16. Mai 2012 Lesezeit: 2 Min.

Sie unterschreiben Erklärungen und offene Briefe, denn sie wissen nicht, dass sie bloggen könnten.

Thierry Chervel in einem sehr guten Artikel im Blog des Perlentauchers über die Motivation der Unterzeichner von "Wir sind die Urheber", bei denen es sich immerhin mehrheitlich um Buchautoren handelt, die vom Internet bislang unbehelligt geblieben sind:

Es hat mit einem tief sitzenden Widerwillen zu tun. Die wenigsten Autoren, die den Aufruf unterzeichnet haben, sind bisher dadurch aufgefallen, dass sie sich mit dem Internet auseinandergesetzt haben. In dem Aufruf dominieren die Autoren, die Jahr für Jahr oder alle zwei Jahre ihr neues Buch bringen, die vom Betrieb in bewährter Weise getragen, von den Zeitungen rezensiert und von den Literaturhäusern eingeladen werden. Sie funktionieren nach einem jahrzehntealten verbürgten Modell.

Das Problem dieser Autoren mit dem Netz ist weniger, dass es ihre Einnahmen als dass es ihr Selbstbild als Autor in Frage stellt. Als Autor auf dem bewährten Modell bestehen, heißt tatsächlich, sich nicht mit neuen Formen des Schreibens zu beschäftigen. Lewitscharoff spricht in ihrem FAZ-Beitrag von "haltlosem Internetgequassel" und von der Verhöhnung von Autorenleistungen durch von ihr nicht benannte Quellen im Netz (auch dies übrigens eine alte, im Netz nicht mögliche Technik des Schreibens: einen Gegner nicht benennen, ein Machtgestus, der dem Gegner erst gar keinen Status zubilligt - im Internet wird der direkte Bezug erwartet, Insiderspielchen werden in den Kommentaren durch Hyperlinks ausgebremst). Sie fühlt sich alles in allem vom Netz als Autorin einfach herabgewürdigt.

Das Problem in der deutschen Kultur liegt auch darin, dass, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer, die Kulturschaffenden des Landes kollektiv die technischen Entwicklungen der letzten Jahrjzehnte ausblenden. Manchmal mehr, manchmal weniger.

Wenn Tatorte und andere öffentlich-rechtlich finanzierte Spielfilme oft eine Handlung aufweisen, die nur Sinn in einer von Mobiltelefonen freien Welt ergeben und das Internet maximal als der Ort vorkommt, in dem sich Täter und Opfer gefunden haben, dann ist es nicht verwunderlich, dass von den dahinter stehenden Köpfen die bekannten offenen Briefe und Erklärungen kommen, die dann ein erschreckendes Unwissen über die moderne Welt da draußen offenbaren.

Es wird dadurch aber nicht weniger tragisch.

Thierry Chervel:

Aber die Autoren ahnen natürlich, dass der Begriff des "Autors" vom Netz - wie so vieles - radikal neu formuliert wird. Und daran ist etwas Wahres: Das Netz hat längst eine andere Praxis und einen anderen Begriff der Autorschaft entwickelt, mit dem sich so gut wie keiner der bekannteren Schriftsteller in Deutschland (Rainald Goetz ausgenommen) überhaupt nur gedanklich auseinandergesetzt hat, geschweige denn, dass deutsche Autoren damit experimentieren würden.

Ich meine damit nicht unbedingt irgendwelche Hypertextspielchen. Ich frage mich eher und viel konkreter, warum deutsche Autoren zum Beispiel nicht bloggen, warum sie so selten auf Facebook sind oder gar twittern. Man muss gar nicht groß mit Schreibweisen experimentieren um zu kapieren, dass Bloggen tatsächlich eine neue Form des Schreibens ist, die die alte Ästhetik der Geschlossenheit, die mit Buch und Zeitungsartikel verknüpft war, aufbricht.

Und da liegt ein ganz wesentliches Problem. Wie ich hier bereits mehrfach angeführt habe, und in einem Kommentar in der kommenden Ausgabe des Freitag noch einmal anmerke, werden Diskurse eher schlecht über offene Briefe und Unterschriftensammlungen geführt. Blogs sind das mit Abstand effizienteste Werkzeug zur Teilnahme an einem Diskurs. Nur werden sie in Deutschland dafür kaum genutzt.

Allerdings, das muss man auch anmerken, kann man das den internetfernen Autoren nur schwer zum Vorwurf machen, wenn selbst der "bekannte Blogger" Sascha Lobo nicht diskursiv bloggt und stattdessen die Form der wöchentlichen Kolumne unter dem Dach einer großen Publikation vorzieht.

Genau so sieht es bei anderen Personen aus, die man in Deutschland mit Internet und Expertise darüber in Verbindung bringen würde. Kathrin Passig? Mit etwas Glück Texte auf Google+, sonst Merkur-Kolumne als das höchste der Gefühle. Kein Blog. Mario Sixtus? Tweets und der gelegentliche Tagesspiegel-Text. Kein Blog. Und so weiter.

Es gibt schlicht keine schillernden Vorbilder in Deutschland, denen es Internetneueinsteiger gleich tun könnten.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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