10. Apr. 2010 Lesezeit: 3 Min.

Strategische Fehlentscheidung: Twitter kauft Mac-/iPhone-Client Tweetie

twitter

Tweetie 2 gehört zu den besten iPhone-Clients für Twitter. Bei mir befindet sich Tweetie 2 auf dem Homescreen des iPhones und ist mein bevorzugter mobiler Client für Twitter. Kurz: Tweetie 2 ist eine hervorragende Applikation.

Trotzdem ist der Kauf des Tweetie-Entwicklers und damit die Übernahme des populären Clients eine strategische Fehlentscheidung für Twitter.

Es ist eine altbekannte Weisheit in der Internet-Branche, dass die API und das durch sie entstehende Ökosystem wesentlichen Anteil am Erfolg Twitters hat.

Daraus folgt, dass jede Veränderung in diesem Ökosystem Auswirkungen auf Twitter haben kann, die nicht zu unterschätzen sind. Wenn Twitter selbst jetzt in das Client-Geschäft einsteigt, heißt das in erster Linie, dass Twitter künftig mit Drittanbietern in den wichtigsten Kategorien konkurrieren wird.

Mit einem Mal wird die Twittercliententwicklung risikobehafteter. Denn jetzt konkurriert man mit dem Plattformanbieter selbst, der notfalls seinen Client mit der Nutzung privater APIs bevorzugten Zugang zur Plattform geben könnte.

Auch andere sehen Probleme für Twitter darin entstehen:

Engadget editor Nilay Patel said that Twitter buying Tweetie was “roughly equivalent to Microsoft building it’s own WP7 phone – bye bye, ecosystem.”

Former Engadget editor and gdgt co-founder Ryan Block said: “As of today, if your app depends on Twitter for anything other than identity or content syndication, you are officially on notice.”

Martin Weigerts Ansicht kann ich mich nicht ganz anschliessen:

Wie immer lässt sich das Glas sowohl als halbleer als auch als halbvoll betrachten. Während manch ein Entwickler jetzt fürchtet, Twitter würde Schritt für Schritt immer mehr eigene Produkte rund um seinen 140-Zeichen-Service anbieten, dürften andere sich angespornt fühlen, ein derartig gutes Angebot auf die Beine zu stellen, um anschließend von Twitter übernommen zu werden.

Das ist eine relativ naive Sichtweise auf die Dynamiken einer Plattform. Denn letztlich ist es doch so: Wenn ein Plattformanbieter eine Applikation selbst anbietet, konkurrieren die Drittanbieter in dieser Kategorie mit einem übermächtigen Gegner. Hinzu kommt: Twitter braucht nur einen iPhone-Client - dieser Bereich hat sich also geschlossen. Mit jeder Übernahme einer Applikation beendet Twitter mehr oder weniger diese Kategorie:

  • Twittersuche - nach der Übernahme von Summize ist in diesem Subsystem nichts Bedeutendes mehr passiert
  • Clients - auch hier werden unter iPhone weiter andere Clients angeboten werden. Aber die Ressourcenverteilung bei den Entwicklern wird künftig anders aussehen, was sich im Gesamtangebot bemerkbar machen wird (siehe auch unten).

Außerdem: Wie hoch ist der Verhandlungsraum für einen Entwickler, der nur an die Plattform verkaufen kann, auf der sein Geschäft beruht? Denn ist so ein Feld noch attraktiv für andere Unternehmen und Investoren?

Twitters Plattform wird durch diesen Schritt nicht attraktiver, eher im Gegenteil.

Twitter hat mit dem Kauf von Tweetie mehr noch als damals mit der Übernahme von Summize gezeigt, dass sich das Verhältnis von Twitter zu seinem Ökosystem ändert (denn die Hauptkategorie für Twitter-apps waren immer Clients).

Auch Facebook hat einen eigenen iPhone-Client, aber der Unterschied könnte nicht größer sein: Das Gleiche wäre es nur, wenn Facebook FarmVille-Entwickler Zynga kauft und künftig mit den anderen Spielen auf Facebook konkurrieren würde. Auch das würde keinem Entwickler gefallen.

Aber auch Facebook und andere Plattformanbieter zeigen immer wieder, dass sie die Kontrolle haben:

Apple ändert schlagartig die Regeln für die Einreichung neuer Apps. Facebook stellt viele von den Notifications ab, die die Spiele von Zynga haben so rasant wachsen lassen. Twitter nimmt das Ruder selbst in die Hand und entwickelt künftig eigene Applikationen für diverse Plattformen.

Wie sich das alles langfristig auswirken wird, wird sich zeigen. Steigende Frustration mit geschlossenen Systemen bei den Entwicklern könnte aber mittel- bis langfristig dazu führen, dass offene, verteilte Systeme an Zulauf von Entwicklern gewinnen.

Nur eins ist sicher: Noch weniger Entwickler werden künftig all ihre Ressourcen auf ein Angebot setzen, das ausschließlich auf Twitter angewiesen ist. Denn es könnte ja sein, dass Twitter einen Konkurrenten übernimmt und man dann auf einmal im Regen steht.

In den nächsten Monaten werden wir von vielen Twitterclients lesen, die auf einmal etwas machen werden, was der offizielle Twitter-Client nie machen wird: Andere Dienste wie Facebook, Tumblr, Google Buzz und Status.net unterstützen. Denn das wird der einzige Weg sein, sicherzustellen, dass der eigene Client Mehrwert gegenüber dem offiziellen Twitter-Client haben wird.

Twitter hat sich in die Küche begeben. Wir werden sehen, ob es die Hitze erträgt.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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