22. Okt. 2012 Lesezeit: 5 Min.

Google-Krieg der deutschen Medien: Die Masken sind jetzt gefallen

Zu den vielen bemerkenswerten Aspekten des geplanten Presseleistungsschutzrechts, das ein Lobbyvorstoß der Springer AG und ein von unabhängigen Rechtsexperten mehrheitlich abgelehnter Gesetzesvorschlag ist, gehört die kritiklose, oft teilweise ins Groteske abgleitende Berichterstattung in eigener Sache in fast allen deutschen Printmassenmedien.

Sie zeigen damit unwillentlich auf, wie schlecht eigentlich kommerziell orientierte Massenmedien für die öffentliche Meinungsbildung und damit als Stützen der Demokratie geeignet sind.

Das jüngste Beispiel ist ein Artikel von Jürg Altwegg in der FAZ mit dem Titel "Frankreichs Google-Krieg: Die Masken sind jetzt gefallen" über den Streit zwischen Google und der französischen Regierung.

Zitieren wir ihn, solang wir das noch dürfen. Jürg Altwegg beginnt seinen Artikel so:

Nach dem Vorbild des deutschen Leistungsschutzrechts will Paris die amerikanische Suchmaschine an der Finanzierung der Inhalte, die sie vertreibt, beteiligen. Allerdings gehen die französischen Pläne weiter als das uns bekannte Leistungsschutzrecht.

a.) Google "vertreibt" weder als Suchmachine noch als Aggregator mit Google News Inhalte. Das Unternehmen verweist auf Inhalte.

b.) Herr Altwegg suggeriert in den beiden Sätzen, das in Deutschland geplante Leistungschutzrecht für Presserzeugnisse sei bereits eine Sache in trockenen Tüchern, ein fertiges Gesetz, eben "das uns bekannte Leistungsschutzrecht". Es stimmt zwar, dass die Bundesregierung den aktuellen Gesetzesentwurf umsetzen will, aber es hat noch nicht einmal eine Anhörung im Bundestag zu diesem geplanten Gesetz gegeben. Es existiert noch immer nur ein Gesetzesentwurf.

"Das uns bekannte Leistungsschutzrecht" - Mit Formulierungen Tatsachen schaffen.

Frankreich plant nun ähnliches wie bei uns geplant ist. Ein von Google Frankreich zur Veröffentlichung geplantes Schreiben, in dem mit der Entfernung der Inhalte der französischen Presseverlage aus den Angeboten von Google gedroht werden sollte, gelangte vorzeitig an die Öffentlichkeit.

Jetzt das Bemerkenswerte: Jürg Altwegg schreibt diesbezüglich von Boykott seitens Google:

Diese Boykottdrohung schlug wie eine Bombe ein.

Wieso ist es Boykott, auf die Erbringung einer Leistung zu verzichten, für die man an jemand anderes bezahlen soll?

Wenn es Presseverlagen frei stehen soll, für das Aufgeführtwerden ihrer Inhalte in Google bezahlt zu werden, dann muss es im Umkehrschluss auch Google und jeder anderen Suchmaschine frei stehen, auf diese zahlungspflichtige Integration der Inhalte dankend zu verzichten.

Warum sollte die Entscheidung, Presseinhalte teuer auffindbar zu machen, den Suchmaschinen nicht offen stehen?

Kann es sein, dass diese Argumentationslinie der Presseverlage und ihrer Verteidiger einer kritischen Betrachtung nicht standhält?

Herr Altwegg in der FAZ weiter über die Argumente von Google:

Eigentlich müssten diese froh sein, dass Google für die Milliarden von Clicks kein Geld von ihnen verlangt. Völlig absurd sei es, die Suchmaschine an den Kosten zu beteiligen: „Das ist so grotesk wie die Vorstellung, dass ein Taxifahrer, der seinen Kunden in ein Restaurant fährt, dem Wirt dafür etwas bezahlen soll.“

Doch Google ist kein Gratistaxi - sondern ein Schwarz- und Trittbrettfahrer.


Nun kann man durchaus der Meinung sein, dass das Verhältnis zwischen Suchmaschine und indizierter Website mit altbekanntem Taxifahrer und Restaurant nicht zu vergleichen sei.

Aber: Inwiefern ist Google hier konkret ein Schwarz- und Trittbrettfahrer? Jürg Altwegg erklärt seine Interpretation nicht weiter. Es ist ein hingeworfener Satzbrocken.

Trittbrettfahrer bereichern sich an der Arbeit anderer, ohne zurückzugeben. Wer so das Verhältnis zwischen Google und Presseverlagen beschreibt, hat entweder nie einen Blick in die Referrerstatistiken von Presseangeboten geworfen oder verdreht bewusst die Realität.

Schwarzfahrer handeln wie Trittbrettfahrer, dabei allerdings sogar illegal. Wer so das Verhältnis zwischen Google und Presseverlagen beschreibt, hat entweder keine Ahnung vom geltenden Recht und der deutschen Rechtsprechung (Google verhält sich dem deutschen Recht entsprechend) oder verbreitet bewusst die Unwahrheit; oder suggeriert weiter, dass ein geplantes Gesetz bereits Gesetz ist (oder will einfach begründungsfrei denunzieren).

Die Interpretation von Herrn Altwegg als gewagt zu beschreiben, ist also untertrieben. Dass er sie im Artikel nicht weiter ausführt, überrascht nicht. Sie ist substanzlos.

Aber auch in Frankreich ist man um substanzlose Äußerungen nicht verlegen.

