Jochen Krisch auf Exciting Commerce über den schwächelnden Buchhandel und die Buchbranche allgemein:
So propagiert der Branchenverband der Buchindustrie in seiner Mischung aus Hilflosigkeit und Verzweiflung weiter das Prinzip Buch – anstatt etwa das Prinzip Lesen oder ein zeitgemäßes Leseerlebnis in den Vordergrund zu stellen. Nicht einmal unsere Freunde vom bvh würden heute noch das „Prinzip Katalog“ propagieren (wobei sie da inzwischen durchaus weiter sind als viele ihrer Mitglieder).
Die Branche, die wir im Industriezeitalter als Buchbranche kannten (und durchaus liebgewonnen haben), wird gerade neu erfunden (siehe Das Bermudadreieck der Buchbranche).
Das ist ein Problem beim Neuerfinden von Branchen: Die etablierten Player haben Schwierigkeiten die Verschiebungen zu deuten, ganz zu schweigen vorherzusehen, weil sie oft in irreführenden Mustern und Metaphern denken.
Das betrifft beileibe nicht nur die Buchbranche:
Heute mehr denn je muss man sich die Frage stellen, welche Aufgabe das eigene Unternehmen eigentlich erfüllt.
Mehr noch: Welche Aufgabe eigentlich die Unternehmenssparte erfüllt, zu der man auch zählt.
Vom Markt denken, oder vom Kunden her denken, heißt auch, die eigene Position nicht von den eigenen, internen Prozessen und der eigenen Tradition her denken, sondern vom Kontext her.
Wenn sich tiefgreifende strukturelle Veränderungen über eine Branche legen, dann lohnt es sich sehr (so sehr, dass es überlebensnotwendig sein kann), einen Schritt zurück zu gehen und die eigene Position und die Situation der Branche auf einer abstrakten Ebene zu betrachten. Das eigene Feld so weit wie möglich zu abstrahieren. Auf Grundlage dieser Erkenntnis lassen sich dann Strategien für die Zukunft entwickeln.
Wer vom Prinzip Buch ausgeht, geht vom Gestern aus. Wer vom Prinzip Lesen ausgeht, ist der eigenen gesellschaftlichen Aufgabe schon sehr viel näher. Und damit auch dem Markt, dem Leser, dem eigenen Überleben.
Dass das „Prinzip Lesen“ so abstrakt und damit losgelöst vom Alltagsgeschäft klingt, ist kein Bug sondern ein Feature.
Leander Wattig says
Ich crossposte hier mal einen Kommentar von mir bei Exciting Commerce:
Dass der Buchbegriff dem Nachdenken über Zukunftslösungen im Wege steht, habe ich hier (http://bit.ly/xGtxrr) und hier (http://bit.ly/zLQ4HR) darzustellen versucht. Man sollte den Buchbegriff der künftigen Print-Nische überlassen und sich ansonsten von ihm emanzipieren. Sonst enden die Gedanken der meisten Beteiligten beim Nachsinnen über die Zukunft doch wieder nur bei irgendwelchen Buch-Derivaten.
Ich denke auch nicht, dass es längerfristig primär um ein „Prinzip Lesen“ gehen sollte, da die Schriftdominanz, die Bücher bisher charakterisiert hat, angesichts der neuen grenzüberschreitenden technischen Möglichkeiten infrage gestellt wird. Es geht aus meiner Sicht eher um ein „Prinzip Kunde“, das gerade die Buchbranche stärker verinnerlichen muss. Die Interessen der Kunden sollten dann mit allem bedient werden, was passt – also nicht nur Lesematerial. – Leider werden solche Überlegungen in der allgemeinen Buchbranchen-Diskussion durch alte Muster weckende Schlagworte wie „Prinzip Buch“ oft überdeckt. Damit schadet die Branche sich aber nur selbst, was am Ende ihr Pech ist. :)
Marcel Weiss says
Den hatte ich schon bei Exciting Commerce gesehen. :)
Ich bin da auch eher Jochens Meinung. Man braucht auch Diskursanküpfungspunkte. Ähnliches hatte ich, glaube ich, in der dritten Folge meines Podcasts beim Thema Journalismus und Medienwandel gesagt. Dort: Natürlich wäre es besser, einen neuen Überbegriff für Wikileaks und Guttenplag zu finden, statt sie als neue journalistische Player zu bezeichnen. Aber dann entfernt man sich von den Debatten der „Bewahrer“, ohne dass man wirklich etwas anderes sagt.
Das ist hier ganz ähnlich: Wenn nicht mehr vom Buch und auch nicht mehr vom Lesen die Rede ist, dann sagen die Leute aus den Verlagen: „Das hat mit uns nichts mehr zu tun.“ Oder sehe ich das falsch?
Leander Wattig says
Ich stimme Dir zu, man sollte Beides liefern: Eine zukunftsfeste Begrifflichkeit, die aber auch den Übergang im Diskurs ermöglicht. Sonst hätte man ja nichts gewonnen. Aus diesem Grunde reden wir ja auch noch von „Social Media“, obwohl inzwischen sehr viele wissen, dass das eigentlich Quatsch ist. Und deshalb betreibe ich eine Plattform namens „Ich mach was mit Büchern“. :) Tatsächlich ist es in der Buchbranche meinem Empfinden nach aber wirklich so, dass allein der Buchbegriff mit seiner enormen Ausstrahlung und Historie, den Blick nach vor vernebelt. Lesen als Begriff ist auf jeden Fall schon besser. Sollte aber zumindest im engeren Kreis nicht als Endpunkt gelten. Denn die Verlage sind da vielfach weiter als man denkt. Die erkennen schon, worum es künftig geht. Fachverlage bspw. sehen sich heute eher als Softwareanbieter mit Problemlösungsansatz. All die beschäftigt eher die Frage, wie sie mit dem ganzen interaktiven und multimedialen Kram denn auch Geld verdienen können.