Die Financial Times Deutschland (FTD) ist eine Wirtschaftspublikation. Ein Fakt, den man leicht vergisst, wenn man den dort erschienen Artikel mit der reißerischen Überschrift "Enteignet Google!"liest.
Der Autor Peter Ehrlich leitet das FTD-Büro in Brüssel. Bemerkenswert ist, wie er in seinem Artikel keine kohärente Argumentation auf die Beine bekommt.
Die Merkwürdigkeiten beginnen bereits im Lead des Textes:
Die Suchmaschine ist angetreten, das Wissen der Welt allgemein zugänglich zu machen. Doch der Konzern gefährdet das Projekt und stellt den Kommerz an erste Stelle.
Ein Konzern, der Kommerz an erste Stelle stellt? Man ist bei einer Wirtschaftspublikation darüber verwundert? Ernsthaft? Und das widerspricht der im ersten Satz formulierten Aufgabe des Konzerns?
Was ist mit Presseverlagen, Buchverlagen und Nachrichtensendern? Gefährden diese ihr Projekte nicht auch, indem sie den Kommerz an erste Stelle stellen?
Interessant ist auch folgender Satz:
Das Problem ist nur, dass Google nicht in die Regeln der modernen Marktwirtschaft passt.
Das Interessante daran: Es ist eine Aussage, die, würde sie stimmen, viele Implikationen nach sich ziehen würde. Es wäre also gut, wenn der Autor die postulierte Ausnahmestellung begründen würde. Das macht er aber leider nicht.
Neben unerklärten Aussagen finden sich im Text auch schlichte sachliche Fehler:
Wer in Hongkong einen jungen Franzosen einstellen will, kann anhand von dessen Postadresse erfahren, wie das Quartier aussieht (Street View) und was dort so eingekauft und diskutiert wird (Analytics), also den sozialen Hintergrund jenseits der Zeugnisse ermitteln.
Google Analytics analysiert die Besucherströme auf Websites. Diese Daten stehen nur den Betreibern der Websites zur Verfügung, solang diese die Daten nicht an andere weitergeben. Inwiefern Analytics helfen kann, herauszufinden, was an einem beliebigen Ort eingekauft und diskutiert wird, ist unklar.
Neben diesen sachlichen Fehlern, finden sich auch falsche Rückschlüsse und Strohmannargumente im FTD-Artikel:
In der idealen Google-Welt gebe ich das Wort "Rückenschmerzen" ein, und kurze Zeit später klingelt der Physiotherapeut an meiner Tür. Was im ersten Moment gut klingt, führt auf Dauer zu weniger Auswahl und Konkurrenz.
Das ergibt schlicht keinen Sinn. Ökonomisches Grundwissen kann von Vorteil sein, aber bereits gesunder Menschenverstand reicht dafür aus, um die ideale Google-Welt zu deuten: Google verringert für die betroffenen Transaktionen die Transaktionskosten (konkret: die Informationsbeschaffungskosten). Google spuckt nicht Black-Box-ähnlich ein Ergebnis aus, sondern stellt verschiedenste Informationen bereit bzw. macht diese leichter auffindbar.
Die Folge davon: ein effizienterer Markt. Die Folge davon: Ja, Anbieter minderwertiger Produkte und Dienstleistungen werden tendenziell weniger Absatz verzeichnen können. Ist das schlecht im Sinne eines Wohlfahrtsverlusts? Nein, im Gegenteil.
Wirr geht es weiter beim Begriff des Marktführers, der hier, ich weiß nicht, vielleicht mit einem natürlichen Monopol gleichgesetzt wird? Es ergibt auf jeden Fall weiterhin wenig Sinn, was in der FTD steht:
Wer Marktführer ist, muss nicht mehr das beste Produkt herstellen. Erfolg gebiert Erfolg, und Berühmtheit gebiert Berühmtheit. In seinem Buch "Mentaler Kapitalismus" hat Georg Franck als "Ökonomie der Aufmerksamkeit" beschrieben, wie in der akademischen Welt zunehmend die Zahl der Zitate wichtiger ist für eine wissenschaftliche Karriere als der Inhalt der Arbeiten.
weissgarnix zur angeblich leicht zu haltenden Marktführerschaft:
die Marktführerschaft [ist ]unter Wettbewerbsbedingungen eine saumäßig teure Angelegenheit[..]. Aus einem leicht nachvollziehbaren Grund: Man ist es nämlich schon bald nicht mehr, wenn man nicht wie blöd in Innovation, Werbung und – last but not least – juristische Power investiert. Der Marktführer ist nämlich dummerweise für alle sichtbar, auf ihn machen alle Jagd, auch mittels unlauterer Methoden wie Patentklau und Reverse Engineering.
