Schaffung von Kultur erhalten bleiben? Indem dafür Anreize geschaffen werden. Das ist nicht gekoppelt an ein bestimmtes Geschäftsmodell. Wer glaubt, dass das im industriellen Zeitalter bestimmende Geschäftsmodell auch das einzig erfolgreiche Geschäftsmodell im Internet sein kann, ist auf dem Holzweg.

Lobo diskreditiert die Überlegungen über alternative, internetgenuine Geschäftsmodelle als Vorschlag zum T-Shirt-Verkauf. Ebenfalls ein weit verbreitetes Strohmannargument:

Ich möchte, dass Musik (auch) von Profis gemacht wird. Der Künstler muss von seinem Werk Leben können, zumindest theoretisch bei einem gewissen Mindesterfolg, und zwar auch ohne T-Shirts zu verkaufen. Alle anderen Haltungen halte ich in ihrer letztendlichen Wirkung für kulturfeindlich.

Das ist ein billiger Versuch, die folgende, den alternativen Geschäftsmodellen zugrundeliegende Grundüberlegung schlecht zu machen:

  1. Man analysiere das eigene Angebotsbündel und identifiziere die knappen und die nichtknappen Güter.
  2. Man verlange Geld für die knappen Güter und gibt die nichtknappen Güter kostenfrei weiter.

Die Gründe dafür:

Marktwirtschaft funktioniert immer über knappe Güter. Der Vermieter von Sauerstoffflaschen am Strand verkauft nicht Luft an die Hobby-Taucher. Genau so wenig haben die Plattenlabel Musik verkauft. Etwas, das ihnen mit ihrem Geschäftsmodell jetzt zum Verhängnis wird, da die Verbindung zwischen knappem Tonträger und nichtknappem Lied aufgehoben wird. Konzertveranstalter erzielen dieser Tage Rekordumsätze. Warum? Weil ihr Geschäftsmodell schon immer auf einem knappen Gut basierte.

Wer Kultur fördern und erhalten will, muss sich überlegen, wie er Anreize für die Erschaffung selbiger erzeugen kann. Dazu gehört nicht zwangsläufig, die Distribution weiterhin kostenpflichtig zu halten. Die gedankliche Auftrennung von Erzeugung und Distribution ist essentiell für diese Thematik.

Zum Schluss vollzieht Sascha Lobo noch einen alten rhetorischen Trick: Beide Seiten der zwei diametral unterschiedlichen Positionen als extremistisch und ideologisch verblendet hinstellen und sich selbst als die rationale Mitte zu präsentieren:

[..]

Auf der anderen Seite sind nicht die Scharfmacher, sondern die Schönredner, auch unter ihnen sind Extremisten, die alles abmildern wollen, alles nicht so schlimm, von “klauen” zu sprechen ist juristisch auch falsch und irgendwie profitiert ja auch der Künstler davon, er weiss es bloss nicht. Diese Schönredner sind Egoisten, weil sie nicht bezahlen wollen für das Werk, das andere Leute geschaffen haben und sie sind unehrlich, weil sie eher die Realität verbal verbiegen wollen, als sich einzugestehen, dass sie “stehlen”. Oder “erschleichen”.


Will Sascha Lobo damit sagen, dass all die Richter und Rechtsprofessoren wie Prof. Hoeren, die gegen die Bezeichnung des Diebstahls geistigen Eigentums anreden, in Wirklichkeit nur ihre eigene Filesharing-Tätigkeit absichern wollen? Wohl kaum. Aber auch das ist ein üblicher rhetorischer Trick: Notfalls niedere Beweggründe konstruieren und dem Gegenüber unterstellen, um seine Argumente zu diskreditieren. Unabhängig davon, ob es dafür überhaupt eine Grundlage gibt.

Oder wie man auch immer diese verbotene, moralisch fragwürdige Handlung nennen möchte, ohne sie als “vergütungsfreien Konsum im digitalen Raum” in buntes Geschenkpapier einzuwickeln.

Ein Problem der Diskussion rund um die Veränderungen durch die Digitalisierung ist auch, dass wirtschaftliche Fragen beim Ausbleiben von wirtschaftlichen Argumenten zu moralischen Fragen umgewertet werden.

Lobos Verständnis von Geschäftsmodellen zeigt sich auch in der folgenden, überspitzt gemeinten Ausführung:

wenn man Filesharing so wie UrbanP1rate als Marketingdienstleistung für den Künstler versteht, dann sollte man konsequenterweise für diese Leistung auch Geld verlangen. Also flugs eine Rechnung an das Management derjenigen Künstler geschrieben, die Ihr in den letzten Jahren so downgeloadet und weiterverteilt habt, da kommt doch bestimmt einiges zusammen.

Ich würde alleiniges Filesharing nicht als Marketing für die Künstler bezeichnen. Aber natürlich kann Filesharing die Bekanntheit steigern. Aber warum sollten diejenigen, die diesen Zusammenhang erkennen, dann dafür Entlohnung verlangen? Wie so oft führt auch hier die Vernetzung durch das Internet unter Umständen dazu, dass alle Beteiligten Nutzen dazu gewinnen, ohne dass Geld den Besitzer wechseln muss.

unerlaubtes Filesharing ist kein Kapitalverbrechen, sondern in erster Linie eine Dämlichkeit. Sie erschwert Musikern, auch in Zukunft schöne Musik zu machen. Menschen, die Musik illegal downloaden, sollten einfach damit aufhören, sie machen die Welt so besser.

Das ist ein nett gemeinter Aufruf. Aber die wirtschaftliche Realität sieht so aus, dass der Verkauf einer digitalen, autonomen Einheit (unabhängig des Inhalts) in der Regel schlicht kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr ist.

Das ist eine Realität, die die Industrie noch erkennen muss, um entsprechende Strukturen zu schaffen. Dann wird es auch zukünftig schöne neue Musik geben.

Was bisher geschah:

Noch eine abschliessende persönliche Anmerkung: Ursprünglich hatte ich aufgrund der damit immer einhergehenden persönlichen Anfeindungen (sowohl in den Kommentaren als auch außerhalb) keine Lust mehr, über den Themenkomplex Urheberrecht und Internet zu schreiben. Das war es mir nicht wert. Meine Meinung hat sich diese Woche geändert. Nicht zuletzt, weil mir der Diskussionsbedarf hierzulande wieder vor Augen geführt wurde. Ich werde wieder verstärkt über diese Themen berichten. Jetzt natürlich hier auf neunetz.com.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
Großartig! Du hast Dich erfolgreich angemeldet.
Willkommen zurück! Du hast Dich erfolgreich eingeloggt.
Du hast neunetz.com erfolgreich abonniert.
Dein Link ist abgelaufen.
Erfolg! Suche Dein in Deiner E-Mail nach einem magischen Link zur Anmeldung.
Erfolg! Deine Zahlungsinformationen wurden aktualisiert.
Deine Abrechnung wurde nicht aktualisiert.