8. Aug. 2013 Lesezeit: 4 Min.

Urheberrechtsmaximalisten bekommen alles, sehen sich aber in der Minderheit

Andreas von Gunten hat vor ein paar Tagen über die Amazon-Studie von Paul Heald geschrieben, die wir hier auch behandelt haben: Wie das Urheberrecht die kulturellen Werke des 20. Jahrhunderts zum Verschwinden bringt

In den Kommentaren gab es eine lebhafte Diskussion dazu. Unter anderem hat der Science-Fiction-Autor Andreas Eschbach gegen eine Schutzfristverkürzung argumentiert. An einer Stelle argumentierte er, damit in einer Minderheitenposition zu sein.

In meinem Kommentar gehe ich auf diese erstaunlicherweise oft vertretene, ausgesprochen realitätsfremde Position ein:

Andreas Eschbach:

[..]und es ist momentan so, dass die Urheberrechtsverkürzer eine laut
trommelnde, eloquente Bewegung sind und die Künstler (idR ohnehin nicht
die kommunikativsten Menschen) eine verschreckte Minderheit, die zu
überwältigen kein Problem ist.

Mein Kommentar dazu:

Sich selbst zur unterdrückten Minderheit stilisieren ist ein beliebtes Rhetorikmittel, aber in diesem Fall könnte es nicht weiter von der Realität entfernt sein.

Vor einem Jahr hat das Handelsblatt eine Titelgeschichte mit über 12 Seiten im Heft herausgebracht, in dem es für das heutige restriktive Urheberrecht geworben hat. Das war keine Debatte, keine Berichterstattung, das war eine Kampagne. 

Ebenfalls vor einem Jahr wurde publicityträchtig ein Aufruf von Urhebern (die noch nicht gemerkt haben, dass heute jeder Urheber ist) in der ZEIT gestartet. Ebenfalls wieder keine ausgewogene Berichterstattung, sondern eine Kampagne.

Dem voran gingen über Jahre immer wieder Titelgeschichten in den führenden Leitmedien, in denen nicht nur das heutige Urheberrecht nicht in Frage gestellt sondern immer verteidigt wurde.

Es gibt seit der Existenz des Urheberrechts keine einzige Titelgeschichte, in der eine Lockerung des Urheberrechts gefordert wird. Ja, es gibt nicht einmal eine Titelgeschichte oder einen Leitartikel, in dem eine Lockerung des Rechts als ernst zu nehmende Option debattiert wird. Die für Aufsehen sorgenden Artikel gehen immer in eine Richtung.

Es hat bis dato keine Bundesregierung gegeben, die über eine Verringerung der Schutzfristen auch nur öffentlich nachgedacht hat.

Schutzfristen werden stattdessen konstant verlängert. Sie wurden noch nie gekürzt. Erst letztes Jahr wurden die Leistungsschutzfristen für Tonaufnahmen auf EU-Ebene und anschließend auf Bundesebene in Deutschland rückwirkend(!) verlängert.

Eine rückwirkende Verlängerung ist ökonomischer und kultureller Wahnsinn, wird von allen Wissenschaftlern abgelehnt und ist offensichtliche Lobbypolitik.

Es gab in der massenmedialen Öffentlichkeit keine Debatte im Vorfeld, keine Diskussion dazu, keinen Aufschrei. Es gab nur sehr wenige vereinzelte Artikel davor und danach, die kaum Aufmerksamkeit erlangten. Es gab auf jeden Fall keine Titelgeschichte, keine Kampagne dagegen.

Gleichzeitig haben es internationale Unterhaltungskonzerne wie Disney geschafft, dass das Urheberrecht/Copyright vorbei an demokratischen Entscheidungsprozessen über internationale Verträge wie TRIPS auf eine absurd hohe Mindestfristdauer festgeschrieben wurde, die sich zu unseren Lebzeiten nicht mehr ändern wird. Auch weil, wie oben angeführt, die Massenmedien hierzulande und in anderen Ländern geschlossen auf der Seite derer stehen, die für eine allumfassende Monopolisierung und Privatisierung unserer Kultur sind.

