6. Feb. 2019 Lesezeit: 10 Min.

Plattformevolution: Wie Spotify macht, was Soundcloud nicht gelungen ist, und mit Gimlet und Anchor zum "YouTube für Audio" wird

Plattformevolution: Wie Spotify macht, was Soundcloud nicht gelungen ist, und mit Gimlet und Anchor zum "YouTube für Audio" wird
Spotify-Logo-2019

Warum es wichtig ist: Diese zwei Übernahmen bedeuten nicht nur einen absehbaren signifikanten Umbruch im Podcast-Sektor. Spotify zeigt auch beispielhaft, wie sich Plattformen aus einer austauschbaren Position in eine bequemere, sichere Lage vorarbeiten können.

Spotify hat ein Problem, dass nur wenige Plattformen haben: Es steht einem Angebots-Oligopol gegenüber. Dieses Oligopol (die Major-Labels) haben jeweils jeder ein einmaliges Produkt. Denn die Backkataloge sind nicht ersetzbar. Spotify oder Apple Music oder Amazon Music etc. ohne den Backkatalog auch nur eines Major-Labels wäre völlig unattraktiv für die potenzielle Hörerschaft. Das wissen die Streaminganbieter ebenso wie die Labels. Die Folge: Die Labels haben die absolute Marktmacht und bestimmen als Kartell die Bedingungen des Streamingmarktes. Deshalb sind beispielsweise die Preise für alle Streaming-Anbieter gleich. Eine weitere Folge: Spotify et al tun sich schwer, profitabel zu werden, weil die Majorlabels logischerweise allen Profit aus dem Markt herausziehen.

Was machen?

Zum einen: Wachsen, wachsen, wachsen, bis man so groß ist, dass man unverzichtbar geworden ist. (Spotify ist auf einem guten Weg dahin. Der steigende Erfolg von Apple Music macht dem allerdings langsam einen Strich durch die Rechnung.)
Zum anderen: Die eigene Position bei den Endkunden ausdifferenzieren und im selben Atemzug bestenfalls neue Erlösströme erschließen, die vielleicht sogar Gewinnmargen erlauben.

Über Jahre haben zumindest Investoren von Soundcloud über das Berliner Startup als das "YouTube für Audio" gesprochen. Das ergab immer Sinn für mich: Soundcloud ist in erster Instanz eine Hosting-Plattform mit angeschlossenem Netzwerk und einem einbettbaren (und damit universal einsetzbaren) Player. Wie YouTube! Soundcloud hatte zwar von Anfang an aus diesem Grund einzigartigen Content (im Gegensatz zu Spotify) aber ebenfalls mit einer aggressiven, keinesweg wohlgesinnten Musikbranche zu kämpfen (wie Spotify).

Als Soundcloud für Podcaster die Möglichkeit schuf, RSS-Feeds für Soundcloud-Accounts zu erstellen, war für mich der nächste Schritt offensichtlich: Um sich unabhängiger von den Musikriesen zu machen, neue Einnahmequellen aufzubauen und tatsächlich synonym für Audio zu werden wie YouTube synonym für Video wurde, musste Soundcloud zwangsläufig proaktiv in den Podcastmarkt reingehen. Eine optimale und naheliegende Möglichkeit zur Ausdifferenzierung und Diversifizierung. (Audio!)

Soundcloud hat tatsächlich seit dem Launch der RSS-Feeds für Podcaster vor 5, 6 Jahren nichts gemacht. Kein einziges zusätzliches Feature.

Spotify dagegen hat die Chance, die sich ihnen der boomende Podcast-Markt bietet, nun erkannt. (Und die Hörerzahlen, die Podcaster bei ihnen erreichen, sprechen für Podcasts bei Spotify.)
Spotify hat  96 Millionen bezahlende Abonennten und insgesamt 207 Millionen Nutzer. Was Spotify künftig mit Podcasts macht, wird sich auf den gesamten Podcast-Markt auswirken.

Jetzt hat Spotify zwei Podcasting-Unternehmen übernommen:

  • Zum einen Gimlet, ein sehr erfolgreiches Podcast-Netzwerk in den USA.
  • Zum anderen Anchor, eine Podcast-Plattform, die es leicht macht, Podcasts auf dem Smartphone aufzunehmen und zu veröffentlichen. Ebenfalls mit eigener Community.

