Die sogenannte Dotcom-Blase hat nach ihrem Platzen im März 2000 nicht nur vielen Kleinanlegern Geld gekostet, sie hat auch zu einem nuklearen Winter in der Internetwirtschaft geführt. Über viele Jahre haben Gründer von Webunternehmen keine Investoren für ihre Vorhaben begeistern können.
Erst um 2004 und 2005 hat sich das geändert. Mit dem Wort “Web2.0” und dem Aufkommen von neuen Diensten wie Flickr ging es wieder bergauf. Seit einigen Jahren investieren Risikokapitalgeber wieder mit immer größeren Summen in aufstrebende und etabliertere Webangebote.
Bis letztes Jahr war die einzige Möglichkeit für diese Investoren und Gründer, ihr eingesetztes Kapital und Aufwand mit Gewinn zurückzuerlangen, das Startup irgendwann an ein größeres Unternehmen zu verkaufen. Das eingangs erwähnte Flickr wurde zum Beispiel 2005 von Yahoo! gekauft.
Spätestens mit dem angekündigten Börsengang von Groupon und den Börsengängen von LinkedIn und dem personalisierten Webradio Pandora hat sich ein Weg wieder geöffnet, der seit 2000 für Webunternehmen mehr oder weniger geschlossen war. Mit diesen Börsengängen, und teilweise schon vorher, wurden die Stimmen in der Presse lauter, dass wir uns wieder in einer Spekulationsblase bei Webunternehmen befinden.
Zunächst: Was sind Spekulationsblasen? Das sind Marktsituationen, in denen die Preise, die bezahlt werden, weit über dem Fundamentalwert oder intrinsischen Wert der Güter liegt. (Der selbst immer nur eine Schätzung sein kann.) Bei Häusern wird der Verkaufswert mit der Höhe von Mieten verglichen. Bei an der Börse gehandelten Unternehmen wird der intrinsische Wert mehr oder weniger an den erwirtschafteten Gewinnen festgemacht. Solang ‘der Markt’ die Überbewertung nicht sieht, ist 'alles gut'. Sobald er ihrer bewusst wird, will jeder schnellstmöglich verkaufen, um seine Investitionen vor den fallenden Preisen zu retten: die Blase platzt.
Die Argumentation für eine neue Techblase geht in etwa so:
Viele der etablierten neuen Webdienste, wie etwa Facebook, Twitter oder Groupon, werden mittlerweile auf Sekundärmärkten zwischen privaten Investoren gehandelt. Diese sind nun der Angst zum Opfer gefallen, nicht genügend vom aktuellen Boom der im Wert steigenden Webunternehmen abzubekommen.
Die Folge: Risikokapitalgeber sind bereit, immer schneller zu immer höheren Bewertungen zu investieren. Die Unternehmen steigen im Wert von Finanzierungsrunde zu Runde durch gegenseitiges Aufschaukeln der Investoren stärker als gewöhnlich beziehungsweise als gerechtfertigt an und wenn sie schließlich an die Börse gehen, liegen die Bewertungen bereits weit über den Fundamentalwerten.
Facebook-Anteile etwa werden auf den Sekundärmärkten bei einer Bewertung von über 76 Milliarden US-Dollar zwischen Privatinvestoren gehandelt. Das liegt über dem Wert von Boing oder Ford, wie der Economist lakonisch feststellte - was aber nicht heißen muss, dass Facebook automatisch überbewertet ist. Die Fotosharing-Applikation Color hat noch vor dem Start des eigenen Produkts über 40 Millionen US-Dollar erhalten. Bis dato sieht es noch nicht danach aus, dass so viel Vertrauen im Vorfeld gerechtfertigt war. (Andererseits bleibt dem Unternehmen dank der hohen Summe genügend Zeit für Strategieverschiebungen und Experimente.)