Vor einem reichlichen Jahr, als in Deutschland eine Urheberrechtsdebatte simuliert wurde, wunderte sich Dirk von Gehlen über die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Hysterie bei ZEIT, Handelsblatt und anderen und der Realität im Bundestag:

[..]die Welt außerhalb des Bundestages ist – wenn man die öffentlichen Meinungsäußerungen der vergangenen Wochen verfolgt – vor allem von der Frage aufgebracht, ob das Urheberrecht nun alsbald aufgeweicht oder gar abgeschafft wird. Alle Äußerungen von Sven Regeners Wutrede bis zum „Wir sind die Urheber“-Aufruf vergangene Woche gründen sich auf dieser Annahme. Im Inneren des Bundestags hingegen ist eine ganz andere Frage Thema: nämlich die Verschärfung des Urheberrechts. Das Warnhinweismodell, das heute debattiert wurde, ist jedenfalls nicht als Abbau der Urheberrechte zu sehen. Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung vor dem Bundestag und im seinem Inneren ist durchaus erstaunlich.

Ich fügte damals an:

Nahezu alle, die bisher laut aufgeschrieen haben, haben sich wenig bis gar nicht mit dem aktuellen Urheberrecht und schon gar nicht mit der Debatte auseinandergesetzt. Sie wissen nicht, was das Internet bewirkt und sie können das industriell geprägte Urheberrecht nicht in Kontext setzen. Sie wollen deshalb lieber jede Debatte im Keim ersticken, unwissend wie gesellschaftlich schädigend der Status Quo ist. Sie interessieren sich für ihre eigenen Pfründe und nicht für unsere Kultur.

Wäre es anders, hätte es letztes Jahr einen Aufschrei gegeben, als auf EU-Ebene die Schutzfristen für Musikaufnahmen rückwirkend verlängert wurden.

Die öffentliche Realitätsverweigerung vieler Urheberrechtsmaximalisten geht so weit, dass sie selbst ihre eigene Machtposition im Diskurs und dem politischen Gefüge irreführend darstellen. Dabei ist diese Asymmetrie wesentlicher Bestandteil der Urheberrechtsdebatte. (Wie im übrigen bei auch fast jeder anderen Debatte über Internetthemen, wie etwa zum Beispiel zum Medienwandel.)

Einige, wie Andreas Eschbach, glauben diese falsche Sicht sicher auch selbst, weil es für das Selbstbild angenehmer ist, Teil einer eingekesselten Minderheit zu sein als am Rande zur mächtigsten Phalanx des kommerziellen Kulturbetriebs zu zählen, die seit Jahrzehnten auf der Politik international spielt wie auf einer Klaviatur.

(Es sei angemerkt, dass Teil dieser Phalanx zu sein die eigene Position natürlich nicht weniger valide macht. Ich mache meine Position zum Beispiel nicht a priori davon abhängig, ob ich damit auf der Seite von Konzernen stehe oder nicht. Ich weiß zum Beispiel, dass meine Vorstellung eines Urheberrechts auch positiv etwa für Google wäre, das macht sie aber nicht automatisch weniger oder mehr valide. Ein Kreativschaffender wie Eschbach könnte aber auch instinktiv spüren, dass das es erheblich schwieriger macht, die für möglichst ausgeprägte Exklusivrechte stehende eigene Position erfolgreich zu vertreten.)

So oder so, es verdeutlicht ein weiteres Mal, wie schief oft die rechtliche und gesellschaftliche Situation zum Urheberrecht und zur Kultur wahrgenommen wird.

Die verzerrte Sicht geht natürlich noch weiter. Denn nicht nur sind die Künstler keine Minderheit, die leicht zu überwältigen ist. Es gibt auch niemanden, der sie überwältigen will. Diejenigen, die ein lockereres Urheberrecht öffentlich diskutieren, auf deutsch also etwa von Gehlen, Dobusch, von Gunten, ich und andere, im englischen Doctorow, Masnick und andere, arbeiten nicht gegen Künstler sondern haben gerade auch diese vor Augen, wenn es um ein modernes Urheberrecht geht.

Wie ich in einem anderen Kommentar zum Artikel von Andreas von Gunten schrieb:

Es ist kein Gegeneinander. Es geht nicht um 'Wir' gegen 'Euch'. Märkte sind selten Nullsummenspiele. Der Kulturbereich ist aber besonders weit davon entfernt. Wie Yochai Benkler so konzis in "The Wealth of Networks" zusammenfasste, sind immaterielle Güter immer gleichzeitig Input und Output. Man baut immer auf dem Vorherigen auf.
Wer also für ein starkes Urheberrecht ist, ist vielleicht für die Kreativen von Gestern, aber mit Sicherheit nicht für die von heute und erst recht nicht für die von morgen, deren Handlungsspielräume enorm eingeschränkt werden. Das ist nur ein Aspekt von vielen. Ich wünschte, es würden sich mehr Kreativschaffende, die sich in die Debatte einschalten wollen, damit auseinandersetzen, statt mit einem plumpen "Ihr wollt mir doch nur mein Geld wegnehmen" um die Ecke zu kommen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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