Dirk von Gehlen über irreführende Begriffe:
Mir ist niemand bekannt, der an diese Umsonst-Kultur glauben würde. Die gibt es nämlich nicht. Es ist vielmehr eine Kultur, die auf anderen Finanzierungsmodellen beruht als die klassische Bezahlkultur. Das zitierte Freibier ist im Netz nämlich nicht umsonst. Es ist werbefinanziert.
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Ich halte dies gar nicht mal aus wirtschaftlichen Erwägungen für interessant, sondern aus sprachlichen: Ähnlich wie die falsche Rede vom Diebstahl zeigt die vermeintliche Kostenlos-Kultur, dass es an den sprachlichen Mitteln fehlt, die Veränderungen der Digitalisierung zu fassen [..]
Vielleicht ist es tatsächlich so, dass wir die Revolution, die das Internet angestoßen hat, erst dann produktiv nutzen können, wenn wir Begriffe gefunden haben für das, was sich gerade verändert.
Da mag was dran sein. Aber notwendig sind neue Begriffe nicht, da sich die Netzökonomie mehrheitlich mit den Begriffen und Theorien der BWL und VWL erklären lassen. Tatsächlich ist mir noch nicht ein Umstand untergekommen, bei dem das nicht der Fall war.
Allerdings verlangt die Erkenntnis, warum etwa jetzt Musikaufnahmen einem Preis von Null entgegensteuern und warum Online News kostenfrei wettbewerbsfähiger sind, ein theoretisches Grundverständnis der Märkte und die Wahrnehmung der neuen Marktsituationen; und zu guter Letzt natürlich den Willen, unvoreingenommen beides zu verbinden. Wer in einer betroffenen Branche seit Jahrzehnten arbeitet, dürfte dafür oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.
Das ist aber keine Entschuldigung dafür, an offensichtlich falschen Begrifflichkeiten über Jahre festzuhalten.
Es bleibt festzustellen, dass es nur zwei Erklärungen dafür gibt, dass etwa Vertreter von Presseverlagen oder der Musikindustrie an diesen fehlerhaften Begriffen festhalten:
1.: Sie sind vollkommen frei und unbefleckt von jeglichem Grundverständnis von Ökonomie. Sie haben keine Ahnung von den Mechanismen der Wirtschaft, obwohl sie leitende Positionen in der Wirtschaft innehaben.
Oder 2.: Sie halten daran fest, weil sie nur so die Dinge beibehalten können, wie sie sind. Nur so können sie rechtfertigen, dass sie trotz massiver Umwälzungen in ihren Märkten an der irrwitzigen Idee festhalten, die organisationalen Strukturen und Vorgehensweisen genau so wie vorher aufrecht zu erhalten.
Ich glaube, dass es eine (un-)gesunde Mischung aus beidem ist: Unwissen, was wirtschaftliche Vorgänge angeht, und dem unbedingten Festhalten am Status Quo um jeden Preis. (Topmanager von Majorlabels sind meist über A&R quereinsteigende ehemalige Bandmanager gewesen, die keine wirtschaftliche Ausbildung vorweisen können. Selbige ist für das Grundverständnis bei weitem nicht notwendig. Aber dieser Umstand scheint zumindestens in Ansätzen zu erklären, warum die Plattenindustrie sich die letzten 12 Jahre vollkommen absurd verhalten hat.)
Machen wir uns nichts vor: Es geht Lobbyisten und Vertretern von Unternehmen nicht darum, die Wahrheit zu finden, sondern darum, kurzfristig Ergebnisse zu produzieren. Dafür wird Propaganda und das Verzerren von Tatsachen nicht selten bewusst in Kauf genommen. Die Ironie dabei ist natürlich, dass den Unternehmen damit mittelfristig nicht geholfen ist.
Diebstahl geistigen Eigentums
Diebstahl geistigen Eigentums ist nicht möglich. Würde man die absurde Idee, „geistiges Eigentum“ mit materiellem Eigentum gleichzusetzen, konsequent weiterführen, dann wäre es etwa möglich, gebrauchte MP3s weiterzuverkaufen. Warum erlaubt das keine kommerzielle Download-Plattform? Warum setzen die Majorlabels, die nicht müde werden, vom Diebstahl zu reden, das nicht durch? Weil die Musiklabelmanager selbst nicht an ihre Aussagen glauben oder sie zumindest in all ihren Implikationen nicht zu Ende gedacht haben.
Sie wollen ‚alle‘ Rechte materiellen Eigentums auf das ‚geistige Eigentum‘ übersetzt wissen, aber dann natürlich doch nur jene, die ihnen selbst nützen. Würde man alle übersetzen, würde sich schnell zeigen, wie grotesk diese Vorstellung ist.
Umsonstkultur
Besonders für Presseverlage ergibt die Rede von der Umsonstkultur keinen Sinn:
Zum einen sind Presse-Erzeugnisse seit 180 Jahren mehrheitlich werbefinanziert und werden damit auch mehrheitlich unter Kosten an die Leser verteilt. Zum anderen setzen die Presseverlage zumindest in Deutschland online seit Jahren verstärkt auf Bezahlschranken.
