Kommen wir zu den Abschnitten zum Urheberrecht im Koalitionsvertrag. Auf S. 133 heißt es zur Verschärfung:
Wir wollen die Rechtsdurchsetzung insbesondere gegenüber Plattformen verbessern, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut. Wir werden dafür sorgen, dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider genießen, zurückziehen können und insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten.
Leonhard Dobusch hat diese gornische Forderung im Koalitionsvertrag auf netzpolitik.org bereits gut eingeordnet:
Das Problem bei diesem Absatz ist, dass die Rechtsprechung des BGH zur Haftung von Hostprovidern bereits jetzt genau dieses Kriterium auf sehr restriktive Weise in Anschlag bringt. So werden vom BGH all jenen Anbietern von Internetdiensten bereits heute sehr hohe Prüfpflichten auferlegt, deren “Geschäftsmodell Urheberrechtsverletzungen in erheblichem Umfang Vorschub leistet” (Zitat aus dem jüngsten BGH-Urteil zum Fall Rapidshare, vgl. “BGH-Urteil verschärft Haftung von File-Hosting-Diensten“). Ein Kriterium, das wohl auch auf Plattformen wie YouTube und Facebook zutrifft. Bereits diese Rechtssprechung kann für innovative Plattformen, die auf nutzergenerierte Inhalte setzen und nicht eine Rechtsabteilung wie Google im Hintergrund haben, ein Problem darstellen. Je stärker die (Vorab-)Prüfpflichten werden, desto schwerer fällt es kleineren und neuen Anbietern, diese zu erfüllen.Wenn es hier zu darüberhinausgehenden, gesetzlichen Verschärfungen kommen sollte, droht ähnliches wie beim Leistungsschutzrecht für Presseverleger in der letzten Legislaturperiode: ein deutscher Sonderweg im Bereich der Internetregulierung, der sein Ziel verfehlt und vor allem kleine und innovative Anbieter in ihrer Existenz bedroht.
Die Richtung der neuen Regierung ist wenig überraschend. So lang die Union an der Regierung beteiligt ist, wird sich die deutsche Bundesregierung ausnahmslos immer gegen Formen von vernetzter, loser Zusammenarbeit und für die klassische Kulturproduktion und dem Wunsch ihrer Vertreter nach strikterem Urheberrecht entscheiden. Die SPD ist außerdem bei diesem Thema mehr oder weniger auf Linie mit der Union.
Dass Plattformen, die auf user generated content setzen, gar nicht umfassend im Vorfeld prüfen können, ob Inhalte gegen Urheberrechte verstoßen, spielt bei diesen Entscheidungen keine Rolle.
72 Stunden Videomaterial pro Minute, das auf YouTube hochgeladen wird?
12 Stunden Audiomaterial pro Minute, das auf SoundCloud hochgeladen wird?
Es scheint vollkommen egal zu sein, dass diese Anbieter bei solchen Zahlen niemals sicherstellen können, dass auf ihren Plattformen keine Urheberrechte verletzt werden. (Die konstant fehlerfreie Zuordnung von Urheberrechten ist für Dritte unmöglich. Das ist kein technisch lösbares, sondern ein juristisches Problem. Beispiele hierfür gibt es reichlich, etwa hier und hier.)
Man mag bestimmte, abseitige Hostprovider im Auge haben, aber wie bei der Lex Google -dem Presseleistungsschutzrecht-, werden mit einem harten Haftungsgesetz auch diese Anbieter getroffen.
Sollte aus dieser Forderung tatsächlich eine gesetzliche Verschärfung folgen, und angesichts der starken Kulturflügel der beiden Koalitionsparteien ist das sehr wahrscheinlich, würde es mich nicht überraschen, wenn das der endgültige Grund für SoundCloud wird, Berlin und Deutschland zu verlassen und den Sitz des Unternehmens in die USA oder nach Schweden, dem Heimatland der Gründer, zu verlegen.
Ich weiß, dass ich als Gründer eines solchen Unternehmens sehr genau beobachten würde, welche Entwicklung die Gesetzgebung hierzulande nimmt.
Die Zeichen sind jedenfalls sehr deutlich an der Wand.
Auch der ausdrückliche Hinweis auf internationale Verträge, die für den ‚effektiveren Schutz‘ der Urheber geschlossen werden sollen, ist nicht verwunderlich. Es ist allerdings ausgesprochen beunruhigend, da die große Koalition bereits jetzt kaum nennenswerten Widerstand gegen strikteste Gesetze sehen wird und zusätzlich mit Hilfe internationaler Verträge demokratische Kontrollmechanismen umgehen und den realitätsfremden Status Quo des aktuellen Urheberrechts weiter zementieren will.
Dobuschs Fazit:
In Sachen Urheberrecht werden im Koalitionsvertrag kaum echte Weichenstellungen vorgenommen. Was bzw. ob letztlich überhaupt etwas passieren wird, hängt sehr von den handelnden Personen in Justiz- und Bildungsministerium sowie dem zu erwartenden Lobbying-Druck ab.
Da es in beiden Parteien keine starke Gegenkraft zu den Kulturflügeln gibt, sehe ich das etwas pessimistischer.
Es passt in das Bild, dass die Entschärfung der Störerhaftung für Betreiber öffentlicher WLANs, wie etwa Cafes, aus der endgültigen Fassung des Koalitionsvertrags wieder entfernt wurde.
Um den Weg der Buchbranche in eine digitale Zukunft weiter zu erschweren, will die Bundesregierung die Buchpreisbindung für E-Books endgültig absichern.
S. 134:
Die Veränderung der Medienwelt hat auch Folgen für die Printmedien, jedoch bleiben die Gründe für steuerliche Erleichterungen – Kultur- und Medienangebote als Teil der Daseinsvorsorge – auch in der digitalen Welt die gleichen. Den verminderten Mehrwertsteuersatz für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften will die Koalition beibehalten; er soll in Zukunft auch für Hörbücher gelten. Auf europäischer Ebene wird die Koalition darauf hinwirken, dass auf E-Books, E-Paper und andere elektronische Informationsmedien künftig der ermäßigte Mehrwertsteuersatz Anwendung finden kann. Essentiell für die Erhaltung der Vielfalt der Bücher und Buchhandlungen ist die Buchpreisbindung, die europarechtlich auch im Hinblick auf E-Books abzusichern ist.
Dass auch hier Gründe behauptet werden, ohne sich die Mühe zu machen, diese auch zu nennen, zeigt die diskursscheuende Stoßrichtung der neuen Regierung auf.
Zu diesen und anderen Aspekten des Koalitionsvertrags lohnt sich auch die Lektüre dieses Überblicksartikels auf heise online.
Siehe auch zum Koalitionsvertrag: