5. Juni 2024 Lesezeit: 13 Min.

Nexus 210: Ramp und Vertikalisierungspotenzial dank KI, DuckDuckGo Chat, Neues Mindset für KI-Regulierung gefragt

Nexus 210: Ramp und Vertikalisierungspotenzial dank KI, DuckDuckGo Chat, Neues Mindset für KI-Regulierung gefragt

Hi,

das ist kein Finanztipp, aber hätte ich Zoom-Aktien, würde ich persönlich diese nach der Äußerung des Zoom-CEOs über KI-Klone in Online-Meetings wohl vorsichtshalber verkaufen. Was für eine bizarre, fantasielose Aussage. (siehe The Verge)

Marcel

Im Fokus dieser Ausgabe:

  • Wertschöpfungsnetzwerke & Ökosysteme in der Robotik
  • Auch DuckDuckGo experimentiert mit LLMs
  • KI ist schon im deutschen (Lokal-)Journalismus angekommen
  • U.a. Fintech-Plattform Ramp kann mit generativer KI größeres Vertikalisierungspotenzial ausschöpfen
  • Windows Recall weist erhebliche Sicherheitslücken auf, da es sensible Daten unzureichend schützt und ein attraktives Ziel für Angreifer darstellt.
  • Neues Mindset in der Regulierung gefragt: EU sollte sich darauf konzentrieren, die „echte“ Nachrichten zu stärken, anstatt zu versuchen, die Erstellung von KI-gestützten Fälschungen zu regulieren, was nur global Sinn ergeben würde.
  • Die neue Seidenstraße
  • und mehr

Zitat des Tages

Words have been rendered devoid of meaning and reduced to pledges of allegiance to a tribe. I start reading what people are saying and often wind up feeling isolated and exhausted. I don’t belong to any of the tribes nor would I want to. But the effort required to maintain internally consistent and intellectually honest positions in such an environment is daunting. And it often seems futile.

But I don’t give up easily. And I have started to miss writing here so much that I will figure out how to resume it. I am writing as much for myself as for anyone who may feel similarly distraught at the state of discourse.

Albert Wenger in I Miss Writing Here. (Wenger ist Managing Partner bei Union Square Ventures (u.a. unter den ersten Investoren in Twitter, Tumblr & Etsy))


Themen der vorherigen Mitglieder-Ausgabe

Nexus 209: Warum TikTok Shop Europa zurückstellt, OpenAI beginnt den Enterprise-Markt dicht zu machen (+ Folgen), Offene Fragen zu Mediendeals von OpenAI

Das Nexus-Briefing erscheint zwei Mal pro Woche, einmal öffentlich (Dienstags oder Mittwochs) und einmal für Mitglieder (Freitags).


Exchanges #350: Wie ticken die neuen 100-Milliarden-Player?

Exchanges #350: Wie ticken die neuen 100-Milliarden-Player?:

Wie(so) entstehen gerade so schnell so viele große neue E-Commerce-Player? Jochen Krisch und Marcel Weiß sprechen in den neuen Exchanges über die zunehmende Zahl von 100-Milliarden-Playern. Wie ticken sie und worin unterscheiden sie sich in ihrem Vorgehen und ihren Businessmodellen von anderen großen Plattformen?

Mit den neuen chinesischen Marktplätzen als globale Player kommt Einiges auf uns zu. In den Exchanges haben wir darüber gesprochen, wie sie ticken.

Das Erstaunlichste aus westlicher Sicht könnte sein, dass die eingesetzten Summen für den Aufbau der internationalen Geschäfte zwar hierzulande nach viel klingen, aber für chinesische Konzerne das nicht zutreffen muss und teilweise wie bei Temu-Mutter PDD aus dem Cash Flow finanziert wird. (Temu soll um die 2 Milliarden $ weltweit in Onlinewerbung 2023 gesteckt haben.)

Siehe zum Thema auch die Kategorie Onlinehandel unten.


🤖 KI

Software und Wertschöpfungsnetzwerke in der Robotik

Darüber habe ich im dieswöchigen FAZ-Briefing geschrieben: Maschinenbau: Jetzt kommen die Software-Ökosysteme der Robotik

Ich gehe im Text auf verschiedene Beispiele ein, unter anderem Medbot, das die Verteilung von Medikamenten in Kliniken erleichtern kann, aber nur wenn diese mit Software steuerbare Aufzüge haben..

