8. Nov. 2010 Lesezeit: 4 Min.

Döpfner und Handelsblatt: Der Aufstieg der Konkurrenz-Kultur

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Hans-Peter Siebenhaar (Der Handelsblatt-Autor, der vor kurzem bereits über das von Presseverlagen geforderte Leistungsschutzrecht und erfundene 'Raubritter im Netz' schrieb) hat gemeinsam mit Gabor Steingart für das Handelsblatt Springer-Vorstand Mathias Döpfner interviewt. Das Interview ist auf beiden Seiten erstaunlich voll mit Halbwahrheiten und Nebelkerzen.

So sagt Döpfner bereits am Anfang:

Gute Inhalte bedeuten einen Aufwand. Sie stellen einen Wert dar und müssen daher bezahlt werden.

und

In den vergangenen Jahren haben manche geglaubt, sie könnten die Gesetze der Schwerkraft in der Marktwirtschaft aus den Angeln heben. Wir haben scheinbar innovative Geschäftsmodelle diskutiert. Manche waren überzeugt, allein schon die Aufmerksamkeit für Inhalte stelle einen unternehmerischen Wert dar. Doch das waren fromme Hoffnungen oder von Interessen gesteuerte Thesen. Man kann nicht mit Aufmerksamkeit bezahlen.

Was Döpfner ausblendet und die Interviewer ebenfalls nicht zu interessieren scheint: Medien seit sehr langer Zeit mehrheitlich werbefinanziert. In den USA seit ungefähr 180 Jahren:

Since then, for about 180 years, the retail price of a newspaper has never reflected the total cost of assembling and producing it. Any paper that tried to charge such a price (6x more) would lose circulation and be undercut by correctly priced competing papers.

Werbefinanzierung ist das Geldverdienen mit Aufmerksamkeit. Man verkauft die Aufmerksamkeit der Leser bzw. die eigene Reichweite an die Werbekunden.

Niemand hat je behauptet, man könne von Aufmerksamkeit allein leben. Aufmerksamkeit ist ein Wert, der dank der Informations- und Kanalzunahme allgemein steigt, und der natürlich wirtschaftlich genutzt werden kann. (Es ist eine klassische rhetorische Strategie, eine möglichst absurde Position zu formulieren, diese dem 'Gegner' zu unterstellen, und dann kopfschüttelnd auf die Absurdität zu verweisen. In solchen Situationen könnten Interviewer gut nachhaken.)

Bemerkenswert ist auch, wie die Interviewer sich selbst Fronten ausdenken:

Vor allem die Internet-Konzerne aus dem Silicon Valley, Google & Co., predigen noch immer die Umsonst-Kultur des World Wide Web als Errungenschaft der Zivilisation und als demokratischen Fortschritt.

Kein Internet-Konzern, auch nicht Google, 'predigt' die 'Umsonst-Kultur'. Letzerer Begriff ist ein ausgedachter Umstand von Menschen, die kein Verständnis von Querfinanzierungen, Preisstrategien und (marginal komplexeren) Geschäftsmodellen haben.

Warum sind Google-Angebote in der Regel kostenfrei verfügbar? Weil Google sich mit Werbung refinanziert. Und das überaus erfolgreich. Die Google-Zahlen des dritten Quartals 2010:

[..]

Non-text search, including display ads from DoubleClick and YouTube ads, are on a $2.5 billion revenue run-rate. Google is putting ads on 2 billion video views a week. And mobile search is on track to be a $1 billion business this year.


Das hat nichts mit Predigen und nichts mit Umsonst-Kultur zu tun. Das ist sinnvolles, erfolgreiches Wirtschaften.

Mathias Döpfner:

Wenn der Supermarkt kostenlose Butter anbietet, nehmen wir die gerne mit. Es kümmert uns wenig, ob der Butterproduzent später bankrottgeht oder nicht.

Und darauf die Wirtschaftsjournalisten vom Handelsblatt:

Deswegen gibt es im Supermarkt auch nichts umsonst, weder die Butter noch die Plastiktüte.

Ein vollkommen hanebüchener Vergleich. Wie oben bereits ausgeführt, verbreiten Pressemedien ihre Inhalte bereits seit sehr langer Zeit unter Kosten. Online sind die Kosten pro Leser weitaus niedriger als sie es pro Tageszeitungsausgabe sind. Letztere muss gedruckt und verbreitet werden. Die Kosten für das Bereitstellen und Ausliefern einer Webseite mit Text pro ansurfenden Leser ist so gering, dass sie oft vernachlässigt werden kann. (Erst in der aggregierten Masse machen sich die Kosten bemerkbar. Wäre es anders, würde es zum Beispiel wohl weitaus weniger als Hobby betriebene Blogs geben.)

