10. Mai 2012 Lesezeit: 2 Min.

Geste statt Diskurs: Auch die ZEIT ist an keiner Debatte zum Urheberrecht interessiert

Nach dem unsäglichen Kampagnenjournalismus des Handelsblattes zum Thema Urheberrecht hat sich nun auch die ZEIT dazu herabgelassen, so zu tun, als wäre eigentlich mit dem Urheberrecht alles in Ordnung und nur ein paar versprengte Jugendliche und eine komische Partei wöllten uns mit Geiz unsere Kultur wegnehmen.

Der Verzicht auf Argumente und Inhalte hat beim Handelsblatt gut funktioniert, ich schrieb vor einem Monat:

Da jeder nur ein paar Sätze sagen kann und man sich dadurch auch regelmäßig wiederholt, ist es keine Auseinandersetzung mit dem Thema auf den sechs(!) Doppelseiten sondern eine reichlich inhaltslose Pose. So war es wohl auch angedacht: Geste statt Diskurs.

Also setzt man auch bei der ZEIT auf Geste statt Diskurs. netzpolitik.org:

Und wieder werden 100 prominente Erstunterzeichner, unter denen sich Leute wie Sven Regener, Charlotte Roche und Roger Willemsen befinden, aufgelistet. Unter der Überschrift “Wir sind die Urheber” findet sich die Unterzeile “Ein Aufruf gegen den Diebstahl geistigen Eigentums”.

Dirk von Gehlen hat in seinem Vortrag auf der re:publica Filesharing mit Regen verglichen und Menschen, die meinen, man könne dagegen argumentieren, mit solchen, die zwar in den Regen gehen, aber davon nicht nass werden wollen.

Dass das Diebstahl-Argument sich hält, dass dieses es 2012 sogar noch einmal in die Unterzeile des Titels eines Textes schafft, ist diskurstechnisch wirklich bemerkenswert. Gibt es in der ZEIT-Redaktion niemanden, der eine halbe Stunde mit der Recherche der Debatte verbracht hat? Niemanden, der einen Juristen oder anderen Experten befragt hat, der ihm oder ihr hätte erklären können, dass es weder juristisch noch ökonomisch um Diebstahl geht? Niemand, der in der ZEIT-Redaktion denkt, dass der Zweck vielleicht nicht die wahrheitsverzerrenden Mittel rechtfertigt und der Entscheidungsgewalt besitzt?

Auch die ZEIT beweist wie das Handelsblatt vor einem Monat: Die hierarchischen Organisationen, die etablierten journalistischen Institutionen also, scheinen nicht in der Lage, das Thema Urheberecht angemessen zu behandeln. Dazu sind sie zu tief in die industriellen Strukturen integriert, die auch auf die Anhäufung exklusiver Rechte setzt.

Wenn sie selbst betroffen sind, versagen sie bei ihrer demokratischen Aufgabe vollends. Die demokratische Aufgabe also, die sie immer vorschieben, wenn sie selbst exklusive Rechte ausweiten wollen. Stichwort Leistungsschutzrecht. So schließt sich der Kreis.

Der Begleittext kommt dieses Mal von Adam Soboczynski. netzpolitik.org zitiert:

“Der in diesem Zusammenhang behauptete Interessengegensatz zwischen Urhebern und ‘Verwertern’ entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft geben Künstler die Vermarktung ihrer Werke in die Hände von Verlagen, Galerien, Produzenten oder Verwertungsgesellschaften, wenn diese ihre Interessen bestmöglich vertreten und verteidigen.”

Die Annahme nur in den etablierten industriellen Strukturen ist Arbeitsteilung möglich, ist natürlich kompletter Unsinn.

Ein Gegenbeispiel von Hunderttausenden:  Die Musikerin Amanda Palmer hat über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter bereits über 600.000 US-Dollar für ihr Album-Projekt eingesammelt, während noch immer 21 Tage zum einsammeln des Geldes verbleiben. Nicht nur ist mit dieser Summe sehr viel Arbeitsteilung möglich. Diese Summe liegt auch um ein Vielfaches höher als sie für ihr Projekt jemals über die etablierten Strukturen bereitgestellt bekommen hätte.

Herr Soboczynski ist der Held, der 2009 unbefleckt von Wissen in der ZEIT mutmasste, dass sich die Intellektuellen im Internet künftig in Foren zurückziehen würden. Adam Soboczynski ist also entgegen seiner Eigenwahrnehmung so weit von einem echten Intellektuellen entfernt, dass es selbst für den deutschen Feuilletonbetrieb wieder bemerkenswert ist.

Insofern war er also wohl der perfekte Kandidat für den Begleittext.

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Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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