Der Herausgeber des linken „Nouvel Observateur“, Laurent Joffrin, macht eine andere Rechnung auf: „Innerhalb von zehn Jahren konnte Google beim Umsatz um eine Milliarde Euro zulegen. Jedes der Unternehmen, die den Inhalt produzieren, ist um den gleichen Betrag zurückgegangen.“

Was für eine grandiose implizierte Milchmädchenrechnung, die von einem Wirtschaftsverständnis eines Zwöfljährigen zeugt: Jeder Euro, der Presseverlagen verloren geht, wandert 1:1 zu Google, das selbst wiederum nichts zurückgeben will.

Was man dazu ein weiteres Mal sagen könnte:

1.) Märkte sind selten Nullsummenspiele. Der Werbemarkt ist erst recht keines. Nicht einmal ansatzweise.

2.) Google verdient sein Geld nicht mit Werbung neben Links zu Artikeln über den Irakkrieg oder die EU-Krise. Google verdient sein Geld mit Werbung bei transaktionsgetriebenen Suchen, also etwa bei Suchen zu Autos, Versicherungen oder Finanzprodukten. Das ergibt nicht nur aus einem mit gesundem Menschenverstand angetriebenen Blickwinkel Sinn. Das kann man auch überprüfen, indem man sich die über Auktionen ermittelten AdWords-Preise für die entsprechenden Keywords anschaut.

3.) Diese Tatsachen sind Allgemeinwissen für ansatzweise Interessierte zu aktuellen Wirtschaftsthemen und besonders zum seit Jahren stattfindenden Medienwandel. Und sie wurden in den letzten Jahren hier und anderenorts immer wieder thematisiert.

4.) Habe ich einen Schlaganfall? Ist das Gerät hier an?

Es ist vollkommen egal, wie man zu Google steht, um dieses Schmierentheater als solches wahrzunehmen. (Ich stehe diesem Konzern, dessen beste Zeit meines Erachtens schon länger hinter ihm liegt, ausgesprochen kritisch gegenüber.)

Noch einmal zurück zu dem Standpunkt, Google dürfte die Inhalte der Presse nicht entfernen:

Welches Ausmaß an Arroganz ist notwendig, um einerseits die Bezahlung für die Einträge der eigenen Inhalte im Suchindex zu verlangen und andererseits aber der Suchmaschine untersagen zu wollen, auf diese kostenpflichtigen Einträge zu verzichten?

Wie kann ein intelligenter Mensch hinter dieser Forderung nicht die mafiöse Argumentation sehen?

Oder kann er das, zieht aber aus egoistischen Gründen vor, ein anderes Bild zu zeichnen? Wäre das möglich?

Und: Wie lautet die ökonomische Begründung, für eine Leistung bezahlt werden zu wollen, auf deren Früchte man selbst auf keinen Fall verzichten will? Könnte es sein, dass man dann selbst so viel Nutzen aus dieser Beziehung zieht, dass auf einem Markt, auf dem beide Parteien über den Preis verhandeln und bei Nichtübereinkunft verzichten, der Preis für das Indizierendürfen der Inhalte auf Null sinken würde? (Oder wäre es gar möglich, dass Google sich bezahlen lassen könnte, weil es so viel Nutzen stiftet? Also so, wie es bei der Shoppingsuche von Google bereits der Fall ist?)

Ein DJV-Mitarbeiter hatte im März 2012 gefordert, dass Google bezahlen soll und wehe, wenn sie es wagen, auf die kostenpflichtigen Inhalte zu verzichten: Den Verzicht untersagen wir ihnen einfach, war seine Lösung. Ich schrieb damals daraufhin:

Was bereits für Google abwegig klingt, wird für kleinere Anbieter komplett grotesk: Wer hierzulande ein Suchmaschinenangebot oder einen Aggregator anbieten will, soll gezwungen werden, die [für ihn] kostenpflichtigen Inhalte der deutschen Presseverlage zu integrieren?

Muss man die Konsequenzen dieser Groteske wirklich ausformulieren?


Warum gibt es in den Qualitätsmedien wie der FAZ keine Debatte über die Folgen des Standpunktes, Google solle zum zahlen gezwungen werden?

Soll nicht das Feuilleton der Platz sein, an dem die Intelligenz des Landes ihre Positionen herausarbeitet und intellektuell jede Konsequenz zu Ende denkt? 'Was würde denn passieren, wenn unsere Forderung 'A' umgesetzt wird? Spielen wir das einmal durch.'

Reicht es nur noch für 'Jetzt hauen die Franzosen auch drauf. Das können wir für Stimmungsmache in eigener Sache nutzen!'?

Denkt hier jemand mit? Ist das hier an?

Noch einmal: Die schamlosen Unverschämtheiten von Publikationen wie der FAZ beim Thema Presseleistungsschutzrecht zeigen, dass die kommerziellen Massenmedien eher schlecht als recht als Basis für eine tatsächliche demokratische Meinungsbildung geeignet sind, die alle Partikularinteressen einer Gesellschaft deren Bedeutungen entsprechend einbezieht.

Das ist keine neue Erkenntnis, aber sie wird umso deutlicher sichtbar, wenn die Medien im eigenen Interesse berichten.

(Aber was denn dann sonst als Basis, könnte der interessierte Leser nun fragen. Die Antwort kann man (unter anderem) in Yochai Benklers "The Wealth of Networks" nachlesen und heißt 'vernetzte Öffentlichkeit'.)

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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