Unter Kosten führt also online leicht zum maximal niedrigsten Preis: Null. Mit diesem erreicht man die maximale Reichweite und kann (zum Beispiel) Werbung verkaufen. So wie man das bereits früher gemacht: Aufmerksamkeit verkaufen, maximale Reichweite mit Preisen pro Einheit die unterhalb der Kosten pro Einheit liegen.

Beim Preis selbst liegt der einzige Unterschied zwischen heute und vor dem Internet in der absoluten Höhe: Der Preis kann ohne weiteres auf Null sinken, weil die zugrundeliegenden Kosten es erlauben. Am relativen Verhältnis hat sich nichts geändert: Der Preis, den die Leser direkt zahlen, lag und liegt unter den Bereitstellungskosten.

Diese Dynamik einem schnäppchen-versessenen Konsumenten unterzuschieben, ist ein Strohmannargument. Aber, wenn die Presse schon immer so vorgegangen ist, wo liegt dann das Problem? Warum beschweren sich Pressevertreter wie Mathias Döpfner?

Weil online noch ganz andere Dynamiken entstanden sind, die den Presseverlagen tatsächlich zu schaffen machen. Auf der einen Seite ist die Anzahl der Werbeflächen enorm gestiegen. Werbekunden können heute über Google auf deren Suchseiten und auf Millionen von kleinen Websites werben. Facebook und andere neuartige Angebote nehmen zusätzlich Werbegelder ab. Angebote wie Immobilienscout24 oder Immonet und ähnliche Dienste in anderen Sparten graben das Geschäft mit Kleinanzeigen ab.

Damit nicht genug: Früher hatten Presseverlage oft lokale Monopole auf Werbeflächen. Sie konnten entsprechende Preise setzen. Die Presseverlage sind also nicht nur von mehr Konkurrenz bedrängt, sie sehen sich in vielen Bereichen historisch erstmals überhaupt Konkurrenz gegenüber.

Eines der Hauptprobleme der Presseverlage, um es kurz zu machen, ist also nicht, dass sie ihr Angebot unter Kosten an die Leser verbreiten, so wie sie es immer schon getan haben, sondern dass sie neuerdings mit Konkurrenz aus unzähligen Richtungen konfrontiert sind.

Aber wie soll man das alles knackig in der Öffentlichkeit verbreiten, wenn man gleichzeitig ein Artenschutzrecht für sich bei der Politik einfordert?

Von einer Konkurrenz-Kultur reden? Von einer Kultur des Wettbewerbs sprechen?

Nein, das geht natürlich nicht.

Das alles führt zwangsläufig zu strukturellen Veränderungen innerhalb der Branche. Der Springer-Konzern berichtet regelmäßig von Rekordgewinnen. Warum? Unter anderem weil in presseferne Webangebote investiert wurde:

Axel Springer steigerte den Konzernumsatz – wie bereits am 25. Februar 2009 vorab veröffentlicht – im Geschäftsjahr 2008 um 5,8 Prozent auf EUR 2.728,5 Mio. (Vj.: EUR 2.577,9 Mio.). Zu diesem Anstieg trugen insbesondere die 2007 akquirierten Unternehmen bei, unter anderem die Aktivitäten in der Schweiz sowie zanox.de und auFeminin.com.

Es ist Döpfner als Vorstandschef des Springer-Konzerns nicht vorzuwerfen, dass er mehr Geld verdienen will und dafür auch in Interviews marktwirtschaftliche Gesetze in seinen diesbezüglichen Forderungen ausklammert. Das ist Öffentlichkeitsarbeit und nachvollziehbar, auch wenn sie ihn nicht immer unbedingt als jemanden dastehen lässt, der weiß, wovon er redet.

Aber dass das Handelsblatt, das als Wirtschaftszeitung wirtschaftliche Zusammenhänge offen legen und erklären sollte, völlig an der Realität vorbei berichtet und in einem solchen Interview keinerlei kritische Ansätze oder Fragen formuliert werden, die auf ein grundlegendes Verständnis der sich verschiebenden Marktdynamiken hindeuten, ist wirklich bemerkenswert.

~

P.S.: Alle werbefinanzierten Medien sind zweiseitige Märkte. In Kürze werde ich auf neunetz.com die Preisstrategien für zweiseitige Märkte besprechen, die auch auf Medien zutreffen und noch einmal allgemein erklären, warum es wirtschaftlich sinnvoll sein kann, sein Produkt an eine Kundengruppe unter Kosten abzugeben.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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