1. Mai 2020 Lesezeit: 6 Min.

Shopifys neue Shop-App und die mobile Zukunft im Handel

Der folgende Text erschien zuerst in Nexus 21: Shopify, Anti-Amazon-Allianz und Shop-App, HBO Max, Apple & Anti-Netflix-Allianz, der jüngsten Ausgabe des Newsletters für Mitglieder.

Anti-Amazon-Allianz: Google Shopping + Shopify

Ein Thema nicht nur für diese Nexus-Ausgabe sondern für die digitale Wirtschaft der nächsten Jahre werden Allianzen großer Tech-Konzerne mit anderen starken Branchenplayern gegen andere große Tech-Konzerne sein. Wir haben das vor ein paar Jahren bereits in Indien gesehen, wo sich u.a. Microsoft und Walmart gegen Amazon verbündet haben. Amazon ist ein offensichtliches Ziel solcher Allianzen, weil es mit AWS auf der einen und dem mächtigen Marktplatz auf der anderen Seite sehr vielen verschiedenen Unternehmen das Leben schwer macht.

Google Shopping hat bekannt gegeben von einem Bezahlangebot (alle auf Google Shopping vertretenen Händler bezahlen für diese Präsenz) zu einer „echten“ nativen Suchmaschine für Shopping überzugehen, bei der jeder Händler kostenfrei gelistet sein kann.

Ben Thompson schreibt auf Stratechery über Amazon als Grund:

According to eMarketer earlier this year, 49% of Internet shoppers start their searches on Amazon, and only 22% on Google; Amazon’s share is far higher for Prime subscribers, which include over half of U.S. households.

What Google’s announcement unlocks is the same sort of modular stack for distribution that already exists for discovery:

Google helps find the products on 3rd-party e-commerce sites

Shopify or WooCommerce build the storefronts (or big box retailers like Walmart)

Stripe or PayPal handle payments

Third-party logistics providers package and ship the goods

USPS, Fedex, and UPS deliver the actual packages

This stack existed before, but inserting an additional payment layer into product discovery made product discovery worse (by limiting the number of products and retailers), hurting the entire ecosystem. Unsurprisingly, Shopify and WooCommerce are partnering with Google to make it easy for small retailers to get into Google’s results, and I wouldn’t be surprised if Google is working with larger retailers as well.

This cooperation is also evidence of Amazon’s growing clout: one of the reasons why Google made Shopping pay-to-play back in 2012 was because the company deemed that the best way to get real-time data for Google Shopping; retailers paying to be featured would be motivated to give Google quality data. Today, though, additional motivation is unnecessary: everyone in commerce is, whether they realize it or not, in the Anti-Amazon Alliance, and that provides plenty of motivation.

Die Umstellung war sicher längst überfällig (und hat nur am Rande mit Covid-19 zu tun). Die Situation in den USA ist mit der E-Commerce-Dominanz von Amazon dramatisch. Auch hierzulande kann mehr Gegenwind gegen Amazon helfen.

Aber ich würde die Bedeutung der Google-Suche nicht überschätzen. Ein Vorteil von Amazon ist das Vertrauen, dass der Anbieter beim Kunden aufgebaut hat, das überträgt sich explizit auf den Marktplatz, auf dem man als Endkunde relativ sicher dank Amazon ist.

Shopping-Modi

Aber schwerwiegender ist der Shopping-Modus. Die Google-Suche deckt lediglich den gleichen Shopping-Modus ab wie Amazon: Produktsuche. Und zwar für alles Denkbare. Darin ist Amazon King. Die Google-Shoppingsuche will/muss damit direkt konkurrieren.

Amazon ist schlecht in anderen Shopping-Modi wie etwa Inspiration, Serendipity. Oder schlicht nicht-existent, wie etwa beim Thema Social Shopping (Gruppenkäufe a la Pinduoduo).

Eine viel größere Gefahr für Amazon erwächst deshalb nicht aus Google Shopping + Shopify und co. sondern aus Instagram + Shopify und co.