Ich weiß nicht warum (naja), aber in meinen FAZ-Texten schreibe ich nicht nur überraschend oft über den Maschinenbau sondern auch über die Gefahr, die von China für die deutsche Wirtschaft ausgeht. Meine Befürchtungen wachsen leider mit jeder Recherche.

Neben Shenzhen Inovance schreibe ich im Text auch über Tiangong, eine offene, auf Kollaboration ausgelegte Plattform der chinesischen Regierung für die Massenproduktion humanoider Roboter (jfc):

Diese Plattform wird die Basis werden für die erste Massenproduktion von humanoiden Robotern in China, die bereits 2025 losgehen soll. So zumindest sieht der aktuelle Plan der chinesischen Regierung aus. [...]

China will nicht, wie beim iPhone und so vielen anderen Hightechgeräten, „nur“ die globale Fertigungsstrecke sein. Sie wollen das Metall biegen, aber auch die Intelligenz selbst herstellen und einbauen. Dafür denken sie die wichtigste Stelle, die Softwareseite, aus Netzwerksicht und setzen auf Open Source. Open Source erlaubt die engmaschigste, vielfältigste Art von Wertschöpfungssystem. In der Tech-Sprache wird es oft „Ökosystem“ genannt.

Ob sie das schaffen, ist sehr offen. Aber zumindest haben sie die dem Thema angemessenen Ambitionen und verfolgen sie auf eine logische nachvollziehbare Art.

International sprechen viele Analyst:innen zunehmend allgemein von der steigenden Bedeutung von „Developer Relations“. Sollten wir in Europa auch tun.

DuckDuckGo hat AI Chat, redet aber kaum darüber

DuckDuckGo experimentiert mit einer Chat-Suchfunktion. Die hat es noch nicht in die offiziellen Produktupdates geschafft. Nur auf Reddit haben sie es vor 4(!) Monaten verkündet.

Zur Auswahl stehen aktuell folgende Modelle:

  • GPT-3.5 Turbo
  • Claude 3 Haiku
  • Llama 3 70B
  • Mixtral 8x7B

Die Funktion ist recht rudimentär und entbehrt nicht einer gewissen Komik in ihrem aktuellen Stand.

Der Chat hat es, so weit ich sehen kann, noch nicht in die offiziellen Produktupdates geschafft.

Ein Grund dürfte darin liegen, dass eine signifikante Zahl an online kommentierenden Menschen ihren Verstand verloren haben, was diese Themen angehen. Da hält man lieber still.

Als jemand auf Mastodon fragte, was diese Funktion DuckDuckGo bringen würde, war meine Antwort:

Was würde es ihnen bringen, aus ideologischen Gründen auf Experimente mit LLMs zu verzichten?
Ideologie ist der einzige Grund diese Richtung der Produktentwicklung a priori auszuschließen.

Letztes Jahr hat meine bevorzugte Notizenapp NotePlan eine Funktion eingeführt, bei der man seine Notiz (etwa eine Todo-Liste) einsprechen und per Whisper transkripieren und per GPT-4 umschreiben, etwa formatieren lassen kann.

Im zugehörigen Discord-Forum beschwerte sich jemand, warum dieses Feature eingebaut wurde. Eine Funktion, die das UI nicht komplexer macht, optional ist und so eingerichtet ist, dass nur bei Benutzung der Funktion jene eingegebenen Informationen an OpenAI für Verarbeitung geschickt werden, was explizit kommuniziert wird. Das war eine klar schlagzeilengetriebene Reaktion, die so bei keiner anderen Funktion auftreten würde aus diesen Gründen.

Wir sehen bei KI die Fortsetzung der Fanboy-Auseinandersetzungen. Nur dass es dieses Mal nicht um Windows vs. Mac oder iPhone vs. Android geht sondern um „Meine Identität fusst auf einer Abwehrhaltung gegen KI, warum deine nicht.“

Der Fachbegriff für dieses Verhalten ist: Bananas.

Da KI/ML/LLMs eine offensichtlich nützliche Technologie sind, die zusätzlich nicht nur disruptiv sondern oft auch sustaining ist, führt die fortschreitende Implementierung zu zunehmend schrilleren Reaktionen.

