22. Juli 2014 Lesezeit: 3 Min.

Was der September-Start von Netflix für deutsche TV-Sender bedeutet

Im Rahmen des Quartalsberichts hat Netflix bekanntgegeben, dass der On-Demand-Streaming-Anbieter im September nach Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien und Luxemburg kommt.

Die internationale Expansion in die genannten europäischen Länder war lang bekannt. Wenig überraschend verzeichnet Netflix, das im Heimtmarkt USA unangefochtener Marktführer ist, den Großteil des Wachstums mittlerweile international:

The company added 1.12 million subscribers in its international markets, compared to 610,000 a year ago, and now has 13.80 million subscribers abroad, up from 7.75 million a year ago.

Dieses Wachstumspotenzial incentiviert Netflix, auch hierzulande in den Katalog zu investieren. Man darf gespannt sein, was tatsächlich zum Start auf Netflix verfügbar sein wird.

Vor einem Jahr haben wir über die Frage debattiert, was ein starker Streaminganbieter wie Netflix für deutsche TV-Sender bedeuten kann:

 Netflix ist bekanntlich massgeblich für den Erfolg und damit das Weiterbestehen der TV-Serie “Breaking Bad” verantwortlich, die wahrscheinlich nicht allein in dieser Situation ist. Es ist somit nicht verwunderlich, dass der verhältnismäßig kleine US-Kabelsender AMC, bei dem Breaking Bad läuft, gut mit Netflix zusammen arbeitet. Dass sie statt zu einem UK-Sender zu Netflix gehen, spricht ebenfalls Bände über die Summen, die Netflix mittlerweile zahlen kann. Sie scheinen mit denen regulärer TV-Sender konkurrieren zu können.

Die langfristigen Auswirkungen dieser Entwicklungen auch etwa für den deutschen TV-Markt, der zu großen Teilen auf Lizenzen von US-Formaten angewiesen ist, werden enorm sein.

Was wenn Netflix, Amazon Instant Video, Watchever und co. zu den bevorzugten internationalen Lizenzpartnern für das US-TV werden?

Die Streamingdienste sind nicht nur in der Regel ebenso US-Unternehmen, was die Verhandlungen erleichtert. Noch wichtiger sind die strukturellen Unterschiede zwischen On-Demand-Streaming und linearem Fernsehen.

Je größer die Streamingangebote werden, desto eher werden sie die Anlaufstelle für die US-Lizenzgeber werden. Ein Amazon oder ein Netflix, dass eine Serie, sagen wir, in den 40 wichtigsten internationalen Märkten (in der Originalsprache sofort und etwas später lokalisiert) verfügbar machen kann, wird zunehmend attraktiver werden als TV-Sender, die immer nur für einzelne Märkte Lizenzen erwerben. Skaleneffekte, Transaktionskosten und die höhere Benutzerfreundlichkeit gegenüber dem linearen TV tun dann ihr Übriges.

Die Frage lautet: Wer wird in ein paar Jahren weltweit liefern können und wer wird auf den lokalen Markt beschränkt bleiben?

Watchever, mit viel Werbung in den deutschen Markt gedrückt, hat bisher keine Wellen auf dem deutschen TV-Markt machen können. Watchever-Mutter Vivendi plant Gerüchten(!) zufolge bereits wieder die Einstellung beziehungsweise den Verkauf des Streaminganbieters. Wohl weil die Zeit vor dem Netflixstart hierzulande nicht gereicht hat, um massgebliche Marktanteile aufzubauen.

Noch ist offen, mit welchem Katalog Netflix in Deutschland starten wird. In deutschen Presseartikeln zum geplanten Deutschlandstart wird impliziert, dass Netflix quasi eine vollwertige Alternative zum Fernsehen sein wird.

Das wird nicht der Fall sein.

Netflix und die Mitbewerber sind wie jeder andere Absatzkanal an die Releasefenster der Rechteinhaber gebunden. Netflix bewegt sich hier, da passt die Analogie zur Videothek wieder, ungefähr auf der zeitlichen Höhe wie die DVD. Das heißt, Serien und Filme erscheinen in der Regel frühestens zeitgleich mit der DVD-Box im Laden auch auf Netflix. Ausnahmen sind Eigenproduktionen und gesondert verhandelte Filme und Serien, bei denen sich für alle Beteiligten die Ausnahme offensichtlich lohnt. Aber es ist eben noch das: Eine Ausnahme.

Das ist jetzt noch so, wird sich aber in den nächsten Jahren, wie oben angedeutet, ändern, weil sich langsam die Verhandlungspositionen ändern werden. (Man könnte auch sagen, Netflix kann langsam immer mehr für Rechte bezahlen und eben auch immer mehr mit einem Schlag viele Märkte bedienen.)

Weil Deutschland schwach im Breitbandausbau ist, werden viele ländliche Gegenden weiter in die alte Röhre schauen müssen. Mit der steigenden Popularität von Netflix und Amazon Instant Video könnte der Druck der Bevölkerung auf Politik und Wirtschaft wachsen, dieser Misere ein Ende zu machen.

In der Zwischenzeit, also auf absehbare Zeit, wird Netflix allerdings nicht ansatzweise alle deutschen Internetnutzer bedienen können. Der adressierbare Markt könnte also kleiner sein als gemeinhin angenommen.

Die künftige Entwicklung scheint recht offensichtlich: Aus Unwissenheit schaffen die berichtenden Journalisten eine überzogene Erwartung an Netflix, die der deutsche Katalog zum Start nicht wird erfüllen können. Die vermeintliche öffentliche Enttäuschung wird dankbar von den deutschen TV-Sendern aufgenommen werden, die Netflix als unbedeutend abtun werden. Zum Teil haben sie damit auch recht. Netflix wird weder dieses noch nächstes Jahr für sie gefährlich werden. Aber das Netflix-Modell ist die Zukunft.

Der Stack der Zukunft des Fernsehen ist bereits da; und wird quasi monatlich besser. AppleTV, Chromecast, FireTV und darauf Netflix, iTunes, Google Play, Amazon Instant Video, Vimeo und last not least YouTube. Netflix wird diese Entwicklung dank eines sehr guten Gesamtangebots (das auch vor allem technisch einem Watchever haushoch überlegen ist) auch hierzulande beschleunigen.

Was heute und morgen verlacht werden wird, wird in ein paar Jahren einer der Hauptgründe sein, warum die ersten deutschen privaten TV-Sender verschwinden werden.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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