Seit Jahren gibt es nur Demonstrationen gegen Urheberrechtsverschärfungen. Niemals dafür. Das sollte langsam eine Rolle spielen.
Es ist durchaus amüsant und anmerkenswert, dass seit Jahren jedes Mal wenn als Reformen getarnte Urheberrechtsverschärfungen kurz vor der Verabschiedung stehen, Menschen dagegen auf die Straße gehen. Was Urheberrechtsmaximalisten von Michael Hanfeld (FAZ) bis zur GEMA niemals thematisieren werden: Niemand geht für diese geplanten Urheberrechtsverschärfungen auf die Straße. So war es bei ACTA, so ist es jetzt bei der geplanten EU-Urheberrechtsreform. Das ist doch erstaunlich.
Die gesetzgeberischen Manöver der konservative EVP-Fraktion im EU-Parlament hat in fünf deutschen Städten zu Spontandemonstrationen gesorgt. Die Veranstalter befürchteten, dass das EU-Parlament die umstrittene EU-Urheberrechtsreform vor den für den 23. März geplanten Protesten durchwinkt. Laut der Initiative "Savetheinternet" kamen in Berlin, Köln, München, Frankfurt und Stuttgart insgesamt mehr als 7500 Demonstranten zusammen.
Allein Berlin zogen Tausende mit Transparenten und Trillerpfeifen vor die CDU-Zentrale. In Stuttgart demonstrierten spontan rund 500 Menschen vor der CDU-Geschäftsstelle. [...]
In Köln war es der dritte Protest gegen die Urheberrechtsreform und insbesondere gegen Artikel 13 innerhalb von drei Wochen. Trotz der noch geringeren Vorlaufzeit von einem Tag und dem Kölner Karneval kamen mehr als 500 Demonstranten zu der vom Kölner Chaos Computer Club angemeldeten Demonstration.
Das ist vor allem für eine spontane Demo beachtlich.
Deshalb müssen diese Demonstranten von den Lobbyisten, die für die bevorstehenden Urheberrechtsänderungen kämpfen, als Bots, als gesteuert und als manipuliert abgetan werden. Da seit jeher in der FAZ etwa Lobbyisten nur milde verdeckt für ihre Gesetzesvorhaben argumentieren dürfen wenn es um Urheberrecht und verwandte Leistungsschutzrechte geht, man also mit schmutzigen Tricks arbeitet, ja, arbeiten muss, muss auch die "gegnerische Seite" schmutzig sein. Wie könnte es überhaupt anders sein? Undenkbar.
Der konstante Vorwurf, die Gegenstimmen im Netz und auf der Straße wären gar nicht echt oder zumindest manipuliert, ist also nicht nur Taktik, um den Gegenargumenten ihr Gewicht zu nehmen sondern ist auch ein gutes Stück Projektion. ‚Wir arbeiten schon immer schmutzig, wir kennen es nicht anders, also müssen die auch so sein.‘
Natürlich haben Google und co. ihre Lobbyisten auf EU-Ebene genauso im Einsatz wie die Presseverlage und Rechteverwerter aus Musik und anderen Branchen.
Der Unterschied, dass zusätzlich nur gegen Urheberrechtsverschärfungen Menschen auf die Straße gehen, ist allerdings wichtig, wenn man Gesetzgebung gesamtgesellschaftlich beurteilen will und nicht nur auf einzelne Partikularinteressen schaut. Die Existenz dieser Demonstrationen zeigt -erneut-, dass etwas im aktuellen Urheberrecht fehlt. Etwas ganz wesentliches.
Im Gegensatz zu den EU-Politikern, die für die Urheberrechtsreform sind und wohl überrascht sind, dass es ausgerechnet dazu Demonstrationen gibt, wissen die Menschen auf den Demonstrationen aus ihrem Alltag sehr genau, warum das aktuelle Urheberrecht an der aktuellen Realität vorbeigeht und eine Verschärfung, diese unzeitgemäße Natur des Rechts weiter verstärkt:
Der YouTuber "Herr Newstime" erklärte, dass bereits heute zu sehen sei, wie problematisch solche Filter arbeiten. So seien die Rechte an einem Live-Video von einer Demonstration gegen Artikel 13 in Berlin automatisiert einem Musikverlag zugeteilt worden, weil bei der Übertragung ein Musikstück erkannt worden war.
Andere Redner warnten davor, das diese Praxis noch extremere Ausmaße annehmen werde. So sei zu befürchten, dass selbst Urlaubsfotos nicht mehr hochgeladen werden könnten, wenn die Uploadfilter einen geschützten Inhalt wie ein Filmplakat erkennen.
