21. Dez. 2011 Lesezeit: 2 Min.

"Wir haben versagt."

Stephan Urbach schlägt in die gleiche Kerbe wie Sascha Lobo es seit längerem zu recht macht:

Wir haben in Blogs, in Foren, auf Twitter und was weiß ich sonst noch wo diskutiert, haben Leitartikel für unsere Magazine geschrieben und wild debattiert. Die Politik hat weiterhin ihre Zeitungen gelesen. Die Printausgaben. Auf Papier. Was stand darin von der VDS-Debatte? Was von der Netzneutralitätsdebatte? Was von der PNR oder SWIFT-Debatte? Fast nichts. Sehr wenig. Nichts, was die Menschen da draußen ausreichend informiert hätte, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

Wir haben versagt. Wir haben konsequent versagt, unsere Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Nein, das ist nicht die Netzöffentlichkeit, sondern das sind die Printmedien, Nachrichtenmagazine und Talkshows im Fernsehen. Wir sind immer noch eine Minderheit, eine Elite, die den politischen Diskurs im Netz führt und zu Ergebnissen kommt. Wir führen den Diskurs untereinander, nicht mit dem politischen Gegner (damit meine ich, dass die wenigen Politiker, die sich den Diskurs im Netz antun, nicht repräsentativ sind) und wir führen den Diskurs nur in der Netzöffentlichkeit, nicht jedoch in den Medien, die die meisten Bürgerinnen und Bürger immer noch konsumieren: den Tageszeitungen, den TV- und Radionachrichten.

Das kann man denen, die sich mit dem Web beschäftigen, nur bedingt vorwerfen. Ein schwerwiegendes strukturelles Problem des Medienwandels liegt in der Befangenheit der Medien begründet.

Die klassischen Medien sind nicht in der Lage, über den Medienwandel zu berichten, ohne die eigene Rolle die Berichterstattung einfärben zu lassen - was nur ein Problem ist, weil Rolle und Einfärbung hinter einer Schein-Objektivität versteckt werden. Sie berichten deshalb auch hysterisch über vermeintliche Datenschutzverletzungen und über allgemeine Risiken von Dieben und Trickbetrügern im Web allgemein und auf Plattformen wie Facebook im Speziellen.

Tatsächlich ist es auch ein Beweis für einen tiefgreifenden qualitativen Niedergang, das nicht nur Journalisten innerhalb der Insititutionen nicht für institutionelle Selbstreflektion sorgen, sondern auch aus diesen austretende Journalisten nicht Blogger und Unternehmer sondern PR-Berater werden.

Wie viele Medienjournalisten haben wir in Deutschland, die man als Experten des strukturellen Wandels der Medien bezeichnen könnte? Oder, noch ein wenig boshafter gefragt: Wie viele Medienjournalisten haben wir, die in Interviews zum Thema Internet und Medien nicht den interviewten Verlagsvertretern nach dem Mund reden und fragen?

Diese Universalunion von Beobachter und Betroffener ist eines der entwicklungshemmenderen Probleme.

Und vor diesem Hintergrund ist es sehr viel schwerer, über diese Themen in der massenmedialen Öffentlichkeit zu reden als über andere brisante Themen, wie, sagen wir, Atomkraftwerke. Selbst ein so stark von Lobbyismus durchzogenes Thema wird in den Massenmedien ausgewogener begleitet als der Medienwandel und mit ihm Internet und Digitalisierung. (Nach Spiegel-Titelthemen gerechnet ist Facebook um einiges brisanter als alle Atomkraftwerke zusammen.)

Urbach hat natürlich trotzdem recht.

Gerade weil die klassischen Medien zwar keine jungen Menschen mehr als neue Leser verzeichnen können, aber die älteren Jahrgänge ihnen treu bleiben. Und sich Führungskräfte und Top-Politiker eben aus älteren Jahrgängen rekrutieren.

Was aber, wenn die Institutionen hinter den Medien gar kein Interesse daran haben, dass die Experten kommen und ihre Diskurse mitbringen?

Schwerwiegender als nicht in die klassischen Medien zu gehen liegt die Tatsache, dass hierzulande im Netz keine ausreichenden Äquivalente mit eigenem Publikumssog aufgebaut wurden.

Wir werden auch in Deutschland irgendwann einen Frontalangriff auf Bürgerrechte im Web bekommen wie die USA aktuell mit SOPA. Ob wir das dann werden aufhalten können wie seinerzeit Ursula von der Leyen ist eher offen, wenn man sieht, wie hart selbst in den vergleichsweise progressiven USA gekämpft wird. Dort waren es auch die Netzmedien und Blogger lang vor den klassischen Massenmedien und Journalisten, die gegen SOPA angegangen sind. Im Verbund mit erfolgreichen Webdiensten wie Tumblr zeigt man dort Politikern, was die Bevölkerung von dem Gesetz hält.

Möchte man hierzulande darauf vertrauen, dass etwa die Samwers Ähnliches leisten würden?

(via Martin Oetting)

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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