Markus Spath über die Auswirkungen der Rahmenbedingungen auf deutsche Startups im Kontext der grotesken Radiergummi-Diskussion:
und auch an die immer wieder vorgetragene Erzählung ‘das alles macht deutsche / europäische Startups wettbewerbsunfähig’ glaub ich nicht, deutsche Startups verhalten sich zu US-Startups wie Welke mit der heute-show zu Stewart mit der Daily Show, wie DSDS zu American Idol, etc; es kann durchaus die eine oder andere Leuchte geben, aber das Grundniveau ist um einige Klassen niedriger und es entstehen also ganz grundsätzlich nicht die Szenen und Wettbewerbsbedingungen, die systematisch Weltniveau erzeugen.
Mit dem Vergleich der Qualitäten/Wettbewerbsfähigkeiten von US-Webstartups und deutschen Startups liegt er sehr richtig. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das einzige Startup mit Sitz in Deutschland, das global nicht einmal einen Konkurrenten auf Augenhöhe hat, das Berliner Musik-Startup SoundCloud ist. Warum das interessant ist? SoundCloud hat keine deutschen Gründer. Die Gründer kommen aus Schweden.
Das lässt die Vermutung zu, dass die mehrheitliche Minderwertigkeit deutscher Startups im globalen Vergleich nicht nur mit den hiesigen Rahmenbedingungen, sondern auch und vor allem mit der Mentalität vieler hiesiger Gründer und Investoren zu tun hat. Aktuell ändert sich bei beiden Gruppen, so habe ich den Eindruck, zumindest teilweise etwas.
Vielleicht liegt das auch daran, weil das einstige große (und volkswirtschaftlich gesehen ausgesprochen ungünstige) Vorbild für deutsche Webgründungen, StudiVZ, mittlerweile für alle erkennbar auf dem absteigenden Ast ist. SoundCloud bietet sich viel besser als Best Case Study an. Und das erstaunlicherweise an allen Fronten. Es ist geradezu unheimlich, wie SoundCloud praktisch alles richtig macht.
(Die Übernahme von Citydeal durch Groupon geschah im Lebenszyklus des deutschen Klons so schnell, dass es mir nicht so erscheint, als hätte sich das als ‚deutsche Erfolgsgeschichte‘ sehr in der Wahrnehmung von etwa vielen Gründern verfestigt. Zumindest nicht bei denen, die sich nicht ausschließlich als Erfüllungsgehilfen für exitgetriebene opportune Investoren verstehen.)
Damit will ich nicht sagen, dass sich die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Startups insgesamt massgeblich ändern muss. Es erscheint mir nur zunehmend wahrscheinlicher, dass wir mehr einzelne ‚Perlen‘ sehen werden. Wünschenswert wäre es allemal.
Spath hat allerdings auch recht mit den langfristigen Auswirkungen des oft (geradezu absurd) realitätsfernen deutschen Netzpolitik-Aktionismus und den ihn begleitenden und oft triggernden Debatten auf die deutsche Gesellschaft:
Die Gefahr von [Verbraucherschutz/Datenschutz] besteht also nicht so sehr in besonders schlimmen persönlichen Nachteilen, die Gefahr besteht eher in der schleichenden digitalen Emigration der einen – die es sich leisten können, denen das Internet wichtig ist – und der Provinzialisierung des Rests.
Deutscher Braindrain dank politischer Datenschutz-Hysterie.
Sigi says
Ach, als wäre der Datenschutz in DE ansatzweise relevant.
Die paar technischen Ausnahmetalente, die in der Läge sind (oder wären), ein erfolgreiches Startup zu gründen, die rotten sich nun mal im Silicon Valley zusammen — und zwar aus aller Welt.
Das ist ein ganz natürlicher Konsolidierungs- bzw. Herdeneffekt. „Deutsche Mentalität“ trägt höchstens noch einen kleinen Teil zur Symptomatik bei.
Nenn mir doch mal ein paar bekannte Web-Startups, die weder aus Deutschland noch den USA kommen.
Andreas Lenz says
moin marcel,
du wirst meine zeilen lieben… aber wir sind das bei thema ja schon gewohnt ;)
sag doch mal bitte was aus deiner sicht geschehen muß, damit es in der deutschen startupszene voran geht? bist du nicht teil der von dir kritisierten deutschen mentalität? anstatt sich dauerhaft in pessimisumus und negativität zu suhlen, sollte man doch nach vorne schauen und aus den erfahrungen und beobachtungen lernen. vielleicht gründest du mal eine firma und sammelst erfahrungen, statt alles nieder zu schreiben.
tweek TV says
soundcloud ist erfolgreich, weil sie ein super Produkt bauen und darauf fokussieren. Das Team hat ein klares Nutzerbedürfnis in einem Nischenmarkt entdeckt und sehr gut bedient. Daraus ist eine aktive Nutzerbasis entstanden, die dem Produkt und der Marke loyal sind. Das ist wahre Produktinnovation, wie wir sie selten sehen, denn häufig werden in Deutschland erfolgreiche Geschäftsmodelle einfach auf neue Vertikals gesetzt und die Marketingkanone abgefeuert. Das ist auch super, wenn es funktioniert, der Ansatz und die Nachhaltigkeit sind allerdings nicht zu vergleichen.
Marcel Weiss says
Ich habe im Artikel geschrieben, dass ich Besserung sehe (bei Gründern und teilweise bei Investoren) und ich habe explizit auf ein Beispiel hingewiesen, das klar zeigt, dass man auch von Deutschland aus etwas auf die Beine stellen kann, das sich global mit anderen messen kann. Ich finde, das ist nicht “ sich dauerhaft in pessimisumus und negativität zu suhlen“.
Ich halte es aber für wichtig, immer wieder auf das Positive _und_ das Negative hinzuweisen. So zu tun, als wäre alles super, halte ich für gefährlich und schlicht nicht realistisch.
Was Deinen letzten Satz angeht: Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus dem Schreiben, aber das ist nicht alles. Davon abgesehen: Der implizierte Vorwurf, man könne etwas nur sinnvoll betrachten und einschätzen, wenn man etwas Vergleichbares selbst gemacht hat, ist Unsinn. Das dürfte Dir als jemand, der ein Medienangebot betreibt, klar sein. Anderenfalls dürftet Ihr bei T3N über 90 Prozent Eurer News nicht bringen. Oder habt Ihr Eure eigenen Facebooks, Appstores und Tablets am Start?
Marcel Weiss says
„Das ist wahre Produktinnovation, wie wir sie selten sehen, denn häufig werden in Deutschland erfolgreiche Geschäftsmodelle einfach auf neue Vertikals gesetzt und die Marketingkanone abgefeuert. Das ist auch super, wenn es funktioniert, der Ansatz und die Nachhaltigkeit sind allerdings nicht zu vergleichen.“
Das fasst das Problem gut zusammen.