Mit ContentID bei YouTube haben wir bereits ein seit Jahren im Einsatz befindliches Filtersystem und die Erfahrungen daraus zeigen sehr deutlich die Grenzen und Nachteile, die daraus erwachsen. Techdirt hat dankenswerterweise über Jahre die großen und kleineren Fehlgriffe dokumentiert. Ähnliches kann bei jeder Plattform ab einer bestimmten Größe beobachtet werden. Auch Soundcloud hat seine Filterprobleme. Wir haben hier also keine theoretische Debatte im luftleeren Raum, sondern können über konkrete Fälle sprechen, die uns zeigen, wo die Verschärfung uns hinbringen wird.
Die EU-Urheberrechtsreform wird das Geschäftsrisiko für alle Plattformen vergrößeren. Die direkte Folge davon werden schärfer als das heutige ContentID eingestellte Filter sein.
Reto Hilty, Urheberrechtsexperte und Geschäftsführender Direktor des Münchner Max Planck Institut für Innovation und Wettbewerb, hat heise ein langes Interview zum Thema EU-Urheberrechtsreform gegeben.
Ein Auszug:
heise online: Können Sie sich zum Verfahren äußern? Bedarf aus juristischer Sicht die Debatte der neuesten Fassung mehr Zeit?
Hilty: Man sieht aus den hitzigen Debatten, wie sehr das Urheberrecht zu einer politischen Materie geworden ist und wie sehr es darum geht, welche Interessengruppen sich mit ihrem Lobbying durchzusetzen vermögen. Daran würde sich auch mit noch längerer Diskussion nicht viel ändern. In rechtlicher Hinsicht liegen die Probleme auf dem Tisch. Erweisen muss sich, was die vorgesehenen Regelungen tatsächlich bewirken werden. Insgesamt mag man sich die Frage stellen, ob es ein großer Schaden wäre, wenn die ganze Richtlinie scheitern sollte, was denkbar wäre, wenn der im Trilog erarbeitete Kompromiss vom EU-Parlament abgelehnt werden sollte.
Ich denke, dass eine Ablehnung eher neue Chancen eröffnen würde. Denn man muss sich bewusst sein, dass die ursprünglich deklarierte Zielsetzung, das Urheberrecht so zu modernisieren, dass es den Herausforderungen des digitalen Binnenmarktes gewachsen ist, weitgehend aus den Augen verloren wurde. Im Vordergrund stehen - was gerade die Artikel 11 und 13 zeigen - wie seit jeher die Interessen der Urheberrechtsindustrien. Kaum berücksichtigt wird, dass das Urheberrecht für viele neue und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle zu einem Hindernis geworden ist, womit sich die Rechteinhaber einem Innovationswettbewerb auf der Anbieterseite viel leichter entziehen können.
Hier muss man auch die größeren Zusammenhänge sehen. Ein nicht zeitgemäßes Urheberrecht geht letztlich zulasten der Verbraucher in Europa, denen Angebote vorenthalten werden, die in anderen Regionen der Welt ganz selbstverständlich verfügbar sind. Aber auch die europäische Wirtschaft droht Schaden zu nehmen, wenn wir an einem überkommenen Urheberrechtsdenken festhalten.
Gerade auch die Ambitionen der EU, im globalen Wettbewerb rund um die künstliche Intelligenz Schritt halten zu können oder gar eine Führungsrolle einzunehmen, erscheinen wenig realistisch, wenn wir nicht bereit sind, die Funktionen des Urheberrechts in der Digitalwirtschaft grundsätzlicher zu überdenken. Ein neuer Anlauf im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Richtlinie nach den Wahlen im Mai dieses Jahres würde dazu die Chance bieten.
Tritt die nun ausgehandelte Fassung der Richtlinie hingegen in Kraft, dürfte es wieder Jahre dauern, bis weitere - und im Vergleich zu dem, was die Richtlinie erreichen kann, vielleicht viel wichtigere - Schritte zur Modernisierung des Urheberrechts in Angriff genommen werden.
Die geplante EU-Urheberrechtsreform ist keine Reform, keine Modernisierung eines dringendst zu modernisierenden Urheberrechts, sondern das Gegenteil. Ein Recht, das bereits extrem in Schieflage ist, wird noch schiefer gestaltet. Europa würde viel verlieren, wenn diese Monstrosität in Kraft treten werden würde.