Shopifys Shop-App und die mobile Zukunft im Handel

Shopifys neue „Shop“-App ist sehr spannend.

TechCrunch

While Shopify is best-known for powering the online stores of more than 1 million businesses, the company is launching a consumer shopping app of its own today, simply called Shop.

The app is actually an update and rebrand of Arrive, an app for tracking packages for Shopify merchants and other retailers, which the company says has been used by 16 million consumers already.

Shop includes those same package tracking capabilities, but it also allows consumers to browse a feed of recommended products, learn more about each brand and make purchases using the one-click Shop Pay checkout process.

Notifications sind ein wichtiges Tool für alle, die heute Dienste online anbieten. Für klein(er)e Händler, die niemals oder zumindest nur schwer eine eigene App auf die Homescreens der Endkunden bekommen, ist die neue mobile Situation eine größere Herausforderung. Mobile Webseiten sind nicht die Lösung. Notifications sind nur ein Beispiel für die Vorteile nativer Apps, die sich nicht nur in Featurereichtum widerspiegeln sondern eben auch in Integrationen in die Betriebsysteme: Neben Notifications, Widgets, Siri/Assistant-Integrationen, Chat-Integrationen.

Der Kontext für die Shopify-App ist zweiteilig: Instagram und der Long Tail.

Zum einen kommt ein wachsender Teil der Shopify-Händler aus der rasant wachsenden Instagram-Welt; die nebenbei dediziert unnachnahmbar für Amazon ist. Zum anderen ist die aggregierende Shopify-App selbst besonders attraktiv für alle Händler, die zu klein für eine eigene App sind und eben deshalb heute oder spätestens morgen nur noch eine Ebene oberhalb im Stack stattfinden können.

Also innerhalb einer anderen App, sei das Instagram, Amazon, eBay, Wish, AliExpress oder eben Shop von Shopify. Im Gegensatz zu den anderen ist Shopify auch* ein klassischer SaaS-Dienstleister für die Händler. Shopify-Händler werden, wenn sie das möchten, auch auf eine Integration in die Shop-App verzichten können.

Der Onlinekauf beginnt nicht beim Händler sondern davor. Sprich also beispielsweise im Suchschlitz von Amazon oder Google: Einkauf mit Intention. Oder aber inspirierend im Feed von Instagram oder Pinterest oder an anderen Stellen. Genau hier kann die Shop-App von Spotify langfristig greifen.

Die aktuelle 1.0-Version (oder eher 0.8?) ist weit davon entfernt aber die Richtung ist deutlich.

TechCrunch noch einmal:

Shop provides customized product recommendations to each shopper, but Rivera noted that these recommendations all come from brands that you’ve already shown an interested in, either by purchasing a product from their Shopify store or by following their profiles in the app.

Im Idealfall wird der Feed Produkte hochspülen, von denen die Endkunden nicht wussten, dass sie sie wollten. Einkäufe und Interesse an Shops sind die ersten (offensichtlichen) Voraussetzungen dafür.

Natürlich ist die große Herausforderung für Shopify jetzt, eine gute UX für eine auf Endkunden gerichtete App zu machen, zu iterieren und zu verbessern. Aber das Potenzial ist enorm. Eben auch, weil es für viele Shopify-Händler die beste Alternative zur Website ist, weil die eigene App illusorisch ist.

Deshalb habe ich auch hier eine andere Sicht auf die Dinge als Thompson.

Er schreibt in einem Daily Update auf Stratechery (Paywall) zu Shopify:

It would make far more sense for Shopify to build a whitelabel app experience for its merchants that lets me find an app experience for a brand where I expect to find it — in App Store search. This discovery mechanism is at the wrong level of the stack.

This gets at an important point I should have made yesterday: in addition to discovering products through advertising and finding products through search, the strongest and most differentiated brands get customers to come to them directly. Shopify provides the infrastructure for all three, but Shop.app, by making itself the one app to rule them all, only gets in the way of the best and most differentiated brands. Yes, it is hard to get users to install apps, but brands are going to be much more successful in the long run than “Shop” will.