Wenn die Presseverlage in Deutschland keinen finanziellen Fuß auf den Internetboden bekommen, dann ist demnach nicht die ‚Umsonstkultur‘ des Internets schuld, sondern, wenn schon, dann die ‚Bezahlkultur‘ der Presseverlage. Denn diese haben sich der ‚Umsonstkultur‘ schließlich gar nicht gebeugt. (Das ist natürlich als alleinstehende Aussage nur geringfügig zutreffender als die Schuldzuweisung auf eine ominöse ‚Umsonstkultur‘.)
Wenn nun Gabor Steingart, der neue Chef vom Handelsblatt, in einem Interview von der „Umsonstkultur“ und den Inhalte verschenkenden Medien redet, dann hat er entweder keine Ahnung von seiner Branche oder er erzählt bewusst Unsinn.
So oder so, ein gutes Licht wirft das auf den Interviewten nicht.
Maritta Strasser says
Es handelt sich bei den Begriffen um Kampfbegriffe, um Nebelkerzen die geworfen werden, damit der Gesetzgeber möglichst ein Gesetz verabschiedet, ohne zu merken was er eigentlich in Kauf nimmt und wessen Rechte er einschränkt, um die Lobbyinteressen zu bedienen.
Mehr hier:
http://sprachfaehig.wordpress.com/2010/06/29/nebelkerzen-uber-nebelkerzen/
mein-spessart-media says
Alleine für diesen Beitrag melde ich mich jetzt bei Flattr an, damit ich dafür etwas bezahlen kann.
Siggiziege says
Trotz der vielen Wörter wird nicht klar, was genau an der Wortwahl der Betroffenen möglicherweise nicht korrekt ist. Unter „Bezahlkultur“ der Verlage verstehe ich nämlich die Art und Weise wie Verlage etwas bezahlen, z.b. Gehälter ihrer Mitarbeiter. Das hat dann natürlich nichts damit zu tun, ob sie einen Fuss auf/in den Online Markt bekommen. Der Grund, wieso „Umsonstkultur“ nicht treffend ist, müsste bitte noch einmal erläutert werden!
Marcel Weiss says
Darüber habe ich unzählige Male ausführlich geschrieben. Als ich noch für netzwertig geschrieben habe, habe ich vor über einem Jahr dem Thema einen längeren Artikel gewidmet, vielleicht hilft dieser:
http://netzwertig.com/2009/03/26/die-maer-von-d…
Eventuell schreibe ich zu dem Thema auch noch einmal einen gesonderten Artikel hier. Aber wohl nicht in nächster Zeit.
Christian Schmidt says
Die Interpretation ist mir zu garstig. Die Begriffe sind einfach zu verstehen und verdeutlichen den Knackpunkt. Beim „Diebstahl geistigen Eigentums“ ist es schlicht irreführend, vom Verkauf gebrauchter MP3s zu reden und zu glauben, man hätte den Begriff jetzt ganz toll entkräftet. „Diebstahl geistigen Eigentums“ heißt schlicht und einfach, dass Leute geistige Leistungen kostenlos in Anspruch nehmen, die von ihren Schöpfern bzw. deren Auftraggebern aber kostenpflichtig verteilt werden. Und das ist schlicht und einfach das, was diskutiert werden muss. Zu streiten, dass „Diebstahl“ der falsche Ausdruck ist, ändert überhaupt nichts, denn es geht schließlich nicht in erster Linie um Juristisches, sondern um Moralisches. (Wie groß der Unterschied da zwischen den Begriffen ist, erkennt man ganz gut an der Verwendung des Wortes „Betrug“.)
Und auch die „Kostenloskultur“ erscheint mir jetzt nicht als böser Kampfbegriff. Mag ja schön sein, dass es viele Leute gibt, die diejenigen finanziell unterstützen, die sie mögen. Aber wenn in Umfragen die Hälfte der Leute sagt, dass Onlineinhalte kostenlos und werbefrei sein sollten (laut einer Heise-Nachricht im letzten Dezember), wo liegt dann der Fehler zu sagen, dass diese Leute zu einer Kostenloskultur gehören.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich bin ein absoluter Fan des Internets und finde auch, dass die Printmedien und die Musikbranche vieles falsch angehen. Aber das Problem ist schlicht, dass die Antwort auf die Finanzierungsfragen einfach noch nicht gefunden ist, weder von den alten noch von den neuen Medien. Einzelbeispiele von Blogs, die sich selbst am Leben erhalten (und sei es auch nur, weil der Betreiber plötzlich als Experte lauter teuer bezahlte Workshops in Firmen abhalten kann), sind noch lange kein Beweis für die dauerhafte Tragfähigkeit gewisser Geschäftsmodelle. (Man halte sich mal vor Augen, dass selbst das Bildblog EINE Vollzeitstelle bezahlen konnte, wogegen selbst kleine Tageszeitungen mehr Leute ernähren.)