Christian Scholz über den netzpolitischen Kongress der Grünen, der am Wochenende stattfand:
“Ja, wir brauchen Mut, aber mit Augenmaß” (mit Betonung auf Augenmaß), so lautete einer der letzten Statements beim netzpolitischen Kongress der Grünen im Paul-Löbe-Haus im Bundestag. Und mit dieser sich selbst konterkarierenden Aussage lässt sich vielleicht auch der ganze Kongress beschreiben. Denn Mut, der war nicht wirklich zu finden. Ein Feuerwerk an Ideen, was man mit dem tollen Tool Internet alles so machen könnte, suchte man also eher vergebens und dies war wohl eher beim zeitgleich stattfindenden Barcamp Hamburg oder Barcamp London zu finden.
Stattdessen ging es, wie zu erwarten, um die Risiken. Und da gibt’s ja viele, denn die Fantasie der Deutschen ist bei diesem Thema gross.
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Was eigentlich diskutiert hätte werden müssen, ist die Frage, wie wir unsere Gesellschaft in die Lage versetzen, mit Risiken umzugehen, anstatt sie überall vermeiden zu wollen. Keine Chance ohne Risiken. Versucht man alle Gefahren im Vorfeld zu verhindern, verhindert man dadurch eher die Chance.
Es braucht mehr Mut! – Eindrücke vom netzpolitischen Kongress der Grünen « mrtopf.de.
Die Grünen sind von allen im Bundestag vertretenen Parteien die wohl progressivsten, was Netzthemen angeht. Trotzdem sind sie noch ein gutes Stück davon entfernt, tatsächlich sinnvolle Anstösse zu liefern.
Warum man in Deutschland immer nur über Risiken und nie über Chancen reden kann – zumindest nicht ohne letzteres immer mit einem einschränkenden „aber“ zu versehen – ist bemerkenswert.
Die zugrundeliegende Haltunge ist auch einer der Gründe, die uns als Wirtschaftsstandort massiv zurückhalten. In Zeiten, in denen tiefe Strukturwandel viele Wirtschaftsbereiche erschüttern, braucht es Experimentierfreude, um erfolgreiche Wege zu finden, wie Dinge erfolgreich neu organisiert und gehandhabt werden können.
Wir wissen nicht, was funktioniert, wir wissen oder bemerken vielmehr, was nicht mehr funktioniert. Was kann funktionieren? Das kann man nur über Experimentieren herausfinden.
Für diese Experimentierfreude braucht es Unternehmergeist. Den gibt es in den USA, nicht so sehr in Deutschland. Dass die USA international so erfolgreich im Web ist, liegt nicht allein daran, dass der Heimatmarkt und der Talentepool größer sind. Das hilft, ist aber nicht der alleinige Auslöser für den enormen wirtschaftlichen Erfolg, den die USA im Web hat.
Schweden, ein kleineres Land als Deutschland, kann gerade mit dem Musiksstreaming-Dienst Spotify eine internationale Erfolgsgeschichte vorweisen. Frankreich hat den Shoppingclub Vente-Privee.
Deutschland hat in 12 Jahren Internet im gesellschaftlichen Mainstream nicht eine einzige internationale Erfolgsgeschichte auf die Beine bekommen.
Das aktuell innovativste und spannendste Startup, das aus Deutschland kommt, und auf dem Weg zu einem internationalen Hit ist, ist SoundCloud. SoundCloud wird nicht von deutschen Gründern betrieben, sondern von eingewanderten Schweden, die die Berliner Musikszene als Sprungbrett für den Dienst nutzten.
Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Deutschland tut sich extrem schwer mit Experimentieren. (Das heißt nicht, dass es das nicht gibt. Aber man muss festhalten, dass die Ergebnisse von deutschen Gründern bis dato eben eher durchwachsen und maximal von regionalen Erfolgen gekrönt sind.) Ich weiß nicht, warum das so ist. Es muss etwas mit der Kultur des Landes zu tun haben. An den Rahmenbedingungen allein kann es nicht liegen, wie SoundCloud deutlich zeigt.
Ich glaube nicht, dass das insgesamt etwas ist, das sich ohne weiteres ändert. Zumindest nicht, bis die Politik, die auch positive Rahmenbedingungen setzen kann, aufhört, ebenso wie ein vor Angst erstarrtes Kaninchen auf das Web zu schauen und das Rad der Zeit an allen Enden zurückdrehen zu wollen. Siehe etwa das Thema Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das die freie Entwicklung des Webs in Deutschland erheblich torpedieren könnte.
Sven Frauen says
Prinzipiell würde ich der Aussage zustimmen, dass Deutschland mehr Mut im Internet braucht. Die Deutschen sind traditionell sehr risikoavers, was Internetstartups ziemlich schadet. Allerdings müssen deutsche Startups auch gepusht werden, nicht zuletzt von Blogs.
Es gibt meiner Meinung nach auch einige erfolgreiche deutsche Startups oder erfolgsversprechende Konzepte. XING ist, wenn auch eher auf Europa begrenzt, sehr erfolgreich. ResearchGATE ist ebenfalls ein deutsches Startup, dass auf ein erhebliches internationales Echo getroffen ist. Leider ist die Vernetzung im deutschen Raum noch nicht so gut ausgeprägt, vor allem auch an den Universitäten wird die Gründerszene teils doch recht stiefmütterlich behandelt. Aber ich sehe Tendenzen der Besserung.