In der FTD heißt es weiter zum Gewichtungsverfahren von Google:
Die "richtige" Antwort bei Google ist die, die am häufigsten gegeben wurde. In 80 Prozent aller Fälle dürfte das kein Problem sein, weil sich in den ersten zehn Suchergebnissen eine eindeutige Antwort findet. Aber in den weniger eindeutigen Fällen kann die Mehrheitsmeinung gegenüber der Minderheitenposition bevorzugt und so gefestigt werden. So verstärkt Google den Trend zu einer Welt, die immer einförmiger wird, je mehr sie zusammenwächst.
Abgesehen davon, dass die Ergebnisse von Google und ihre Reichweite überschätzt werden (Social Media relativiert gerade massiv die Bedeutung von Google und co. Ein Trend der die nächsten fünf Jahre sehr stark sichtbar wird): Was ist die Alternative? Man kann leicht auf Nachteile des Vorgehens XY hinweisen. Das einzige, was man damit aber aufzeigt ist, dass Vorgehen XY nicht perfekt ist. Dass Google und seine Gewichtung nicht perfekt sind, dürfte jedem klar sein.
Sehen wir auch hier davon ab, dass eine perfekte Gewichtung nicht möglich ist, weil das letztliche Urteil zum Einen subjektiven Kriterien unterworfen ist (Anbieter A findet, dass seine Site oben stehen sollte, während Konkurrent B der Meinung ist, seine Site müsste ganz oben stehen) und zum Anderen in nicht wenigen Fällen die Quantität der Nennung/Verlinkung das einzige Kriterium zur Gewichtung ist. Sehen wir also von all diesen Umständen ab:
Was wäre eine Alternative zu Googles Vorgehen?
Die Antwort des FTD-Autors dürfte wohl in etwa wie folgt lauten: Statt dem Algorithmus, der die Quantität zählt, lassen wir Experten die Qualität bestimmen. Genau dieser Ansatz ist aufgrund der Masse des Webs gescheitert. (Yahoos von Menschen befülltes Verzeichnis war Googles Algorithmus-Ansatz hoffnungslos unterlegen.) Er würde aber wahrscheinlich auch nicht zwangsläufig zu 'besserer' Qualität führen: Immerhin haben Wirtschaftsexperten einer Wirtschaftspublikation den hier behandelten FTD-Artikel erscheinen lassen. Ein gutes Beispiel, das gegen von Experten besetzte hierarchische Institutionen spricht.
Peter Ehrlich meint weiter zu der von ihm diagnostizierten Tendenz zur Einförmigkeit:
Weil Google von Werbung lebt, darf die Firma diese Entwicklung nicht infrage stellen, sie wird sie im Rennen mit Facebook eher forcieren. Deshalb wäre es besser, die Suchmaschine würde in einen Verein oder eine Stiftung überführt, deren Ziel es ist, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren und zugänglich zu machen.
Ich fasse die Argumentation von Ehrlich zusammen: Google führt also zu weniger Konkurrenz. Das wiederrum führt zu Einförmigkeit. Weil Google von Werbung lebt, muss es diesen Weg zur Einförmigkeit aufrechterhalten.
Ich gestehe: Ich kann es nicht nachvollziehen. Ebenso wenig kann ich nachvollziehen, wie die Umwandlung der dahinterstehenden Organisation von einem profitorientierten Unternehmen in einen Verein etwas an dieser angeblichen Entwicklung ändern soll. (Wahrscheinlich musste die Werbung als Auslöser für das Festhalten von Google herangezogen werden, um das Argument des Google-Vereins überhaupt erst zu ermöglichen. Wir erinnern uns: Googles Fehler ist, den Kommerz an erste Stelle zu stellen.)
Der sich ebenfalls mit dem Text beschäftigende und lesenswerte Kommentar auf weissgarnix.de schließt mit folgenden Worten in Bezug auf den Ruf nach Umwandlung von Google in einen Verein:
Dass mag zwar der Seele des mit der Welt hadernden Kolumnisten schmeicheln, aber wie sich dadurch an der Selbstreferentialität der gesellschaftlichen Kommunikation, am Wirken von “Power-Laws” oder an “Winner takes it all”-Erscheinungen etwas ändern wird: die Antwort bleibt er schuldig.
Die Financial Times Deutschland reiht sich also neben dem Handelsblatt ein in die Reihe deutscher Wirtschaftspublikationen, in denen abstruse Artikel zur Internetwirtschaft erscheinen können, die völlig frei von Informationsgehalt sind.