Wir hatten gestern hier schon die Erfolgschancen von Diaspora diskutiert, dem vermeintlichen Facebook-Herausforderer, der mit Open Source und Dezentralität punkten will.
In den Kommentaren führte Carsten Pötter ein gutes Argument gegen die Chancen auf eine Verbreitung von selbstbetriebenen Diaspora-Instanzen an:
Die eigenen Server stehen übrigens auch einer großen Verbreitung von Diaspora entgegen. Denn wie viele an Social Networking interessierte Nutzer gibt es, die einen eigenen Server betreiben? Selbst wenn es Hoster in der Art von WordPress.com geben sollte, dürfte die Nutzerzahl begrenzt bleiben.
Nur mal so: Jeder kann einen Mail Server betreiben, jeder kann OpenID Provider werden. Frage: Wie viele Leute betreiben einen eigenen Mail Server und wie viele Leute sind ihr eigener OpenID Provider? Genau.
Als wären die Herausforderungen noch nicht genug, setzt Diaspora auch noch auf Bestandteile, die der normale User bei seinem Webhoster gar nicht vorfinden wird (via):
Nun wurde Diaspora mit Ruby on Rails geschrieben zusätzlich braucht es eine Mongo Database – zwei dinge die jetzt nicht jeder installiert hat – oder ums spezifizieren – so gut wie niemand installiert hat. Das sind schonmal zwei Hürden die so gleich vorneweg mal 80% aller Hostingoptionen ausschliessen. Man braucht dafür dann schon ein Hostingprovider der einen Kram installieren lässt was bei den meisten Shared Massen Hostern(tm) nicht funktioniert – oder man hat nen eigenen Server irgendwo stehen. Ich habe zwar eine Option das alles zu installieren – aber ehrlich gesagt weder die Zeit noch Lust dazu – ich denke so wird es vielen anderen auch gehen. Eine Einclick-Installation welche auf den meisten Servern dieser Welt funktioniert ist hier für Diaspora von höchstem Interesse könnte man denken zumal sie zu 500 Millionen Usern aufschliessen müssen.
Während MongoDB wohl in erster Linie gewählt wurde, um die Skalierung sicherzustellen – was keine schlechte Idee ist -, widerspricht dessen Einsatz aktuell dem Versprechen, dass jeder sein eigenes Social Network mit Diaspora hosten kann. Und es widerspricht auch dem Ansinnen, so schnell wie möglich zu wachsen. Letztlich bleiben damit nur echte Geeks und Unternehmen als potentielle Betreiber von Diaspora-Instanzen übrig.
Diaspora hatte die richtige Narration für die Medien (traditionelle wie Blogs):
Ein paar Studenten wollen es mit Facebook aufnehmen! Mit Open Source! Und dezentral! Datenschutz und Privatsphäre wieder in unserer Hand! Die Robin Hoods gegen das blaue Imperium!
So einfach ist es leider nicht. Mit den Grundsteinen, die Diaspora gesetzt hat, zeigt es auch, dass den Machern die vor ihnen liegenden Hürden nicht klar zu sein scheinen. (Oder: Ihr Grundversprechen, dass jeder sein eigenes Social Network betreiben kann, nicht ganz ernst gemeint war. Was durchaus sinnvoll und nachvollziehbar wäre.)
Eine Facebook-Alternative, falls die Welt das überhaupt braucht, wird aber wohl eher von anderer Stelle kommen. Müsste ich eine Wette abgeben, ich würde auf Google setzen, dass mit einem „Social Layer“ seine eigenen und andere Dienste verbinden will, wie Google-CEO Eric Schmidt kürzlich andeutete.
Das heißt: standardisierte Schnittstellen, unterstützt und aggregiert vom größten Webunternehmen der Welt. (Siehe meine Ausführungen zur strategischen Langzeitausrichtung von Google mit Google Buzz, die wohl so mehr oder weniger analog auf das „Social Layer“-Vorhaben übertragen werden können.) Das klingt weitaus vielversprechender. Auch wenn Google selbst der Erfolg nicht vergönnt sein sollte, so würde Google damit zumindest den Grundstein für eine erfolgreiche soziale Vernetzung im Web abseits von Facebook bilden.
Aber das ist aber eben kein Robin Hood des Webs, den man in eine hübsche Geschichte verpacken kann.
Stefan Wolpers says
Der massenkompatible (und damit auch von vielen finanzierbare) Standard – PHP & MySQL – war wohl zu uncool. Damit hätte man auf dem nächsten der RUG ja auch schlecht Staat machen können.
Sehr nerdiger Ansatz: man wählt eine Infrastruktur, um Probleme der Zukunft lösen zu können, die man aufgrund selbiger Infrastrukturentscheidung allerdings nie haben wird…
Marcel Weiss says
Jep, die Wahl mag technisch Sinn ergeben, aber für die sich selbst
gesetzte Aufgabe ist sie eigenartig kontraproduktiv.