Siehe dazu auch: Temperatur in der KI-Debatte in Nexus 208

KI im deutschen Journalismus

Tolles Interview mit Jakob Vicari im Journalist: "Für Journalisten Kann KI Zur Superkraft Werden"

Über den Europäischen Reflex:

Und wir können wieder die übliche Entwicklung beobachten, die es bei neuen Technologien immer gibt: Die Europäer diskutieren und die Amerikaner nehmen Geld in die Hand und machen einfach. Im Zweifel lösen sie die Fragen, über die wir noch diskutieren. Oder sie lösen rechtliche Verstöße im Nachhinein mit Geld. Mich beunruhigt auch, dass viele Entscheider:innen in unserer Branche KI als Spielerei sehen. So wie man das Internet oder Social Media-Plattformen zu Beginn unterschätzt hat.

Erstaunlich finde ich seine Einordnung, wie rasant allgegenwärtig KI im deutschen Journalismus geworden sein soll:

Ich habe den Eindruck, dass generative KI in allen Redaktionen benutzt wird, um Texte besser zu machen. Alles wird glatt, ich stolpere nicht mehr beim Lesen. Bemerkenswert, wie Redaktionen damit auch neue Services und Produkte entwickeln: Zeit Online hat zum Beispiel eine KI gebaut, mit der ich die Artikel der letzten 30 Tage befragen kann. [...]

Natürlich sind durch KI auch Jobs verschwunden. Wie viele Lokalzeitungschef:innen haben mir schon erzählt, dass es bei ihnen nun kein Lektorat mehr gibt? Aber grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass KI in den Redaktionen zu ganz viel neuer Kreativität führt: Ich lese bessere Überschriften, bessere Einstiege und kreativere Drehs.

Das finde ich ehrlich überraschend.

Ramp, Ramp Travel und die Frage des Vertikalisierungspotenzials mit genKI

In Not Boring schreibt Packy McCormick über Ramp und das Potenzial von KI-Agenten im Enterprise-Sektor. Es ist etwas langatmig, aber lesenswert.

Ramp ist eine umfassende Fintechplattform für Unternehmen, die Unternehmen durch automatisierte Ausgabenverwaltung, Echtzeit-Analysen und nahtlose Integration mit Buchhaltungssoftware dabei unterstützt, ihre finanziellen Abläufe zu optimieren und Kosten zu senken. -> Ramp

Ramp beginnt beim integrierten Ansatz ganz unten bzw. direkt am Fintech-Kern. Im Gegensatz zu anderen Lösungen baut Ramp auf die eigene Visa-Kreditkarte auf. Wer Ramp nutzt, gibt seinen Mitarbeitenden die Ramp-Visa-Corporate-Card für Ausgaben.

Ramp Travel ist eine erste Vertikalisierung dieses Modells. Es ist eine integrierte Lösung, die Geschäftsreisen durch automatisierte Buchungen, Ausgabenüberwachung und die Nutzung von Pricelines globalem Inventar effizienter und kostengünstiger gestalten soll. -> Ramp Travel

McCormick:

Now that I have access to Ramp Travel, I don’t see why I would book anywhere else. It saves me time and money.

Zusammengefasst: Integrierte Ausgabenverwaltung:

  1. nach unten vertikalisiert mit Visa
  2. Rechnungsverwaltung, Budgets etc. als Kernausgangslage
  3. Von (1) und (2) ausgehend nach oben vertikalisieren/integrieren, wie am Beispiel der Geschäftsreisen

McCormick sieht im nächsten Schritt, dass alles, was unter (3) fällt, mit den technologisch neuen Möglichkeiten durch generative KI, vor allem durch langsam kommende KI-Agenten (also teil-/autonom Aufgaben erfüllende Software), die Vertikalisierung eines Modells wie Ramp noch sehr viel weiter gehen lassen wird als es heute möglich ist.

Der Punkt hier ist die reibungslose All-in-one-Lösung für die B2B-Kunden als USP, deren allgemeines Potenzial dank LLMs kontinuierlich anwächst.

McCormick:

There’s one idea that SaaS companies are at risk because anyone will be able to make great software. I think the more likely outcome in B2B will be that point solutions – software products that do one thing – are more at risk from integrated platforms that can more easily bundle point solutions into their platform, making their whole offering more valuable as they do. [...]

In a recent series of conversations with Ramp customers, Sands Capital found that “there was a loud and clear desire (1) to consolidate even more parts of the finance stack and (2) for Ramp to be that consolidation partner.” [...]
By combining credit cards and expense management, for example, Ramp is able to automatically match receipts to transactions in a way that Expensify can’t without the credit card.