Recode:

Not only has Spotify acquired Gimlet Media, a podcast producer and network, for around $230 million — a deal Recode told you about last week — but it has also bought Anchor, a startup that makes it easier for people to record and distribute their own podcasts.

The company says it isn’t done — it says it has other podcast acquisitions in mind, and that it expects to spend up to $500 million on deals this year. [...]

Spotifys Notiz an die Investoren (es gab eben auch Quartalsergebnisse) machen die strategischen Überlegungen deutlich:

And here’s Spotify’s explanation to investors, which is slightly more brass tacks: “Growing podcast listening on Spotify is an important strategy for driving top of funnel growth, increased user engagement, lower churn, faster revenue growth, and higher margins. We intend to lean into this strategy in 2019, both to acquire exclusive content and to increase investment in the production of content in-house. The more successful we are, the more we’ll lean into the strategy to accelerate our growth, in which case we would update guidance accordingly.”

In plain English, that means: Spotify thinks podcasting can help it find new users, keep the ones it has, generate more money, and increase its profit margins, because it’s cheaper to make or license podcasts than songs from big labels and hit artists. Look for more podcasts to run exclusively on Spotify.

Techcrunch hat ähnliche Zitate von Spotify:

“People who consume podcasts on Spotify are consuming more of Spotify — including music,” Holt said. “So we found that in increasing our [podcast] catalog and spending more time to make the user experience better, it wasn’t taking away from music, it was enhancing the overall time spent on the platform.”

Und mehr Audiokonsum bedeutet mehr Daten für Spotify, was wiederum bessere Werbemöglichkeiten für Free-Kunden bedeutet:

“Think about what we’ve done around music,” Brian Benedik, VP and Global Head of Advertising Sales at Spotify, told TechCrunch. “The more understanding you have around the music you stream, the more we can personalize the ad experience. Now we can take that to podcasts.”

​Besonders vor dem Hintergrund der Podcast-Erweiterung ergibt das Festhalten am Freemium-Modell sehr viel Sinn. (Auch ohne war es immer sinnvoll für Spotify auf Freemium zu setzen. Ohne das Modell wären sie heute nicht Marktführer.)

Spotify geht mit den Übernahmen in die beiden gegenüberliegenden Enden der Produzentenseite hinein:

  • Mit Gimlet gewinnen sie einen Produzenten hochwertiger Podcasts, die künftig exklusiv auf Spotify laufen werden.
  • Mit Anchor bekommen sie die bis dato beste Selfserve-Rundumlösung für den Longtail der Podcasts.

Besonders die Daten von Anchor und Spotify vereint dürften dem schwedischen Unternehmen gute Einblicke in den Podcast-Markt geben.

Ich würde aber schätzen, dass die Werbeseite weitaus wichtiger ist. Denn Spotify bekommt mit Gimlet und Anchor auch zwei unterschiedliche Werbetools für Podcaster an die Hand.

Das Niemanlab veröffentlicht den jüngsten Hotpod (Newsletter für Podcaster), in dem die Werbeseite für Gimlet bei Spotify beleuchtet wird. Zunächst zu den Einkünften bei Gimlet:

Gimlet doesn’t make its revenues public, but there are enough clues scattered about. We know that they made at least $7 million in 2016, back when they were more transparent about its inner workings. In mid-2017, a Recode piece reported that the company was on track to bring in $15 million that year. (That’s the number, by the way, that The Ringer hit in 2018.)

​Und zu Gimlets Werbegeschäft:​

But I also think Gimlet Creative, the company’s advertising division, is another key piece to appraise here. Consider that Spotify’s core competency isn’t content, but distribution, engagement, and monetization — and that monetization, in particular, is both a podcast problem a good deal of people are fixated on and the one that established media platforms (like Spotify, but also Pandora) fancy themselves well-positioned to solve with their existing assets.

We know that Spotify has been tinkering with podcast monetization; a recent press push noted that the company was experimenting with selling ads on its own original podcasts and that it’s currently exploring the possibility of building out its own ad-insertion tech. And I continue to be convinced that all of this is going to link back to, or draw lessons from, Spotify’s adventures in building direct relationships with musicians — first by striking deals with independent artists and then by rolling out a feature that allows artists to upload music directly and automatically receive royalty payouts. In other words, they’ve been trying to become the monetization layer for musicians straight-up. I imagine they would want to do the same for podcasts.

​Und weiter:

To put it another way, instead of seeing Spotify picking up one end-to-end podcast company, you could also perhaps see it as picking two different (albeit conjoined) assets that can each be applied to different aspects of its business: a publisher and a creative agency.

Man muss dazu wissen, dass Spotify bis dato ein, sagen wir, eher low-tech aufgesetztes Werbegeschäft betreibt. Ein Gefühl dafür bekommt man in der  hörenswerten Podcastepisode Deep Dive Wissen #17: Wie funktioniert Werbung auf Spotify? von Digital Kompakt, die just erschienen ist. Aktuell darf man bei Spotify im Musikumfeld werben, wenn man ab 10.000€ dafür ausgibt.

Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Musikbranche immer über die geringen Werbeeinkünfte bei Spotify gestöhnt hat, hat mich der ineffiziente Werbeansatz bei Spotify schon länger irritiert.

Jetzt hat Spotify neben den Podcast-Inhalten auch zwei unterschiedliche Werbetools erworben. Gimlet ist weiter klassisch und low-tech wie Spotify auf den High-End-Markt ausgerichtet, nur eben auf Podcasts spezialisiert.

Anchor dagegen, das den Long Tail für Podcasts bedienen will, setzt auch beim Werbemittel konsequenterweise auf den Long Tail. Im November letzten Jahres führte Anchor Sponsorships ein:

Any U.S.-based podcaster can opt to turn on Sponsorships in any (or all!) of your episodes. Once you do, the platform will get to work finding a sponsor match based on factors like subject matter, audience size, location, and more. Anchor is committed to making sure matches are a great fit for everyone, and giving every podcast the opportunity to get sponsored.
You’ll be notified when you have a sponsor match, and always have the choice to opt into that sponsorship or decline and wait for a new match if you feel it’s not the right fit. [...]

Once you accept your sponsor match, publishing an ad takes just a few minutes and is built directly into Anchor’s easy creation tools. You can either record through Anchor’s website or mobile apps, or import a pre-recorded version — so anyone can take advantage of Sponsorships, whether or not you use Anchor’s recording tools.

You choose exactly where ads will fit into your episodes. Whenever you publish a new sponsored message, Anchor automatically updates all episodes that have ad slots, across everywhere your podcast is heard (Apple Podcasts, Spotify, and all other major platforms) via Anchor’s new dynamic ad insertion technology. Campaign timeframes are set by the sponsor, and we’ll start looking for a new sponsor as soon as one campaign ends.
This is a great opportunity to make money from episodes that you’ve already published — we’ve found that back-catalogues of podcasts get high engagement, and now you can easily monetize all that content.

Gimlet und Anchor:

  • stellen sicher, dass Spotify auf der Produzenten/Lieferantenseite gut aufgestellt ist
  • unabhängiger vom Kerngeschäft Musik wird
  • und auf der Werbeseite mittelfristig besser aufgestellt sein wird.

Das Werbegeschäft von Spotify unterteilt sich also künftig in Werbung im Musikkonsum und Werbung in Podcasts. Für letztere haben sie gerade High-End- und Low-End-Ansätze eingekauft.

Hier ist meine Einschätzung dieser Übernahmen: Bis dato war Echo Nest die wichtigste und beste Übernahme für Spotify. (Echo Nest ist verantwortlich für einen wesentlichen Teil der Metadaten die Empfehlungen wie Discover Weekly füttern.) Anchor hat allerdings das Potenzial als die wichtigste Übernahme in der Geschichte von Spotify zu gelten. Die Chancen stehen hoch, dass wir hier ein vergleichbar gutes Paar sehen wie einst Google-YouTube und Facebook-Instagram.

Spotify-CEO Daniel Ek schreibt auf Spotify unter dem Titel "Audio-First" über Spotify und die Audio-Strategie:

people still spend over two hours a day listening to radio — and we want to bring that radio listening to Spotify, where we can deepen engagement and create value in new ways. [...]