Stefan Wolpers says
Mein erste Idee dazu war: Angst vor der eigenen Courage. Oder gab es niemanden im Team, der mal professionell Product Management gemacht hat. Es könnte aber auch eine geschickte Zuckerberg'sche Desinformationskampagne gewesen sein.
Cool – jetzt hätten wir noch eine Verschwörung dabei. :)
Mathias Fiedler says
Ich finde es alles andere als kontraproduktiv wenn man mit den stark begrenzten Mittel auf ein modernes und effizientes (vor allem aus Entwicklungssicht) Framework setzt. Hinzukommt das es eben doch wichtig ist 'cool' zu sein. Denn noch lange bevor Diaspora die 500mio user ansprechen kann, muss es erstmal fertig gestellt werden. Es müssen also Open Source Entwickler begeistert werden und genau die sind im RoR Umfeld deutlich aktiver… Denn wenn Diaspora im aktuellen Zustand an etwas scheitert dann ist es schlicht und ergreifend die zu geringen Entwicklungsressourcen. Die Sache mit den 'Massenhostern' ist nicht weiter schlimm, da dieses Szenario doch eher unwahrscheinlich ist. Diaspora wird von Firmen gehostet werden und/oder vielleicht auch von Vereinen (ähnlich Wikipedia )
Marcel Weiss says
Stimmt. Da ist was dran.
Anonymous says
Ich hatte gleich mal bei meinem Hoster nachgekuckt: Ruby on Rails wird unterstützt wenn ich auf ein größeres (und kaum teureres) Paket upgrade, MongoDB aber leider nicht. :(
Damit bin ich erstmal raus.
Jan Ehrhardt says
Selbst wenn hier auf PHP und MySQL gesetzt worden wäre, würden wahrscheinlich nur wenige Leute sich Diaspora selber installieren. Das ist halt wie mit den Email-Anbietern, nur die wenigsten Menschen haben überhaupt ein Interesse daran, sowas selber zu hosten. Die meisten Menschen wollen sich anmelden und loslegen, keine Installation und kein Download.
Daher halte ich es für irrelevant, ob ein Webhoster im Basispaket die Diaspora-Abhängigkeiten bietet.
Viel interessanter ist doch die Frage, für wenn ist Diaspora überhaupt interessant?
Aus meiner Sicht gibt es da ganz unterschiedliche Ansätze. Z. B. könnte ein Hostinganbieter analog zum Webhosting eben auch ein Diasporahosting anbieten. Das könnte für Vereine etc. sehr interessant sein, die ihr eigenes Soziales Netzwerk hosten möchten, um nur mal ein Beispiel zu nennen.
Das Entscheidende am Ende ist, dass mit Diaspora tatsächlich eine Open Source Software für soziale Netzwerke entsteht, mit der man sein eigenes Netzwerk betreiben kann, wenn man das will. Ruby on Rails ist da sicher eine gute Wahl, genauso wie MongoDB und es bildet sich derzeit eine aktive Community, was noch viel wichtiger ist.
Im übrigen gibt es auch MongoDB Hoster (z. B. http://mongohq.com), für alle die Ruby on Rails aber keine MongoDB bei ihrem Hoster bekommen.
Candy says
Es soll ja nicht die einzige kommende Soziale netzwerk sein.Angeblich soll eine neue Netzwerk aus Deutschland kommen.Wird grad richtig werbung gemacht und diskutiert in facebook.Angeblich kann man mit neun Personen gleichzeitig videochat führen und bittet email adresse an mit deren endung.Kolloki heisst es.
Achso kommt am 1.1.2011 online . Heisst Kolloki-share your mind.Und hat schon eine riesen anhänger…
Frank Sigi Luithle says
Jura-Professor Eben Moglen, der die Diaspora-Gründer maßgeblich motiviert hat, hatte nicht die Idee, dass Nutzer ihren Social-Network-Server in der Cloud (lies: bei kommerziellen Providern) hosten — sondern auf eigener Hardware in den eigenen vier Wänden. Idealerweise sei diese Hardware bereits vorinstalliert, mit all der Software die benötigt wird.
In diesem Zusammenhang sind die Argumente, die hier gegen RoR und MongoDB gemacht werden, rein fadenscheinig.
Das andere Argument wurde hier bereits gemacht: mit „hippen“ Technologien wie MongoDB spricht man deutlich mehr junge, progressive, motivierte, risikobereite Entwickler an als mit PHP und MySQL. Schließlich gibt es (zunächst) kein Geld zu verdienen, da muss die Motivation woanders herkommen.