Ich sehe hier sowohl Argumente, die diese Position stützen, als auch Argumente, die dagegen sprechen. Aber ohne detailliert jetzt in hypothetische Szenarien einzusteigen, scheint mir vor allem hervorhebenswert, dass niemand in der B2B-Branche (oder anderswo) aktuell weiß, wo die Grenzlinien letztlich verlaufen werden.

Auch deshalb sind so viele in der Wirtschaft so aufgeregt beim Thema KI.

Solang die Ungewissheiten bleiben, so lange das Playbook nicht steht, bleiben die Scheunentore der Märkte weit offen.

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Das Sicherheitsproblem von Windows Recall

Ein Abonnent schrieb mir nach Nexus 206, warum ich das Sicherheitsproblem bei Recall so groß und zentral sehe.

Ich sehe die Gründe für mein Entsetzen in zwei Aspekten:

  1. Bessere Angriffe: Einerseits in der Zunahme der Werkzeuge bei den Angreifern. Besonders etwa Social Engineering wird kurz- und mittelfristig einfacher werden. Hinzu kommt, dass LLMs das gezielte Durchwühlen großer Datenmengen enorm vereinfacht.
  2. Attraktivität: Eine Sammelstelle für Informationen aller Art wie die Recall-Datenbank ist der heilige Gral eines jeden Angreifers.

Aus beidem zusammen folgt, dass ein Unternehmen wie Microsoft bei der Vorstellung eines solchen Features 90 Prozent der Zeit damit zubringen sollte, über die Security-Überlegungen und Aspekte zu sprechen. Weil diese im Zentrum der Architektur stehen sollten.

Ist das nicht der Fall, ist das ein sehr großes Warnsignal.

Wir sehen bereits, dass Microsoft hier nicht mit der angemessenen Sorgfalt heranzugehen scheint.

ArsTechnica konnte Recall auf Windows 11 aktivieren und testen. Ergebnis: Wenn sie sich als ein anderer Windows-Benutzer anmeldeten, konnten sie auf die Datenbank und die Screenshots von Recall zugreifen.

Data is encrypted at rest, sort of, at least insofar as your entire drive is generally encrypted when your PC is either signed into a Microsoft account or has Bitlocker turned on. But in its current form, Beaumont says Recall has “gaps you can drive a plane through” that make it trivially easy to grab and scan through a user’s Recall database if you either (1) have local access to the machine and can log into any account (not just the account of the user whose database you’re trying to see), or (2) are using a PC infected with some kind of info-stealer virus that can quickly transfer the SQLite database to another system.

Da Recall auf keine zusätzliche Verschlüsselung neben der Windows-eigenen Verschlüsselung der Daten auf der Festplatte setzt, ist es auch angreifbar für Viren. Diese sind wiederum kein neues Thema für Windows.

The SQLite database is stored in plain text, and data in transit isn’t encrypted, either, making it trivially easy to access both the stored database of past activity and to monitor new entries as Recall makes them. Screenshots are stored without a file extension, but they're regular old image files that can easily be opened and viewed in any web browser or image editor.

Die aktuellen Default-Einstellungen sind ebenfalls kontraproduktiv, to say the least:

The other big problem is that because Recall is on by default and you have to manually exclude specific apps or websites from being scraped by it, the SQLite database will keep records of activities that are explicitly meant to be hidden or temporary.

Nochmal: Recall ist eine konstant laufende Protokollierung der Aktivitäten. Sprich also auch hochsensible, private Daten, wie Chat, private Fotos, etc., wenn diese nicht explizit ausgeschlossen werden.


⚖️ Regulierung

KI-gestützte Fälschungen und Regulierung

Algorithmwatch hat Midjourney, Dall-E und StableDiffusion auf die Erstellung von gefälschten Bildern von Politiker:innen getestet und EU-Kandidatinnen zu den Ergebnissen befragt. Photoshop und Word wurden nicht getestet.

OpenAI bricht eigene Regeln: Generatoren produzieren täuschende KI-Bilder zur EU-Wahl - AlgorithmWatch:

Für Carola Rackete, die als Spitzenkandidatin für Die Linke -- GUE/NGL ins Rennen geht, ist es nicht entscheidend, ob die Bilder realistisch sind oder nicht: „Bei real existierenden Personen, die keine Zustimmung erteilt haben, sollten KI-Systeme überhaupt keine Bilder generieren und deren Erstellung ablehnen." [...]