To that end, even if the Shop.app search functionality worked on a product level — if “Shoes” brought up AllBirds, for example — I still wouldn’t really see the point. 16 million users is nice, but only Google is operating a meaningful enough scale to make a difference. That is why Google’s announcement was much more important to the fortunes of Shopify’s merchants than this app will be.

Die Shop-App richtet sich nicht an die „strongest and most differentiated brands“ sondern an den Long Tail, der noch dahinter kommt. Für diese Händler ist das die Alternative zu Instagram, eBay-Präsenz und Amazon-Marktplatz. (Und, nochmal, weit abgeschlagen, der mobilen Website.)

Eine Whitelabel-Applösung von Shopify ergibt auch Sinn, aber auf einem anderen Level. Die Shop-App geht ein Problem an, das das Whitelabel-Angebot nicht lösen kann.

Shop wird laut Shopify keine Werbung haben und wird kostenlos für Endkunden und Händler sein. ​Letzteres glaube ich sofort. Die App ist ein Zusatzangebot für Shopify-Händler und -Marken. Ersteres wird eine Definitionsfrage sein: Sollte die Shop-App ein Erfolg werden, sprich der Shopping-Feed stark frequentiert werden, ist es naheliegend für Shopify, irgendwann auch bezahlte Platzierungen zu verkaufen.

Shopify und „Aggregation Theory“

Ich wollte das ursprünglich in meinem ersten Nexus-Paper zum Thema Plattformen abhandeln, werde das aber wahrscheinlich jetzt auskoppeln, deshalb hier nur kurz: An Shopify kann man hervorragend die intellektuellen Sackgassen sehen, in die Ben Thompson mit seiner „Aggregation Theory“ gerannt ist. Er bezeichnet den SaaS-Teil von Shopify, also das Kern-Geschäft, als „Plattform“, weil es Unternehmen ermöglicht. Während er den Amazon-Marktplatz, eine Plattform, als „Aggregator“ bezeichnet.

Tatsächlich muss man klar zwischen der SaaS-Dienstleistung mit nur den internetüblichen Netzwerkeffekten im Ökosystem (Plugins, Dienstleister) und der Matchmaker-Funktionalität auf der Plattformseite unterscheiden. Beide haben sehr unterschiedliche Dynamiken für die Branche und damit für die davon betroffenen Partner. Shopifys Einstieg in die Logistik war der erste Schritt Richtung Plattform, weil sie Logistiker und Händler matchen. Mit der Shop-App, die selbst wiederum aus der Arrive-App für Paket-Tracking für Endkunden hervorgeht, wird Shopify zum Matchmaker zwischen Händlern und Endkunden. Bei Erfolg wird Shopify sehr viel mächtiger als es das Unternehmen als reiner SaaS-Anbieter jemals geworden wäre. Das muss nicht zwingend schlecht für die Handelsbranche sein. Eher im Gegenteil. Ein Shopify, das auf allen Ebenen ein Gegengewicht zu den Instagrams, Googles und Amazons bietet, weil es aus einer völlig anderen Ausgangslage als diese kommt und mit zwei von drei in einer symbiotischen Beziehung steht, bedeutet langfristig auch bessere Konditionen im gesamten Sektor für alle Händler, die zu klein für die eigene App sind.

Matchmaking ist der entscheidende Aspekt hier. Versucht Shopify sich nicht daran, wird das Matchmaking eben an einer anderen Stelle stattfinden, sprich also an den Distributionspunkten, wo Shopify integriert ist; der größte Distributionspunkt wäre da heute Instagram, morgen könnte Google Shopping ebenfalls aufgeholt haben.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
Großartig! Du hast Dich erfolgreich angemeldet.
Willkommen zurück! Du hast Dich erfolgreich eingeloggt.
Du hast neunetz.com erfolgreich abonniert.
Dein Link ist abgelaufen.
Erfolg! Suche Dein in Deiner E-Mail nach einem magischen Link zur Anmeldung.
Erfolg! Deine Zahlungsinformationen wurden aktualisiert.
Deine Abrechnung wurde nicht aktualisiert.