Auf Wordpress.com gehostete Blogs können heute direkt mit ActivityPub ausgestattet werden. Ein Paukenschlag, dessen Bedeutung für ein dezentrales Social Web kaum überschätzt werden kann.
Wer neunetzcast hört, wusste bereits, dass dieser Paukenschlag dieses Jahr noch kommt.
Matthias Pfefferle, seit Anfang des Jahres Open Web Lead bei Automattic, hatte im Podcast bereits angekündigt, dass Wordpress.com ActivityPub bekommt. Funktionalität, die selbstgehostete Wordpress-Publikationen mit seinem Plugin bereits seit Jahren umsetzen können.
Was heißt das konkret:
- Das eigene Wordpress-Blog ist die Instanz, über die andere der Publikation folgen können. (Es braucht keinen separaten Mastodon-Account oder ähnliches.)
- Replies auf Blogposts auf Mastodon und co. sind automatisch Kommentare im Blog.
- Für alle Accounts verfügbar. (Free, Personal, Premium; als Plugin für Business und Commerce) Es ist also kein Bezahlfeature.
- Die Default-Einstellung ist off. ActivityPub muss erst aktiviert werden.
Siehe u.a. das WordPress.com-Blog
Warum das wichtig ist liegt einerseits an Wordpress.com selbst. Wordpress ist das CMS, auf dem ein Drittel aller Websites im Netz laufen. Die offizielle Hostingplattform Wordpress.com ist der größte Hostingdienst für Blogs und Puplikationen im Netz.
Ich habe keine Zahl der aktuell auf Wordpress.com gehosteten Publikationen gefunden. Aber hier ein paar andere offizielle Zahlen:
- Users produce about 70 million new posts and 77 million new comments each month.
- Over 409 million people view more than 20 billion pages each month.
Einerseits also das sehr große Wordpress.com. Der wichtigste Hoster für kleine und große Publikationen bis hin zu TechCrunch und CNN.
Zusätzlich ist diese Entwicklung wichtig wegen dem, was ActivityPub für das Publizieren im Netz repräsentiert.
In meinem diesjährigen re:publica-Talk über das Social Web hatte ich das Protokoll in den größeren Publishingkontext gesetzt.
Es gibt, grob gesagt, strukturell zwei Arten von Wegen, wie Publisher, egal ob Blogger oder Verlage, ihr Publikum erreichen können.
Die eine Art ist proprietär. Also in Form von Accounts auf proprietären Plattformen wie Twitter, Facebook, Telegram, LinkedIn und so weiter, wo die Inhalte auf separaten dortigen Plattform-Accounts verlinkt eingespielt werden.
Die andere Art der Wege, das Publikum zu erreichen, ist offen. Also basierend auf Standards bzw. Protokollen. Offensichtlich hat diese Art viele Vorteile: Sie gibt den Publishern mehr Gestaltungsmacht und, vielleicht sogar wichtiger, weniger Abhängigkeit von der vermittelnden Plattform.
Bis dato gab es allerdings nur 2 Standards bzw. Protokolle, die überhaupt eine Rolle gespielt haben.
Email und RSS.
ActivityPub hat diesen illustren, aber kleinen Kreis auf drei vergrößert. ActivityPub wird langsam relevant. Es ist offen. Und mehr noch, ActivityPub hat etwas, das die anderen nicht haben. Es erlaubt Interaktion. (Tatsächlich habe ich im neunetzcast letztes Jahr von Matthias Pfefferle gelernt, dass ActivityPub seinen Ursprung als eine konzeptionelle Weiterentwicklung von Atom mit dem Ziel hatte, einen Atom/RSS-Standard mit Interaktionsmöglichkeit zu erschaffen.)
Das ist, pardon my French, a big f***ing deal.
Es ist kein Zufall, dass die einzigen resilienten weil wirtschaftlich nachhaltigen, longtailig-nischigen Onlineöffentlichkeiten nur auf diesen Standards basierend entstanden sind. Emails haben Newsletter ermöglicht. RSS hat Podcasts ermöglicht.
In beiden Fällen wachsen die Ökosysteme rund um die wachsenden Publisherwelten seit Jahren weiter und professionalisieren sich.
ActivityPub bringt die Öffentlichkeitspotenziale von Social Networks und die Kontrolle bei den Usern und Publishern/Kreativen/Creators zusammen.
Wordpress.com ist jetzt mit einem Schlag ein wichtiger Player in diesem noch jungen Kosmos geworden.
Andere, wie Threads, werden folgen.
So funktionieren Standards. Dass Wordpress.com diese Funktion bietet, macht es für Threads noch attraktiver, ActivityPub einzubinden. Für Publisher auf Wordpress.com wiederum wird es mit Threads erst recht attraktiv, ActivityPub einzuschalten.
In ein paar Jahren, ist zu hoffen, wird ActivityPub so populär und etabliert sein, dass Wordpress.com ActvityPub per Default einschaltet.
So wie es bei RSS-Feeds der Fall ist.
~
Während in den USA TechCrunch, The Verge und andere angemessen berichten, hat hierzulande bis dato nur heise darüber berichtet.
Das zeigt, dass die Tragweite noch nicht in den Köpfen hierzulande angekommen ist.
Das merkt man auch daran, dass auch über ein Jahr nach den ersten Schlagzeilen, die das ActivityPub-basierte Mastodon dank Musk-Twitter machte, keine NGOs, die sich mit Onlineöffentlichkeit beschäftigen, aktiv das ActivityPub-Ökosystem nach ihren Werten und Vorstellungen mitgestalten.
Auch mein Aufruf an alle NGOs diesbezüglich auf der re:publica hatte keine Resonanz gebracht.
Es gibt noch viel zu tun.