Ein Zeichen dessen, was vermehrt Thema in der Debatte rund um die wirtschaftlichen Verschiebungen werden wird: Bits, das Techblog der New York Times, berichtet über das drei Jahre alte, erfolgreiche SideReel, einen Aggregator von Links zu Streamingangeboten von TV-Serien. Die Links werden von den Nutzern zusammengetragen.
Und natürlich findet man auf SideReel neben Links zu den offiziellen Angeboten wie Hulu auch Links illegal hochgeladener Serienepisoden auf diversen Videostreaminganbietern:
SideReel, based in San Francisco, lists around 17,000 shows, or half a million episodes. It sends its registered users e-mail notifications when fresh episodes of their favorite programs become available. The site makes money through advertisements, and it also receives a referral fee every time someone purchases a show through Amazon Video-on-Demand, iTunes or Netflix.Although the majority of the show episodes listed on SideReel are from legitimate sources, it includes lots of pointers to sites with pirated versions.
SideReel ist relativ erfolgreich:
[SideReel-CEO Roman] Arzhintar said SideReel receives nine million unique visitors a month and has been profitable for nearly two years, although he declined to discuss specifics. To date, the start-up has received $1.5 million from angel investors.
Unkontrollierbarer User Generated Context
Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass SideReel sich an der illegalen Distribution bereichert. Aber diese Beurteilung greift zu kurz.
SideReel kann nur mit Hilfe der User ein umfassendes Linkarchiv zu allen verfügbaren Streaming-Angeboten aufbauen. Auf SideReel befindet sich kein Material, das gegen das Urheberrecht oder das us-amerikanische Copyright verstösst. Dort findet man nur Links zu anderen Angeboten.
Ein Teil dieser anderen Angebote, Videostreaming-Websites wie Megavideo, setzt ebenfalls auf User Generated Content. Das heißt, die Nutzer laden die Videos hoch.
Das macht die Sache für die Urheber und die Verwerter juristisch schwierig aber wirtschaftlich nicht einfacher. Ihre Hoheit über die Distribution ihrer Inhalte verlieren sie trotzdem.
Natürlich können die Links auf SideReel und die Videos auf Megavideo etc. entfernt werden, wenn die Anbieter über einen Verstoß von den Betroffenen informiert werden. Aber das grundlegende Dilemma, dass ich bereits zum Fall GVU vs. Sixtus beschrieben hatte, bleibt bestehen:
Dieser Fall zeigt auch noch einmal deutlich, dass die oft geforderte umfängliche Haftung von Plattformprovidern für auf ihren Plattformen eingestellte Werke nicht funktionieren kann. Wenn schon Urheberrechtskämpfern wie der GVU solche Fehler unterlaufen, die sich besser als sonst jeder mit den Rechten ihre Klienten und Unbeteiligter auskennen müssten, wie sollte dann ein unbeteiligter Plattformprovider immer exakt bestimmen können, ob eine Urheberrechtsverletzung auf seiner Plattform geschieht, ohne diese Plattform mehr oder weniger komplett abzustellen?
Viele Angebote lassen sich nur mit User Generated Content (oder in diesem Fall eigentlich passender: User Generated Context) umsetzen oder setzen diesen in den Mittelpunkt. In der Natur dessen liegt aber eine nicht umfänglich mögliche Kontrolle, weil nie jeder wissen kann, wer welche Rechte woran eigentlich besitzt.
Offensichtlich nicht einmal Experten wie die GVU.
Digitalisierung: Beyond Filesharing
Auf einem Event vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit jemanden, dessen Unternehmen im Auftrag von Rechteverwertern Ein-Klick-Hoster und Streaming-Anbieter kontaktiert, um dortige Rechtsverstösse zu entfernen. Nach meiner Frage, welche Rolle Filesharing bei ihrer Arbeit spiele, winkte er ab: Mit Filesharing beschäftigen sie sich gar nicht mehr. Filesharing habe im Vergleich zu den Ein-klick-Hostern wie Rapidshare und den unzähligen Streaming-Anbietern und Link-Aggregatoren an Bedeutung massiv verloren.
(Es gibt keine verlässlichen Zahlen zur Nutzung. Aber meine Vermutung ist, dass die Nutzung von Filesharing bei den Geeks und Nerds konstant hoch geblieben bzw. sogar noch gestiegen ist, während die Nutzung von Streaming und Ein-Klick-Hostern zur Besorgung unautorisiert verteilter Inhalte vor allem bei den weniger technikaffinen Schichten der Internetnutzer hinzugekommen ist.)
Diese Entwicklung zeigt: Filesharing war nie das Problem, sondern nur eine Folge des 'Problems': Filesharing war die Folge der Veränderung in den Kostenstrukturen. Filesharing ist kostenfrei für die beteiligten Nutzer betreibbar. Ohne zusätzliche Kosten für alle Beteiligten werden die Inhalte effizienter verbreitet.
Ähnliche Kostenverschiebungen machen sich jetzt Ein-Klick-Hoster, Streaming-Anbieter und auf sie verweisende Aggregatoren zu nutze. (Hier geht es allerdings mehr um die niedrigen Kosten pro verbreiteter Einheit im Verhältnis zu Möglichkeiten der Verwertbarkeit in Form von Werbung etc. Die Anbieter machen es sich natürlich zum Vorteil, dass sie nichts mit den Fixkosten der Inhalte-Erstellung zu tun haben und sich allein auf die Bereitstellung der Distribution konzentrieren.)
Im Gegensatz zum Filesharing-Sektor findet man hier jetzt tatsächlich Firmen im Mittelpunkt, die direkt von der illegalen Aktivität profitieren. Gleichzeitig, und das ist nicht minder wichtig, können alle Angebote auch für legale Aktivitäten genutzt werden. Ihre Angebote sind ' lediglich' in der Ausgangslage indifferent gegenüber den Urheberrechten bzw. Copyrights der verbreiteten Inhalte.
Man blicke zehn Jahre in die Zukunft und stelle sich vor, dass Schulkinder Streamingserver auf ihren Mobiltelefonen betreiben oder dass jede Privatperson genügend Ressourcen für Aktivitäten jeglicher Art über Cloud Computing mit Amazons AWS, Googles AppEngine oder anderen Angeboten für verschwindend geringe Bezahlung umsetzen kann. Gleichzeitig erlaubt dann fertige Open-Source-Software die Einrichtung ohne tief gehende technische Vorkenntnisse. Ein durchaus realistisches Szenario.
Die Entwicklung geht in diese Richtung, nicht in eine andere. Und das bedeutet wiederum, dass die Verbreitung der Inhalte immer vielfältiger und einfacher und damit demokratischer wird. Eine Kontrolle wird schwerer, nicht einfacher.
Das Problem für die Rechteverwerter und Urheber wird offensichtlich:
Sie kämpfen nicht gegen Filesharing sondern gegen die Verschiebungen der Rahmenbedingungen an, von denen Filesharing zwar die erste schwerwiegende aber bei weitem nicht die einzige Folge war. Ein Kampf der nicht gewinnbar ist und Energie verbraucht, die besser für das Finden passender Geschäftsmodelle aufgewendet würde.