4. Jan. 2011 Lesezeit: 3 Min.

Wirre Aussagen zum Medienwandel von der neuen ARD-Vorsitzenden

Mindestens ebenso unsinnig wie das Gerede rund um eine Umsonstkultur im Internet ist die Behauptung, das Internet hätte einen Geburtsfehler: Eben diese Umsonstkultur. Neueste Person, die das behauptet:

Monika Piel, die neue ARD-Vorsitzende, in einem Interview im Tagesspiegel.

Den Geburtsfehler des Internets - kostenlose Inhalte - zu beseitigen ist aber schwierig und langwierig.

Seit das Internet im Mainstream in der zweiten Hälfte der Neunziger angekommen ist, versuchen Presseverlage in der westlichen Welt regelmäßig und bis auf sehr wenige Ausnahmen erfolglos, Bezahlschranken zu etablieren. Den einzigen Geburtsfehler hatten solche Websites, die von Anfang an mit Bezahlschranken ausgestattet waren, bis diese mangels Erfolg abgeschaltet wurden. (Ein Beispiel von vielen ist das Handelsblatt.) Die Debatte ist so alt wie das Internet und wer heute von einem Geburtsfehler redet, kennt weder die Geschichte der Branche noch die auf die sie wirkenden Marktdynamiken.

Außerdem sagt Monika Piel:

Wir bieten Kooperationen an. Mathias Döpfner, der Springer-Chef, denkt bei diesem Thema in die richtige Richtung. Er will eine Allianz der Qualitätsanbieter im Wettbewerb, unter anderem gegen Google, Apple und Vodafone. Die ARD steht dafür bereit.

Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Inwiefern stehen Google, Apple und Vodafone dem Erfolg der Presseverlage im Wege? Was hat das mit der ARD zu tun? Und was ist mit dem Kartellrecht passiert?

Es wird noch verwirrender:

Ist Google eine Bedrohung für die ARD?

Natürlich. Das gilt aber nicht nur für uns, sondern für alle Qualitätsmedien.


Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, in welcher Situation Google gefährlich für die ARD ist. Google hilft wie bei den privaten Angeboten auch bei den Öffentlich-Rechtlichen bei der Verbreitung ihrer Inhalte. Da diese Inhalte vom Gebührenzahler finanziert sind, ist eine maximale Verbreitung wünschenswert.

Wird die ARD auch von Kabelanbietern bedroht? Von DVB-T-Antennen-Herstellern?

Und was ist eigentlich mit Facebook, Twitter und Co.? Bedrohen diese auch die ARD? Einige deutsche Presseverleger haben schließlich Facebook als die neue "Gefahr" (lies: potentielle Einnahmequelle) bereits im Juni 2010 erkannt.

Piel weiter:

Wir bieten in Apps nichts anderes an, als das, was ohnehin auf unseren Internetseiten abrufbar ist. Wir wollen keine Wettbewerbsverzerrung betreiben. Wenn es die Verleger schaffen, alle ihre Apps kostenpflichtig zu machen, werde ich mich in der ARD dafür einsetzen, dass auch wir Geld verlangen.

Die ARD finanziert also Applikationen für ein Betriebssystem, das nur von einer verschwindend geringen Zahl der Gebührenzahler genutzt wird und diese Applikationen, die mit gebührenfinanzierten Inhalten befüllt werden, sollen auch noch kostenpflichtig werden?

Wenn das Privatfernsehen komplett auf Pay-TV umschalten würde, würde die ARD dann auch nachziehen?

(Randnotiz zu den durchaus zu kritisierenden iOS-Apps: Ein sinnvollerer Einsatz der Ressourcen wäre gewesen, HTML5-Seiten mit Multitouch-Optimierung auszubauen und zu verbessern, weil diese automatisch Multihoming und damit maximale Verfügbarkeit mitbringen. Das Gleiche gilt für Programmierschnittstellen.)

Monika Piel weiter:

Noch gibt es allerdings beispielsweise an die hundert kostenlose Sport-Apps. Ich kann mir zudem mit den Verlagen eine gemeinsame Internetplattform vorstellen. Dort könnten die Verlage und die Anstalten dann ihre kostenpflichtigen Qualitätsinhalte vertreiben. Es ist vieles denkbar, wenn wir uns mit den Verlegern auf diesem Gebiet endlich zusammenschließen.

Die vielen kostenlosen Applikationen werden auch bestehen bleiben. Der Grund ist unter anderem das Gefangenendilemma.

Der gemeinsame Vertrieb aller 'Qualitätsinhalte' von Presseverlagen und Öffentlich-Rechtlichen? Am besten noch mit gegenseitiger Verzichtserklärung, Angebote kostenlos oder unter einem festgelegten Preis anzubieten?

Nochmal: Kartellrecht?

~

Ich glaube, dass die meisten Aussagen von Monika Piel nicht unbedingt ernst gemeint sind und eher dazu gedacht sind, die zunehmend hysterisch auch gegen die ARD zu hetzenden Presseverlage zu beruhigen. Immerhin wurde das Interview von Hans-Peter Siebenhaar und Gabor Steingart geführt. Also den zwei Spezis, die auch für das legendäre Döpfner-Handelsblatt-Interview letzten November verantwortlich waren.

Ich bezweifle allerdings, dass es eine kluge Strategie der ARD ist, die widersinnigen Positionen und Argumente der besonders lauten Presseverleger zu wiederholen und damit zu verfestigen.

Klarheit und Besonnenheit wäre in der deutschen Medienwandel-Debatte, die aktuell völlig aus dem Ruder läuft, dringend nötig. Schade, dass das nicht von der ARD kommen wird.

~

Siehe zum Thema auch:

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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