Sven says
Da fallen mir spontan drei Beispiele ein:
1. Impressumspflicht in Blogs.
„Oh nein, jeder, der häufig was schreibt, muss sofort mit Namen und Adresse identifierbar sein. Mit maximal einem Klick!“. Neueren Umfragen geht nun doch schon wieder hervor, was ohnehin viele schon wussten oder wenigstens ahnten: 50% der Personalzuständigen in Firmen erkundigt sich im Netz über seine Bewerber. Wer, der noch keine gefestigte Existenz in dieser Gesellschaft hat, wird sich daher derart entblößen und in das nicht-vergessende Netz schreiben, wie cool er das neue Black Ops findet, weil es so blutig ist? Wie geil er Schauspielerin xy im neusten Film findet? Wie gerne er sich stundenlang seinem Onlinespiel widmet? Wie stark ihn die neusten Züge der Regierung ankotzen? Wir bremsen Innovation, Meinungsfreiheit und andere Dinge damit aus, dadurch, dass jeder mit ein wenig Onlinebewusstsein weiß, dass er nach einigen Wochen bei Einnahme seines Namens bei Google sofort gefunden werden kann – und die Beiträge im Netz noch ewig herumwabern können.
2. Gründergeist
Ich kenne einen Professor, der früher bei IBM gearbeitet hat und anschließend in den USA lehrte und nun hier ist. In einigen Kursen wird semesterbegleitend eine Projektarbeit vorangetrieben, die dann zum Schluss vorgestellt wurde. Da geht es um potentielle Ideen für Mikrochipanwendung und deren theoretische Ausführung im gegebenen Kontext. Wie ich später erfuhr: In den USA wurden diese Projekte einfach hinausgetragen, ein Geschäftsmodell damit begründet und ausprobiert. Hat bei vielen nicht geklappt, aber eine fehlgeschlagene Gründung ist in den USA eher normal als so negativ besetzt wie hier.
3. Der Klassiker: Bürokratie
Flickr hatte im Netz relativ schnell einen Höheflug. Bis bei uns nach einigen Monaten die Erkenntnis durch's Netz ging: Hm, das sind ja alles Einnahmen aus „regelmäßiger Tätigkeit“. Was folgt daraus? Für den kleinen Hobbyblogger was das meist nicht wirklich ersichtlich. Gewerbe anmelden, Einkommenssteuererklärung und so weiter. Bei all der Verunsicherung haben viele die Benutzung wieder eingestellt. Was schade ist. Bis heute weiß ich zum Beispiel auch nicht, ob es überhaupt jemanden interessiert, wenn man alle halbe Jahre mal zusammengekratzte 25,- bei PayPal ausgezahlt bekommt. Da das aber auch niemand so richtig ausprobieren möchte ist Flattr hierzulande eher prädestiniert für die „Professionellen“, die Leute, die eine große Reichweite mit entsprechenden „Umsätzen“ haben.
Wir bremsen in vielen kleinen Dingen einfach viele große Dinge aus. Daraus folgt eine gewisse Grundmentalität, die einem Land der Dichter und Denker dann leider doch irgendwie zuwider läuft :)
Sebastian Helmund - style-ich says
Ich denke, dass es in Deutschland genug junge mutige Gründungswillige gibt. Das Problem ist viel mehr, dass viele neue Ideen durch Bürokratie und den fehlenden Mut von Förderern, Banken, usw. im Keim erstickt werden. Gefördert und unterstützt werden oft nur Projekte die es in irgendeiner Weise woanders schon gibt. Sowas zerstört die Motivation junger Ideengeber und fördert auch nachhaltig nicht die Zusammenarbeit von Gründern und öffentlichen Einrichtungen. Klar muss irgendwie ausgesiebt werden, aber doch bitte ein wenig mehr aufgeschlossener und ohne Vorurteile!!
Cashanddrive says
Ich stimme meinen „Vorschreibern“ weitgehend zu. Nur: „Es braucht mehr Mut“ klingt zwar gut, trifft aber in vielen Fällen nicht zu. Mutige gibt es auch in Deutschland schon recht viele. Das Problem sind die „Yesbutter“, die Junggründern ständig erzählen, welche Risiken so ein Startup doch birgt. Auch wir können ein Lied davon singen, denn vor der Gründung der 1. Online Fahrschule Europas, haben wir über unsere Hausbank um Fördermittel bei der KfW angefragt. Nach nur 4 Monaten Bearbeitungszeit teilte uns der „Kundenberater“ mit, dass man den Antrag nicht weiterleiten will, wörtlich: „Wir sehen nicht ein, dass das Geld des Steuerzahlers aus dem Fenster geschmissen wird“ Zitat Ende.
Zum Trotz haben wir dann das Programm erfolgreich selbst entwickelt.
Was wir brauchen ist die USA Mentalität der „Whynotter“! Warum nicht?-Lass es uns doch versuchen, mehr als schief gehen kann es nicht. Wenn dieser Gründergeist sich durchsetzt, dann gebe ich Deutschland eine Chance.
Marcel Weiss says
Ja, mehr Unternehmergeist.