13. Feb. 2012 Lesezeit: 2 Min.

"Generation Twitter"?

Christoph Kappes wundert sich auf Google+ angesichts diverser Artikel zu den ACTA-Demonstrationen:

"Generation Twitter"? Das ist der Begriff wieder, gestern schon auf faz.net. Wo kommt diese Sicht her? Ich habe jetzt die Daten nicht zur Hand, aber nach meiner Erinnerung ist... 1. Facebook Faktor mindestens Faktor 5 stärker (US-Zahlen, in D >10) und bei anderen pol. Aktivitäten auch als Werkzeug erfolgreicher 2. Twitter nur zu 1/3 von der Gruppe bis 29 Jahre genutzt 3. Das Phänomen der Politisierung nicht einseitig durch Werkzeug und Alter zu begreifen, sondern auch durch Bildungsgrad und Urbanität/Suburbanität besser zu fassen. Irgendjemand von den Social-Media-Spezialisten Anmerkungen zur sog. "Generation Twitter"?

I. Twitter ist ein Broadcastmedium, das besonders Journalisten anspricht. Also ist es demnach auch präsenter bei Journalisten (übrigens ebenso bei Bloggern) als es angemessen angesichts der tatsächlichen Reichweite in der Bevölkerung wäre, wie die Links von Felix Neumann in den Google+-Kommentaren z.B. unterlegen:

Zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen die JIM-Studie: 2011 gaben je nach Altersgruppe 5–10 % der Jugendlichen an, Twitter zu benutzen, zwischen 60 und 84 % Onlinecommunities (http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf11/JIM11_30.pdf) – davon wieder über 80 % Facebook (http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf11/JIM11_46.pdf)

Ähnliches war bei der Berichterstattung über den arabischen Frühling beobachtbar. Facebook war für die dortigen Aktivisten sehr viel wichtiger als Twitter (mehr unterschiedliche Aktivitäten und halb- bis komplett privat, ganz abgesehen von der Verbreitung). Twitter war aber wichtiger für uns im Ausland als Berichterstattungsmedium, deshalb unter anderem wurde es hier wichtiger wahrgenommen. Siehe dazu auch: Kommunikation und Organisation: Facebook, Twitter und Ägypten

II. Twitter ist zusätzlich für Nachrichtenartikel ein guter Verbreitungskanal. Da Nutzer von Dienst XY immer gern Artikel verlinken, in denen sie generationsdefinierend benannt werden, wird immer eher von der Generation Twitter die Rede sein als von der Generation YouTube o.ä., weil letzteres nicht entsprechenden Traffic über die benannte Plattform bringen wird. Man will ja auch seine Quote erreichen.

III. Man könnte wohlwollend "Generation Twitter" noch als eine möglichst knackige Umschreibung für die neuen Aktivisten auffassen. Weniger schwammig als "Generation Internet" und weniger altbacken als "Generation Web 2.0". SPON-Autor Ole Reißmann in den Google+-Kommentaren:

Es geht weniger um die genaue Demografie der Twitter-Nutzer, als vielmehr das, wofür sie stehen: Für eine aktive Internet-Nutzerschaft, die das Web als ihren öffentlichen Raum betrachtet, den sie zur Not auch verteidigt.

Das Problematische an dem Begriff bleiben die falschen Schlussfolgerungen, die man von außen ziehen kann:

Es ist eine fest eingrenzbare Gruppe von Menschen. Sie benutzen sogar den gleichen Internetdienst.

Wenn überhaupt, so scheint mir (und nicht nur mir), dann waren YouTube und  "YouTube-Stars" sehr viel entscheidendere Faktoren zur Mobilisierung vieler junger Demonstranten. Schade, dass es dazu keine näheren Erhebungen geben kann.

Genau genommen haben wir bei den Demonstrationen und der darüber hinausgehenden Organisation des Widerstands gegen Vorhaben wie ACTA und SOPA das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels vieler Dienste gesehen, deren jeweilige Stärken sich darauf auswirken, wer sie wie benutzt. Diese Ausdifferenzierung an Tools und Communities ist ausgesprochen spannend. Sie zeigt uns die ersten Ausläufer dessen, wie Demokratie in Zukunft aussehen wird.

Und das ist das vielleicht schwerwiegendste Problem mit der Twitterbesessenheit von Newsarbeitern, Journalisten wie Bloggern: Am Ende übersehen sie vielleicht gar, wie die Mehrheiten und die Massen im Internet tatsächlich zusammenfinden und mobilisiert werden.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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