Svenja Hahn, Alexandra Geese und Carola Rackete bezweifeln, dass eine Selbstregulierung und die von Bildgenerator-Anbietern angekündigten Schutzmaßnahmen viel bringen werden. Hahn hält den AI Elections accord prinzipiell für einen wichtigen Schritt -- ein Abkommen zur Erkennung und Bekämpfung irreführender Inhalte, die von KI erzeugt werden, das 24 führende Technologieunternehmen im Februar unterzeichnet haben. Allerdings glaubt sie nicht daran, dass es auch umgesetzt wird. Alexandra Geese ist insgesamt eher desillusioniert: „Wirklich effektiv sind freiwillige Instrumente bisher nie gewesen." Carola Rackete hält es für „ein Problem, dass die von den Anbietern selbst beschlossenen Maßnahmen gar nicht bindend sind und ihre Nicht-Einhaltung auch keinerlei Konsequenzen hätte."

Alle, sowohl Algorithmwatch als auch die befragten EU-Kandidatinnen, verhalten sich so, als würden sie über ein Rundfunksystem mit einer Handvoll Kanäle und ein, zwei faulen Äpfeln darunter sprechen, die man irgendwie mit Regeln einfangen müsse.

Das eigentliche Problem ist, dass Menschen mit, sagen wir, unehrlichen Intentionen Technologien benutzen können, die von der EU nicht reguliert werden können.

Freundlicher Hinweis: Social Media, von YouTube über TikTok bis Telegram, wird in der EU konsumiert und ist global verfügbar. Das Gleiche gilt für Websites.

Anderes Mindset für Regulierung: Es wäre sehr an der Zeit, dass die EU anfängt, darüber nachzudenken, wie Regulierung Dinge ermöglichen kann, statt Dinge aufzuhalten. Manches lässt sich schlicht nicht aufhalten. Das ist auch offensichtlich, wenn man den globalen Blick aufsetzt und pragmatisch auf die aktuellen Entwicklungen schaut.

Wer dem vorherigen Absatz nicht zustimmt, (also für alle Bananas-Leute) hier Food for Thought:

  • Wie können EU-Regeln in Indien, China, den Arabischen Emiraten, in Asien und Afrika so durchgesetzt werden, dass z.B. KI-gestützte Fakes dort nicht mehr erstellt werden können? Wie soll das gehen?
  • Darf das dann auch umgekehrt gelten? Also indische und chinesische Regeln für die EU?
  • Wie soll Open Source in diesem Kontext global kontrollierbar werden? (Und was wären die Opportunitätskosten?)
  • Was nutzt die heimische Regulierung, wenn das postulierte Ziel global nicht erreichbar ist?
  • Also was ist der ganz konkrete Effekt der geforderten Regulierung? Erreicht dieser Effekt realistisch das gewünschte Ziel? Kommt er dem Ziel überhaupt näher?

Die aktuellen Argumentationslinien in Medien als auch in der Politik sind mehrheitlich realitätsfern, weil sie nicht komplett durchdacht werden.

Besser stattdessen:

Fakes sind jetzt schon allgegenwärtig, sie werden ‚nur‘ einfacher, schneller und besser erstellbar. Regulierung sollte sich auf die strukturelle Stützung „realer“ News und Medien konzentrieren. („real“ mangels besserer Wörter)

Hier auch wieder Vicari im oben erwähnten Interview:

Das ist ein Wettlauf zwischen Fälschern und Aufdeckern. Wir müssen eine eigene Infrastruktur gegen Fakenews aufbauen. Es wird ja seit langem diskutiert, ob wir KI-basierte Texte kennzeichnen müssen und ich finde: Wir müssen kennzeichnen, was echte Menschen produziert und überprüft haben. Made by Human Brains. Ich bin sicher, dass wir Fake News an sich nicht aufhalten können. Auch nicht durch irgendeine Regulierung. Wir Journalisten müssen uns hier hervortun, indem wir nicht einfach ohne Ende Content veröffentlichen, sondern wirklich geprüfte, vertrauenswürdige Inhalte liefern. Ich glaube, Vertrauen bleibt das Erfolgsgeheimnis für den Journalismus.

Wie stärken wir die Informationsgesellschaft in einem Meer aus Fakes. Wir müssen die „Echtheit“ stärken, damit sie vom Fakes-Meer nicht weggespült wird.

Die Frage also, über die wir reden sollten, die wir EU-Kandidat:innen und alle anderen im Politgeschäft stellen sollten und für die von Expert:innen Lösungsansätze kommen müssen: Wie kann das effektiv aussehen?

