Michael Angele schreibt im Freitag über die fehlende Begeisterung für klassiche Meisterwerke der Literatur bei den Piraten und merkt unter anderem an:
Darüber [über den Medienwandel, Anm. d. B.] wäre vielleicht gelassener nachzudenken, wenn es nicht den Verdacht gäbe, dass einem „Nerd“ herzlich egal ist, ob es in seiner Stadt noch einen Buchladen gibt oder nicht. Das ist vielleicht dann nur noch eine Geschmacksfrage, aber auch Geschmacksfragen entscheiden darüber, wie wir leben wollen. Das Misstrauen gegen das ästhetische Urteilsvermögen „dieser Leute“ wird nicht nur bei Sibylle Lewitscharoff zu einer Abneigung gegen „das Netz“ überhaupt. „Das Netz ermöglicht allen, die sich vordem verkannt fühlten, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und bedeutend zu fühlen. Das Urheberrecht wird bedroht von einer wachsenden Schwarmintelligenz der Selbstbedienung.“ So stand es in einem Leserbrief in der FAZ zum Artikel von Lewitscharoff.
Natürlich sind die Piraten relativ literaturfern. Aber ist die Piratenbasis unbelesener als die der CDU, der SPD, der Grünen, der FPD oder der Linken?
Und was bedeutet das? Ist sie damit weniger geeignet über die Veränderungen nachzudenken und Schlüsse zu ziehen als die anderen? Wäre das nicht ein bisschen vermessen als Annahme in einer Welt, in der Politiker nicht wissen, was ein Browser ist und technisch unbedarfte Tatort-Autoren "ein bisschen Überwachung" für okay halten, wenn sie dann weiter vom Verfassen von Drehbüchern leben können?
Darf man heute nur über die kulturelle Bedeutung des Internets sinnieren, wenn man Kant gelesen hat?
Nein, mit Sicherheit nicht. Wie man beispielhaft etwa an diesem relativ erkenntnisfreien FAZ-Text von 2010 sehen kann.
Darf man heute nur über die kulturelle Bedeutung des Internets sinnieren, wenn man Benkler gelesen hat?
Ja.
Und damit fallen knapp 100 Prozent des deutschen Feuilletonbetriebs weg.
Eines der unverschämtesten und deswegen bei vielen Menschen verständlich Frust erzeugenden Aspekte des in Deutschland gerade tobenden Urheberrechtsstreit ist die von oben herab kommende Arroganz derjenigen, die zwar massenmedial leicht Gehör finden können, die sich aber in keinster Weise mit den akademischen Abhandlungen oder auch nur den wichtigsten Büchern zum Internet und dessen gesellschaftlicher Bedeutung beschäftigt haben, ja nicht einmal grundlegende Aspekte von Recht und Technik verstehen, aber meinen, ihre Namenshuberei würde ihnen Deutungshoheit geben.
(Anmerkung: Damit meine ich nicht explizit Michael Angele, sondern mehr die von ihm beschriebene Kultur. Außerdem: Ich bin kein Mitglied einer Partei und habe nicht vor, in eine einzutreten.)