27. Apr. 2012 Lesezeit: 2 Min.

Rangordnungen: Netzwerke sind keine Hierarchien

Johannes Kuhn schreibt im Digitalblog  der Süddeutschen über Klout:

In der Twitter-Debatte mit Torsten Kleinz hat sich noch ein weiterer Gedanke entwickelt: Ist die "Demokratisierung des Einflusses" überhaupt mit einem Unternehmen wie Klout in Einklang zu bringen? Das ist ein guter Punkt - denn Klout schafft ja quasi neue Hierarchien, wird zu einer Art Social-Media-Rating-Agentur. Das ist eigentlich das Gegenteil von Demokratisierung in einem Bereich, der wie im Artikel angeklungen, ja bereits demokratisiert ist.

Als jemand, der im Studium Organisationstheorie als einen Schwerpunkt hatte, muss ich vehement widersprechen. Netzwerke sind keine Hierarchien. Hierarchien sind top-down, Netzwerke bottom-up*.

Natürlich entstehen in Netzwerken über Zeit auch Rangordnungen. Diese Rangordnungen unterscheiden sich aber fundamental von denen in Hierarchien, die, weil von oben verordnet, fest(er) sind. Netzwerke sind flüssig(er). Das heißt, die Durchlässigkeit in alle Richtungen, und damit auch von unten nach oben, ist größer als bei Hierarchien. Bei Hierarchien wird einzig oben entschieden, wer nachkommen darf. Bei Netzwerken nicht.

Deswegen kommt die sich auch anders äußernde Macht in Netzwerken über Filter und nicht Gatekeeper.

Klout selbst schafft nun keine neuen Hierarchien, selbst wenn Netzwerke und Hierarchien identisch wären. Klout bildet diese ab oder versucht, sie abzubilden. Im November 2011 schrieb ich:

Reputation kann also nur sinnvoll durch Auswertung von so oder so stattfindenden Aktivitäten erkannt werden.

Etwas, das wir auch ohne Internet machen: Wer Sachbücher schreibt, die Bestseller werden, wird von uns höher angesehen. Wer akademische Papers schreibt, die von vielen anderen zitiert werden, wird von uns automatisch mit höherer Wahrscheinlichkeit als Autorität auf seinem/ihrem Feld angesehen.

Klout macht das, was ich eben beschrieben habe automatisiert für das Web: Es analysiert unter anderem die Reaktionen auf Handlungen auf Plattformen wie Twitter. Es versucht anhand der Tatsache, wie viele Retweets und Favs man im Schnitt pro Tweet bekommt, abzuschätzen, wie einflussreich man ist.

Also: Netzwerke, bottom-up, Filter statt Gatekeeper, das alles bedeutet natürlich Demokratisierung. Und Klout bildet ihr Ergebnis ab (mal besser, mal weniger gut). Das hat im besten Fall zur Folge, das nicht nur der Top-Politiker oder der durch Massenmedien berühmt gewordene Prominente in Hotels besser behandelt wird, sondern auch derjenige, der sich unermüdlich in Netzwerken wie Twitter mit Fachwissen zu Einfluss in seiner eigenen Nische geschrieben hat.

Man kann Klout doof finden und diese allgemeine Entwicklung trotzdem positiv beurteilen.

Dass auch im Netz Rangordnungen und mit ihnen Machtgefälle entstehen, liegt im übrigen daran, dass Transaktionskosten zwar durch das Internet an allen Stellen enorm gesunken sind, aber immer noch existieren und natürliche Grenzen wie die Stundenanzahl eines Tages bestehen bleiben.

"Everyone a pamphleteer" war schon immer Unsinn. Daraus aber zu schließen, dass alles beim alten bleibt, ist genau so großer Unsinn.

Siehe auch:

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* Sehr vereinfacht.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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