Wer jetzt mit Subventionen für Presseverlage kommt, wird mit BILD-Konsum nicht unter 6 Monaten bestraft.

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🛒 Onlinehandel

Die neue Seidenstraße

In der FAZ habe ich letzte Woche über die chinesischen Angreifer geschrieben, mehr als die Top-Down-Initiative Belt and Road zur Neuauflage der Seidenstraße werden: Neue Seidenstraße: Chinesischer Onlinehandel im Kontext der Geopolitik

Kern des Arguments ist eine im Text angesprochene Mischung aus chinesischen Bemühungen, wirtschaftlicher wie politischer Art, international Fuß zu fassen und US-Gegenmassnahmen:

Ermöglicht wird dies auch von einer beispiellosen Überproduktion und Exportrekorden in der chinesischen Wirtschaft. Die Abwehr der USA mit Zöllen und Tiktok-Bann sorgt dafür, dass die Chinesen sich noch stärker auf Europa konzentrieren.

Entscheidend hier ist die Ausweitung Chinas in der gesamten Wertschöpfungskette bei Konsumgütern.

Weitere Anmerkungen Zu TikTok Shop und Europa

Gerüchte, dass TikTok Shop den Europa-Start zugunsten eines Fokus auf den US-Markt verschoben hat, kam erst ein oder zwei Tage nach Veröffentlichung des FAZ-Textes. Im Nexus-Briefing letzten Freitag habe ich darüber geschrieben:

Laut Reuters arbeiten sie an einem Klon von TikTok mit neuem Empfehlungsalgorithmus, der auch unabhängig von Bytedance operieren kann. (Bytedance/Peking will auf keinen Fall den Algorithmus in ausländische Hände verkaufen.)

Ein TikTok Shop, dass sich bis zu dieser Abspaltung im US-Markt bestens etabliert hat, wird dann in einer exklusiven Partnerschaft mit TikTokUSA (working title) arbeiten/darin integriert sein. Die exklusive, enge Verzahnung von TikTok Shop wird dann eine Klausel im Verkauf sein.

Je besser die Etablierung im Markt, desto mehr Tatsachen werden geschaffen, desto größer der Widerstand gegen regulatorische Abschaffung etc. – das ist das Uber-Playbook.

Politics, whatcha gonna do?!

Europa ohne TikTok Shop ändert nichts daran, dass Shein der größte Onlinemodeplayer Europas (und der Welt insgesamt) ist, und PDDs Temu weiter auf dem Vormarsch zu sein scheint.

Sollte TikTok Europa tatsächlich zurückstellen, dann verliert der Onlinehandel hierzulande auch eine einzigartige Chance auf echten Social Commerce. Von westlichen Playern kommt diesbezüglich aktuell nichts.

Ein weiterer Grund für den verschobenen Launch könnte der DSA sein. TikTok fällt unter den DSA, für TikTok Shop als Teil der Plattform würde das auch gelten. Die europäische Kommission hat bereits ein förmliches Verfahren gegen Tiktok auf Basis des DSA eingeleitet. (heise)

Grund zur Freude ist das insgesamt nur bedingt. Im Gegensatz zu Schutzzöllen wirken Verordnungen wie der DSA auf alle Unternehmen der notwendigen Größenordnung, auch EU-Unternehmen. (Hallo, Zalando!)

Außerdem: Was sagt es uns, dass TikTok in den USA gegen einen regulatorischen Frontalangriff ankämpfen will, aber bei Europa noch vor Launch auf die Bremse tritt?

Vielleicht, dass der europäische Absatzmarkt langsam aber sicher seinen Biss, sprich seine internationale relative Relevanz, einbüßt?

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✴️ Mehr Wissenswertes

Chinas Internet hatte 3,9 Mio. Websites im Jahr 2023, ein Rückgang von ca. 27%(!) gegenüber 2017; chinesischsprachige Websites machen 1,3% der weltweiten Gesamtzahl aus. Insgesamt ist das ein Rückgang von 70% gegenüber 4,3% im Jahr 2013. China wird dominiert von Apps und Zensur.
New York Times


Firefox bekommt automatische Alt-Text-Generierung für Bilder mit Hilfe eines vollständig privaten KI-Modells im Browser (also on-device). Experimenting with local alt text generation in Firefox Nightly - Mozilla Hacks - the Web developer blog


Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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