In just shy of two years, we have become the second-biggest podcasting platform. And, more importantly, users love having podcasts as a part of their Spotify experience. Our podcast users spend almost twice the time on the platform, and spend even more time listening to music. We have also seen that by having unique programming, people who previously thought Spotify was not right for them will give it a try.

Based on radio industry data, we believe it is a safe assumption that, over time, more than 20% of all Spotify listening will be non-music content. This means the potential to grow much faster with more original programming — and to differentiate Spotify by playing to what makes us unique — all with the goal of becoming the world’s number one audio platform.

Über die Übernahmen:

That’s why we announced today the strategic acquisitions of two podcasting companies, Gimlet and Anchor. These companies serve two different, distinct roles in the industry. Gimlet is one of the best content creators in the world, with unique, celebrated podcast shows like Homecoming, which was recently adapted into a critically acclaimed show on Amazon Prime, and the internet culture hit Reply All. And Anchor has completely reimagined the path to audio creation, enabling creation for the next generation of podcasters worldwide — 15 billion hours of content on the platform during Q4. These companies are best-in-class and together we will offer differentiated and original content. Gimlet and Anchor will position us to become the leading platform for podcast creators around the world and the leading producer of podcasts.

Spotify "im Zentrum der Audio-Ökonomie":

But as we expand deeper into audio, especially with original content, we will scale our entire business, creating leverage in the model through subscriptions and ads. This is why we feel it is prudent to invest now to capture the opportunity ahead. We want Spotify to continue to be at the center of the global audio economy.

In our industry, things change fast but the path ahead for Spotify is clear — we want to become the world’s leading audio platform, and today is an important step in that direction.

​Spotify steht bereits gut da, was direktes Engagement von Musikern angeht. Via  Pressemitteilung für Investoren und andere:​

Today, more than 300,000 creators and their teams use our Artist platform on a monthly basis, and we added several more features to our creator marketplace tool in Q4. On October 3, 2018 we launched Spotify for Podcasters, a platform where podcast creators who host their podcasts elsewhere can make their shows available to Spotify users by providing us with their podcast feed. Users have access to episode performance, daily stats on listener demographics, location, engagement, and more—great tools to help learn more about and grow audiences. More than 10,000 podcasters are using this tool on a monthly basis to gain deeper insight into their audience. Today, there are more than 185,000 podcast titles available on our platform, and consumption continues to grow rapidly. In Q4 we had 14 titles exclusive to Spotify including the 2nd season of Crimetown, The Rewind with Guy Raz, and the Dissect Mini Series hosted by Lauryn Hill.

On November 8, 2018 we launched Spotify Publishing Analytics in Beta, the first analytics tool from a music streaming service built specifically for publishers. The tool gives publishers daily streaming statistics for the works and recordings they have identified, including playlist performance, as well as the ability to view data for each of the songwriters on their roster.

​Das sieht alles sehr gut für Spotify aus.

​Man sollte sich bei alldem aber keinen Illusionen hingeben. "YouTube für Audio" heißt zwar "gut für Spotify" und auch "massive Chancen für Kreative auf einer großen Distributionsplattform". Es heißt aber eben auch "Abhängigkeit" für Kreativschaffende. Es heißt auch "weniger Auswahlmöglichkeiten" für Kreative.  Der Audiomarkt ist nicht vergleichbar mit Video. Der heutige Audiomarkt ist erst recht nicht vergleichbar mit dem Videomarkt der Nuller Jahre, als nur Google und ein Handvoll anderer Unternehmen es sich überhaupt leisten konnten, populäre Videostreams zu hosten.

​Anchor ist auch deshalb interessant, weil es Podcastern erlaubt, in einem Rutsch ihren Podcast bei itunes, Spotify, Stitcher, Alexa, Google Home usw. einzureichen. Diese verschiedenen, von einander unabhängigen Endpunkte für Podcasts werden nicht wieder verschwinden.

​Allerdings hat die rasant wachsende Podcastkonsum-Plattform Spotify nun mit Anchor gerade die populärste vorgelagerte, proprietäre Ebene übernommen...

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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