2001 waren 100 Millionen Menschen online. Heute sind allein auf Facebook über 700 Millionen Nutzer aktiv. Nicht nur machen die neuen Webunternehmen Umsätze in einem Markt, der mit dem von vor zehn Jahren kaum vergleichbar ist, sie erleben auch enorme Wachstumsschübe in ihren Umsätzen. Der Facebookspielemacher Zynga sah 2010 ein Umsatzwachstum von 392 Prozent und könnte dieses Jahr eine Milliarde US-Dollar Umsatz machen. Zynga plant einen Börsengang mit einer Bewertung von 20 Milliarden US-Dollar.
Die Bewertungen sind nicht so verrückt wie sie um die Jahrtausendwende waren. Die Marktführer im Technologiesektor, Google und Apple, liegen in ihrem Kurs-Gewinn-Verhältnis sogar unter dem Durchschnitt - und das obwohl zum Beispiel Apple die Gewinne in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr um über 90 Prozent steigern konnte. Dank Open Source und billiger Infrastruktur wie AWS sind die Kosten für Startups enorm gesunken und sinken weiter während gleichzeitig das Marktvolumen teilweise drastisch zunimmt.
Das führt zu enormen Wachstumsraten wie etwa bei Zynga, was wiederrum dazu führt, dass es sinnvoll sein kann, heute zu einem nach traditionellen Masstäben zu hohem Wert zu investieren - immerhin geht man von rasant wachsenden Gewinnen aus. Das Wachstumsszenario führt auch dazu, dass ein Unternehmen wie Groupon zwar Verluste macht, aber diese auf laufende Investitionen zurückzuführen sind. Deren Einstellung würde sofort zu Gewinnen führen, weil Groupon Cashflow-positiv ist. Unternehmen in ungewöhnlichen Wachstumsmärkten müssen anders bewertet werden als solche in traditionelleren Umgebungen. Ob das nun nach einem zweiten 1999 klingt oder nach einer Aussage, die noch auf dem Boden der Tatsachen verhaftet sein kann, muss jeder selbst entscheiden.
Ex-Google-CEO Eric Schmidt fasst das so zusammen:
So you have a couple choices A) The revenue growth possibility on these platforms is so large that you could get the kind of revenue acceleration that justifies the valuations. B) You have a liquidity squeeze where you don’t have enough shares, and they’re artificially high.
Das Problem: Niemand weiß, was ein Unternehmen wie etwa das jüngst an die Börse gegangene LinkedIn wert ist. Sicher ist also nur eins: Die immer bestehende Casinohaftigkeit der Börse wird mit den aktuellen Börsengängen im Technologiesektor eher noch zunehmen, da die unbekannten Variablen hier heute noch mehr schwanken als in anderen Märkten. Das sollte jedem bewusst sein. Das heißt aber nicht, dass automatisch jeder verliert und dass die hoch erscheinenden Bewertungen auch wirklich immer zu hoch sind.
Marc Andreesen (Netscape, Ning, VC-Firma Andreesen-Horowitz) etwa sieht die aktuellen Technologie-Aktien weit unter Wert:
I’m certainly not an investment adviser, but on a 30-year basis, these things are cheap. If you compare how big industrial companies like G.E. are valued compared with big tech companies like Microsoft, Cisco, Google and Apple, tech stocks have never been valued more poorly in comparison. So not only is there no bubble — these prices are reflective of the fact that the market still hates tech. This bubble talk is about everybody being unbelievably psychologically scarred from 10 years ago.
Die Internetwirtschaft befindet sich meiner Ansicht nach eher nicht in einer Blase wie 2000. Aber das könnte bald alles wieder anders aussehen, wenn Facebook in einem Jahr seinen geplanten Börsengang vollführt und alle Schleusen öffnet.
Vielleicht wird 2011 im Rückblick wie ein zweites 1999 betrachtet. Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren auch kollektiv die Hand an die Stirn schlagen, weil das was heute als überbewertet angesehen wird, in Wirklichkeit extrem günstig war - wie Google seinerzeit zum Börsengang. Wissen kann man das heute aber nicht mit Sicherheit. Letztlich wissen nicht einmal die smartesten Investoren der Welt, was die Zukunft bringen wird.
(Foto: Ali Smiles, CC-Lizenz)